eine Person hält ein Schild aus Pappe mit der Aufschrift
10.10.2023
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Zur Person

Martin Brudermüller ist Vorstandsvorsitzender von BASF

Dr. Martin Brudermüller

studierte von 1980 an Chemie an der Universität Karlsruhe und machte 1985 seinen Abschluss. Nach der Promotion, die er 1987 ebenfalls in Karlsruhe abschloss, absolvierte er einen Postdoc-Aufenthalt an der University of California, Berkeley/USA. Brudermüller ist seit 2018 Vorsitzender des BASF-Vorstands. Er sitzt seit 2021 zudem im Aufsichtsrat der Mercedes-Benz AG und der Mercedes-Benz Group AG. 2024 soll er den Vorsitz des Gremiums übernehmen

UN-Generalsekretär António Guterres hat „Alarmstufe Rot für die Menschheit“ ausgerufen. Wenn nicht sofort und umfassend gehandelt werde, steige die Welttemperatur in den nächsten 20 Jahren um mehr als 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit – und damit zehn Jahre früher als 2018 prognostiziert. „Alarmstufe Rot“ heißt Ausnahmezustand. Finden sie, dass die Weltgemeinschaft angemessen reagiert?

Martin Brudermüller: Ich glaube, viele haben bei dieser Aussage das Rot noch als Orange interpretiert. Wir brauchen aber nur auf die Wetterkapriolen im Sommer 2022 zu schauen, um zu erkennen, dass gerade ein massiver Umbruch stattfindet. Und dass es vermutlich noch schlimmer wird. Insofern glaube ich, dass die Aussage „Alarmstufe Rot“ eine klare und die richtige Botschaft ist.

Die Energietransformation muss dramatisch beschleunigt werden. Wenn wir das nicht hinbekommen, haben wir ein wirkliches Problem als Menschheit – und viel Zeit ist nicht mehr. Dennoch wurde meiner Meinung nach bisher viel zu vorsichtig reagiert. Es gibt viel zu viele Diskussionen und Ambitionen, statt zu priorisieren und das Thema mit Vollgas anzugehen. Ich hätte sehr gern bereits noch mehr Projekte zum Klimaschutz angestoßen, Windparks für erneuerbare Energie zum Beispiel. Aber es gibt keine Projekte.

Klimawandel und Nachhaltigkeit beherrschten 2022 mehr denn je die Schlagzeilen.

Brudermüller: Bei mir persönlich haben die Alarmglocken schon früher geläutet. Ich habe mir schon lange Gedanken darüber gemacht, welche Konsequenzen unser eigenes Handeln hat. Ich habe zehn Jahre in China gelebt, bin viel in der Region und zwischendurch auch immer wieder nach Europa geflogen. Dabei habe ich mich oft gefragt: Was ist eigentlich mit meinem eigenen CO2-Fußabdruck? Ich habe daher auch privat mein Verhalten angepasst – ein kleines Beispiel dazu: Ich habe zu Hause schon vor sieben Jahren Geothermie installiert. Was ich sagen will: Ich gehe nicht mit Scheuklappen durch die Welt und verschließe die Augen nicht vor den Problemen.

2018 gab es dann für BASF ein einschneidendes Ereignis, als der Pegel im Rhein erstmals ungewöhnlich lange und weit herunterging. Wasser aus dem Rhein ist in zweifacher Hinsicht eine Lebensader für uns. Einerseits brauchen wir es für den Transport und außerdem, mindestens so wichtig: als Kühlwasser. Wenn es davon nicht genügend gibt oder das Temperaturlevel zu hoch ist, müssen wir bei BASF Anlagen runterfahren.

Wir haben sehr viel gelernt aus 2018, als wir innerhalb von ein paar Wochen 250 Millionen Euro Ergebnisverlust hinnehmen mussten. Ich glaube, das war ein Ereignis, bei dem jedem in der BASF, vor allem auch am Hauptsitz in Ludwigshafen, klar wurde: Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, die Energietransformation in eine andere Dimension und Geschwindigkeit zu bringen. Die Dekarbonisierung ist für mich eine Herzensangelegenheit. Und ich bin sehr froh und stolz, dass das bis tief in die Mannschaft hinein mitgetragen wird. Unsere Mission in Sachen Nachhaltigkeit treibt die Teams jeden Tag an.

Wo stehen wir als Gesellschaft 2030 beim Thema Klimaneutralität und Energietransformation?

Brudermüller: Wenn es weitergeht wie bisher, werden wir in Europa unser Ziel deutlich verfehlen, bis 2030 mindestens 55 Prozent des Treibhausgasausstoßes im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Unsere riesigen Ambitionen und das, was für die Umsetzung getan werden muss, passen nicht zusammen. Ich fürchte, Wetterkapriolen werden massiv zunehmen. So wird vermutlich Wasserknappheit ein großes Thema in Europa.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch Next.2030.

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Die Politik muss endlich handeln. Schluss mit Beruhigungspillen durch einen ständigen finanziellen Ausgleich von strukturellen Belastungen von allem und jedem. Wir verpassen eine große Chance, wenn wir immer nur die Symptome bekämpfen.

Welche Chance?

Brudermüller: Die Chance, den Bürgern zu sagen: Du musst deinen Lebensstil ändern, damit dein CO2-Fußabdruck kleiner wird. Die Chance, das Momentum zu nutzen, um Verhaltensänderungen auch wirklich anzugehen. Der Mut voranzugehen muss sich lohnen! Beispielsweise müssen Produkte mit niedrigerem CO2-Fußabdruck auch ihren Preis haben. Nur dann rechnet sich für Unternehmen wie BASF die Investition in den Klimaschutz. Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen. Das bedeutet: Unser Konsum und unser Leben müssen sich bis 2030 sehr stark verändern.

Brauchen wir ein neues Wir-Gefühl?

Brudermüller: Ohne das wird es kaum gehen! Unsere Gesellschaft ist zu viel und zu stark auf das Individuum ausgerichtet. Einzelne können alles lahmlegen, was auf das Gemeinwohl einzahlt. Wie sollen wir zum Beispiel beim Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommen, wenn weiterhin einzelne Menschen Projekte stoppen können, weil sie sich beim Fahrradfahren durch summende Leitungen und Rotoren von Windanlagen gestört fühlen?

Das muss sich dringend ändern. Das Gemeinwohl muss wieder stärkeres Gewicht gegenüber dem Individuum bekommen. Das ist bei uns aus der Balance geraten. Unser Wohlstand ist massiv gefährdet, wenn wir keine neuen Kräfte für wirkliche Veränderungsprozesse wecken können. Wir brauchen ein neues Verständnis über die Bedeutung des Gemeinwohls. Ich bin diesbezüglich zwar sehr skeptisch, hoffe aber natürlich, dass wir das hinbekommen, denn ohne gesellschaftlichen Konsens darüber wird es nicht gelingen.

Wenn Sie früher Unternehmensstrategie gemacht haben...

Brudermüller: …waren die Rahmenbedingungen deutlich klarer und förderlicher. Ein Beispiel dazu: Wir haben als energieintensives Unternehmen unsere Energieproduktion immer selbst in die Hand genommen. Hocheffiziente gasbasierte Kraftwerke mit direkter Integration in die Verbundproduktion vor Ort haben uns Wettbewerbsvorteile gebracht.

Jetzt werden wir dazu gezwungen, Energieverbrauch und Energieproduktion räumlich voneinander zu trennen, denn die erforderlichen großen Mengen an erneuerbarer Energie für die Dekarbonisierung des Standorts Ludwigshafen können wir nur offshore im Norden erzeugen. Wir haben deshalb mit unseren Partnern Vattenfall und Allianz den größten Offshore-Windpark der Welt in der Nordsee gebaut.

Wir brauchen aber nicht nur schnell weitere solcher Windparks, sondern sind damit auch ungewollt plötzlich von der öffentlichen Infrastruktur für die Stromverteilung abhängig geworden. Realität ist aber, dass der Infrastrukturausbau viel zu langsam ist und es nicht genug Windparkprojekte gibt. Das klingt jetzt seltsam, aber zum ersten Mal sind wir in einer sehr starken Abhängigkeit von Politik und öffentlicher Hand, wenn es um unsere Klimaschutzziele geht.

Sie waren zehn Jahre in China. Werden wir in Energiefragen überholt, bevor es richtig losgeht?

Brudermüller: China schaltet um auf Dekarbonisierung. Dort entstehen im Moment so viel Windenergie und Solarenergie wie im Rest der Welt zusammen. Die Chinesen wollen das Gebiet GreenTech zum Wachstumstreiber machen und uns vermutlich abhängen. Ich habe schon lange befürchtet, dass die Chinesen das am Ende viel schneller machen als wir in Europa.

Was heißt das für uns?

Brudermüller: Wenn das passiert, werden in Europa Produkte aus China angeboten, die CO2-frei und gleichzeitig billiger sind. Dann wird es wirklich schwierig für uns, denn welchen Vorteil haben dann noch Produkte „made in Europe“? In China kann die Regierung jederzeit sagen: Wir bauen jetzt 5.000 Windräder. Keiner widerspricht – es wird gemacht.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will hier keine Laudatio auf China halten, aber das ist Benchmark im Wettbewerb. Auch in einigen demokratisch geführten Ländern um uns herum, zum Beispiel in den Niederlanden oder in Dänemark, werden wichtige Infrastrukturprojekte als Gesetz über das Parlament beschlossen. Das beschleunigt den Planungsprozess ungemein. Ich glaube, dass wir solche Wege auch in Deutschland gehen müssen. Wir können uns den Luxus nicht mehr leisten, Projekte zu zerreden und dass Genehmigungsprozesse eine Dekade dauern.

Warnungen, dass und die Blöcke USA und China abhängen, gibt es seit Jahren. Trotzdem geht es uns recht gut. Warum müssen wir uns jetzt ernsthaft Sorgen machen?

Brudermüller: Wir haben in der Vergangenheit viel geschafft. Dafür hat uns die Welt bewundert. Mittlerweile sagen meine Kontakte in Asien aber ganz offen: „Von Europa kann man nichts mehr lernen.“ Auch in den USA sind die technologischen Möglichkeiten breiter und die Strategien zur Implementierung viel pragmatischer. Denken Sie bei der Dekarbonisierung zum Beispiel an Carbon Capture and Storage: Das wird dort viel stärker und schneller vorangetrieben und jetzt mit dem Inflation Reduction Act noch stärker steuerlich gefördert.

Wir stehen vor einem neuen Zeitalter, in dem unsere Wettbewerbsfähigkeit herausgefordert wird. Deshalb müssen wir uns fragen: Wie können wir das, was bisher gut funktioniert hat, so anpassen, dass wir unseren Wohlstand erhalten?

Die großen Probleme der Menschheit kann nur Technologie lösen. Das glaubt etwa Microsoft-Gründer Bill Gates. Müssen wir etwa angesichts des Klimawandels auch über Themen wie Kernfusion neu nachdenken?

Brudermüller: Technologie ist zweifellos der wichtigste Hebel zur Veränderung. Und weil wir die richtigen technologischen Lösungen noch nicht kennen, müssen wir offen sein. Denkverbote etwa bei Kernfusion helfen nicht weiter. Die Politik schreitet heute zu früh ein und beschränkt Forschung und Entwicklung. Ein Beispiel: Sie weiß schon heute etwa bei Wasserstoff, was richtig und falsch ist, ohne dass sich die Technologie wettbewerbsfähig durchgesetzt hat.

Wir brauchen keine Regulierung, die bestraft, sondern eine Regulierung, die belohnt und ermutigt. Neue Technologien machen vieles möglich. Bei uns in der Chemiebranche testen wir beispielsweise viele spannende Ideen in Pilotprojekten, etwa zur Elektrifizierung unserer Produktionsanlagen. Mit den richtigen Rahmenbedingungen können wir mit diesen neuen Technologien weit kommen. Aber natürlich müssen wir auch unser Konsumverhalten und unseren Lebensstil überdenken und anpassen – das muss mit den technischen Fortschritten einhergehen.

Sie haben einmal gesagt, dass die Chemieindustrie auch „Teil des Problems“ sei, weil sie eben so viel Energie verbraucht.

Brudermüller: Gleichzeitig ist sie auch integraler Bestandteil der Lösung. Ohne Chemieprodukte wird Dekarbonisierung nicht funktionieren. Sie können ohne Chemie kein Windrad bauen und ohne den chemischen Reaktor „Autobatterie“ nicht elektrisch fahren. Sie brauchen einfach überall Chemie. Unsere Produkte ermöglichen mehr Nachhaltigkeit in nahezu allen nachgelagerten Teilen der Wertschöpfungskette.

Die Herausforderung liegt in der Energie-Intensität bei der Herstellung insbesondere von Basischemikalien. Viel Energie brauchen Sie immer, wenn bei der Stoffumwandlung chemische Prozesse im Spiel sind, beispielsweise auch in der Stahl- oder Zementerzeugung. Und wir werden immer besser dabei, das in der Chemie mit weniger CO2-Ausstoß zu tun.

Dekarbonisierung liegt uns am Herzen. BASF hat, ähnlich wie die gesamte europäische Chemieindustrie, seit 1990 den CO2- Ausstoß um rund 50 Prozent gesenkt. Dennoch bleiben wir selbstkritisch und sagen: Wir müssen in Zukunft noch viel mehr beitragen.

Wie sieht Ihre Zukunft aus?

Brudermüller: Zusätzlich zur Dekarbonisierung wird das Thema Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Rohstoffe immer wichtiger. Wir werden uns langfristig als Menschheit nicht erlauben können, aus fossilen Rohstoffen nur einmal ein Chemieprodukt herzustellen, das zu nutzen und es dann zu entsorgen. Wir müssen künftig den Kohlenstoff aus Produkten, die nicht mehr gebraucht werden, in den Kreislauf zurückholen. Das kann man bei Kunststoffen durch den Einsatz von thermischer Energie relativ gut schaffen, und so kommen wir langfristig in die Kreislaufwirtschaft.

Sie sehen: Wir stehen gleich vor zwei großen Herausforderungen – der Energietransformation und der Rohstofftransformation. In meinem Zukunftsbild gelingt uns beides, sodass wir unseren Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen.

10.10.2023
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