ein Würfel aus kleinsten Teilchen; Symbolbild für Quantencomputing
25.10.2023
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Die Quantenphysik ist seit 100 Jahren gleichermaßen Faszination und bereitet Kopfzerbrechen. Ihrer Wirkungsweise liegen Fragen zugrunde, die – bis heute – naturwissenschaftlich nicht vollständig zu erklären sind: Welcher Logik folgen die Bewegungen und Kausalitäten auf atomarem und subatomarem Level? Was ist die letzte Antwort der Naturwissenschaft auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens – und damit verbunden: Was ist in der Folge unser Streben?

Warum fasziniert uns die Quantenphysik?

Was in der Realität unsere Wahrnehmung von Materie bestimmt – Neutronen, Protonen, Elektronen –, widerspricht auf subatomarer Ebene den Gesetzen der Newton’schen Mechanik. Plötzlich zeigen diese kleinsten Teilchen neben ihren Eigenschaften auch solche Verhaltensweisen, wie wir sie nur dem Licht zuschreiben: Sie sind Teilchen und Welle zugleich.

Wirklich spannend wird es, wenn wir die sogenannte „Superposition“ und „Verschränkung“ – zwei wesentliche Eigenheiten in der Quantenmechanik – hinzunehmen: Die Zustände der Teilchen auf der Quantenebene können sich überlagern und mehrere Zustände gleichzeitig annehmen. Sie lassen sich auch miteinander verschränken, sodass ein Teilchen immer die komplementäre Information zu seinem Zwillingsteilchen besitzt, egal wo es sich befindet.

Die wohl größte Faszination besteht bei ebendieser unerklärlichen, aber tatsächlichen Verbindung: Sobald man den Zustand eines Teilchens verändert, führt das dazugehörige Zwillingsteilchen eine sich deckende Veränderung in genau demselben Moment durch. Der Österreicher Erwin Schrödinger, Vordenker und Pionier der Quantenmechanik, ist Namensgeber des Phänomens der Verschränkung. Sein deutscher Kollege Albert Einstein sprach noch von „spukhafter Fernwirkung“.

Heute wissen wir, dass diese uns noch fremd erscheinenden Eigenheiten der Quantenphysik wesentliche Grundlagen für die moderne Technologie und deren Anwendungen darstellen: Laser, non-invasive Diagnoseinstrumente in der Medizin, Verschlüsselungsverfahren in der Kommunikation und im Bankenwesen, zuverlässige Zahlungssysteme.

Die disruptive Gravität der Quantentechnologien

Doch kurz noch einmal auf Anfang: Was sind Quantentechnologien, und warum haben sie das Potenzial, unsere Gesellschaft und Wirtschaft in wenigen Jahren grundlegend und nachhaltig zu verändern?

Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es, Quanteneffekte erstmals nutzbar zu machen, beispielsweise im Bereich der Halbleitertechnologien oder für Laserverfahren in der medizinischen Diagnostik. Ausgehend von den Errungenschaften in der sogenannten ersten Quantenrevolution, gewinnen wir nun in der zweiten die Kontrolle über die Wellenbewegungen der einzelnen Objekte: Expertinnen und Experten sehen den Reifegrad der Quantentechnologien inzwischen ungefähr auf dem Entwicklungsstand des Internets der frühen 90er-Jahre.

Die anbrechende Quantenrevolution verspricht aber, in ihrer Dimension noch disruptiver zu werden. Sie wird unser gesellschaftliches Miteinander verändern und Einzug in alle Industriebereiche finden.

Heute lassen sich Quantentechnologien und deren Anwendungen in diese Bereiche einteilen: Quantenkommunikation, Quantensensorik, Quantum-enhanced Imaging und Quantenmetrologie sowie Quantencomputing (und -simulation).

Quantenkommunikation

Die Quantenkommunikation (oder Kryptografie) wird es möglich machen, Kommunikation und den zugehörigen Datentransfer durch die Verteilung von Quantenschlüsseln vollumfänglich zu schützen. Sie wird damit zum uneingeschränkten Muss für jeden privaten wie öffentlichen Akteur. Denn der künftig voll funktionsfähige Quantencomputer wird in der Lage sein, viele der heute verwendeten Verschlüsselungsalgorithmen zu knacken.

Unternehmen richten deshalb schon heute ihre IT-Sicherheitsstrategie auf das Quantenzeitalter aus. Erste hybride Anwendungen kommen bereits in besonders sensitiven Branchen wie dem Bankwesen und der Telekommunikation zum Einsatz.

Quantensensorik

Mithilfe der Quantensensorik lassen sich Temperaturen sowie elektrische und magnetische Felder mit größter Präzision messen. In der medizinischen Diagnostik eröffnen derartige Anwendungen beispielsweise den Blick in die winzigen Magnetfelder von Gehirn und Herz. Nervenimpulse lassen sich mithilfe von Quantensensoren ebenfalls mit höchster Präzision erfassen. Das ist eine wichtige Grundlage für die Diagnose von Erkrankungen wie Alzheimer, die eine Therapie zu einem frühen Zeitpunkt möglich macht. 

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Quantenmetrologie

Die Quantenmetrologie ist in Zeiten zunehmender Umweltkatastrophen und dynamischer Wetterschwankungen essenziell, zum Beispiel für lokale, wiederholbare, zuverlässige und robuste Kalibrierungen sowie Messungen. Die damit möglichen präziseren Wettermodellierungen erlauben dann entsprechend optimierte Präventivmaßnahmen.

Quantum-enhanced Imaging

Quantum-enhanced Imaging wird ebenfalls insbesondere im Bereich der diagnostischen Medizin eine herausragende Rolle spielen. Hier werden wir die Quanteneigenschaften des Lichts nutzen, um die optische Abbildung zu verbessern, sprich: die Bildqualität von Kameras und Mikroskopen erhöhen. Im Bereich der Röntgenaufnahmen und der Magnetresonanztomografie (MRI) erlaubt das große Fortschritte.

Quantencomputing

Quantencomputing zieht aktuell die größte Aufmerksamkeit auf sich. Denn im Unterschied zu klassischen Computersystemen, bei denen die kleinste Einheit, das Bit, nur die Werte 0 oder 1 annehmen kann, verwendet der Quantencomputer Quantenbits (kurz: Qubits). Sie können 0 und 1 gleichzeitig annehmen. Man spricht hier von der eingangs beschriebenen „Superposition“. Damit wird die Technologie für komplexe probabilistische Berechnungen relevant.

Sobald wir die physische Quanten-Hardware in großem Umfang nutzen, wird ein Quantencomputer Berechnungen exponentiell beschleunigen und höchst akkurate Ergebnisse liefern. Rechenprozesse, die mit einem herkömmlichen Supercomputer Tausende von Jahren dauern, lösen wir dann in Bruchteilen einer Sekunde.

Probleme mit der Hardware behindern Anwendungen des Quantencomputers

Das Quantenzeitalter verspricht einen immensen Innovationsschub, gerade im Bereich Computing. Gleichzeitig bleibt aber die Leistungsfähigkeit eines heutigen Quantencomputers noch hinter den Hoffnungen, die der Hype erzeugt, zurück. Dieses Defizit hat mit der Hardware und mit sehr anspruchsvollen Computing-Prozessen der neuen Technologie zu tun: Ein Qubit ist aufgrund seiner Beschaffenheit hochempfindlich, also leicht in seinem Zustand zu stören. Deshalb sind die Rechenprozesse fehleranfällig und aufwendige Korrekturschleifen nötig.

Kurz: Unser wettbewerbsorientiertes Wirtschaftssystem ist auf Leistung und Perfektion getrimmt, die aktuellen Limitationen im Wirkungsgrad eines nativen Quantencomputers – auf Hardware-Basis – stehen gewinnbringenden Anwendungen in der Industrie noch im Weg.

Müssen wir uns also gedulden, bis der futuristisch anmutende Quantencomputer zur Perfektion gereift ist? Nein, das müssen wir nicht. Das sollten wir auch nicht, sonst verlieren wir im internationalen Wettbewerb den Anschluss.

Mit Terra Quantum möchte ich deshalb Quantentechnologie aus dem Labor in die praktische Anwendung bringen. Wir wollen das disruptive Potenzial der kleinsten Teilchen für die großen Herausforderungen der Menschheit einsetzen und für Gesellschaft und Wirtschaft nutzbar machen.

Der Hybridansatz schlägt die Brücke zwischen alter Welt und Zukunft der Quanten

Erste Erfolge mit quantenbasierten hybriden Anwendungen in der Industrie feiern wir heute schon. Hybride Anwendung bedeutet: Wir verbinden klassische Hochleistungsrechner mit Quantenelementen. Diese entscheidende Schlüsseltechnologie wird auch „Hybrides Quantencomputing“ genannt; es ist eine Kombination aus klassischen Hochleistungsrechnern und simulierten wie physischen Quantenchips. Dieser Hybridansatz schlägt die Brücke zwischen der alten Welt des Computing und der Zukunft der Quanten.

Grob skizziert, nutzen wir dabei zum einen physische Quantenhardware (native Quantenprozessoren) und simulieren darüber hinaus Quantumcomputing-Prozesse in der Cloud, getrieben durch einen klassischen Hochleistungsrechner. Das sorgt schon heute für eine nie dagewesene Beschleunigung und Präzision der Rechenprozesse.

Und damit Kundinnen und Kunden diese Technologie für ihren speziellen Business-Case nutzen können, kommen hybride Quantenalgorithmen ins Spiel. Sie nutzen die Leistung der integrierten Quantenhardware und greifen bei Bedarf auch auf den Hochleistungsrechner zurück. Dieses Set-up führt mit der zugrunde liegenden Hardware – klassisch sowie quantenbasiert – immer größere Rechenoperationen fehlerfrei durch.

Wo quantenbasierte Anwendungen heute schon funktionieren

Wie eingangs erwähnt, basieren die Anwendungsfelder auf drei Säulen:

  • der Optimierung hochkomplexer Datensätze,
  • Simulation etwa von Chemie und Physik – und
  • den Anwendungsmöglichkeiten im Bereich des maschinellen Lernens.

Die Zusammenarbeit mit Industriepartnern unterstreicht nicht nur das Potenzial von quantenbasierten Anwendungen. Sie macht deren Erfolg in der Praxis sichtbar.

Ein Beispiel aus der Finanzwirtschaft

Mit einem Kunden aus der Finanzbranche haben wir an der Optimierung seines Sicherheitenportfolios (des sogenannten Collateral Portfolio) gearbeitet. Wir sprechen hier von Summen zwischen 100 Milliarden bis zu einer Billion Dollar, die verwaltet werden müssen. Die Zusammenstellung gestaltet sich komplex, da man nicht nur die verschiedenen Anlagekategorien (Staatsanleihen, Aktien, Cash und Devisen), sondern auch externe, oft unvorhersehbare Faktoren einrechnen muss. All diese Variablen müssen nach internen Gesichtspunkten optimiert werden: Liquiditätserfordernisse, operative Bedarfe, Finanzierungsbedingungen, Risikokosten.

In diesem Fall haben wir, unserem hybriden Quantencomputing-Ansatz folgend, einen Algorithmus entwickelt, der im Ergebnis die klassischen Optimierungsprozesse um sechs Basispunkte geschlagen hat. Übersetzt in die Finanzrealität sind das 200 Millionen Dollar an jährlich wiederkehrenden und damit dauerhaft wirksamen Kosteneinsparungen.

Ein Beispiel aus dem Automobilsektor

Oder ein Beispiel aus der Automobilindustrie: Hybride Quanten-Algorithmen können die automatisierte Fehlerkontrolle in der Produktion und Robotik signifikant verbessern.

Gemeinsam mit der Volkswagen Group haben wir hier einen konkreten Anwendungsfall für die Qualitätskontrolle am Fließband entwickelt. Im Kontext selbstfahrender Autos eröffnet sich ein weiteres spannendes Anwendungsgebiet.

Ein Beispiel aus der Energiewirtschaft

Ein letztes Beispiel aus dem Energie-Sektor: Wir haben mit einem der größten europäischen Energieunternehmen eine Lösung entwickelt, um den Ertrag von erneuerbaren Energien bestmöglich vorherzusagen und in das Versorgernetz zu integrieren. Gerade die Kapazitäten von volatilen Energieträgern wie Sonne und Wind müssen dabei möglichst präzise im Voraus berechnet werden – ein perfekter Anwendungsfall für quantenbasierte Algorithmik.

Im Bereich Fotovoltaik beispielsweise beginnen wir bereits bei der Ausrichtung der Solarzellen: Dank intelligenter Berechnungen bestimmen wir die optimale Positionierung und Auslastung von Solarzellen. Später geht es darum, Sonnenenergie bestmöglich in das Netz einzuspeisen.

Wie entwickelt sich der Quantencomputing-Markt?

Alle Beispiele machen deutlich: Quantencomputing findet schon heute Anwendung in der Praxis. Die erfolgreiche Umsetzung bietet einen Vorgeschmack darauf, was wir von dieser Technologie in Zukunft erwarten können.

Der Markt verspricht enormes Potenzial. Bis 2035 erwarten Expertinnen und Experten einen Wert von einer Billion Dollar. Der Wettlauf um die Technologievorherrschaft hat damit längst begonnen. Die USA und China liefern sich einen engen Schlagabtausch an der Spitze. Aber wo stehen Deutschland und die Europäische Union im Vergleich? In Deutschland sind aktuell rund zwei Milliarden Euro für die Förderung von Quantentechnologien reserviert; das Munich Quantum Valley macht sich sukzessive auch global einen Namen.

Wer treibt die weitere Entwicklung?

Die Wissenschafts- und Forschungslandschaft befindet sich im internationalen Vergleich in einer guten Ausgangsposition. Um im internationalen Wettlauf mithalten zu können, ist es allerdings unerlässlich, die Förderung der Technologie auf europäischer Ebene anzugehen und das Thema zur supranationalen Priorität zu machen. Europa muss hier mit einer Stimme sprechen. Politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sollten den europäischen Wissenschafts- und Forschungsstandort ausbauen helfen und weitere zielgerichtete Förderungen für die schnell wachsende Industrie auf den Weg bringen. Sonst verlieren wir den Anschluss.

Dabei sind die wirtschaftlichen Impulse, die von Start-ups ausgehen, von herausragender Bedeutung. Für die Industrie ist es notwendig, Quanteninnovationen frühestmöglich in den eigenen Prozessen zu verankern. Es kommt jetzt auf die konstruktive Zusammenarbeit und den kontinuierlichen Dialog aller beteiligten Akteure an: Industrie, Wissenschaft, Politik, Start-up-Szene und Kapitalgeber.

Neben den wirtschaftlichen Aspekten bedarf es eines breiten, öffentlichen Diskurses. In der Debatte sollte es auch um die ethischen Aspekte dieser Schlüsseltechnologie gehen, um Themen wie Datenschutz und Künstliche Intelligenz. Chancen und Risiken sollten adressiert werden. Das ist längst überfällig, insbesondere um ein breites öffentliches Bewusstsein in der Gesellschaft darüber zu schaffen, was mit diesem Fortschritt auf uns zukommt. Das Thema stärker in unser Bildungssystem zu integrieren kann dabei eine zentrale Rolle spielen.

Quantentechnologien versprechen unserer Gesellschaft – fern aller Nationalitäten und Politik – unglaubliches Potenzial. Sie bieten uns die ersehnten Möglichkeiten, auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu antworten – Stichworte: Klimawandel, Energiekrise, Medizintechnik. Nutzen wir die Macht der kleinsten Teilchen für eine sichere und lebenswerte Zukunft!

Zur Person

Markus Pflitsch

Markus Pflitsch

ist Quantenphysiker sowie Gründer und CEO von Terra Quantum. Das Quantentechnologie-Unternehmen mit Sitz in St. Gallen/Schweiz entwickelt kommerziell nutzbare Quantenapplikationen und Verschlüsselungsprotokolle. 2022 konnte Terra Quantum eine der größten Finanzierungsrunden im DeepTech-Sektor abschließen

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