Bild von Professor Michael Otto, während er aus seinem Hamburger Büro live für das Interview Auf dem DUP UNTERNEHMER TAG in Essen zugeschaltet.
25.10.2023    Jens de Buhr
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Sein Bildausschnitt ist klar, seine Sprache gewohnt präzise und wortgewandt. Im Video-Interview auf dem DUP UNTERNEHMER TAG in Essen mit DUP-Verleger Jens de Buhr und DUP-Herausgeberin Brigitte Zypries gewährt die Hamburger Unternehmer-Legende Professor Michael Otto (80) einen Einblick in sein Tagesgeschäft, seinen Antrieb und das Herzstück der Otto Group.

Zur Person

Porträt von Professor Michael Otto, CEO der Otto-Group.

Professor Michael Otto

ist Unternehmer, Aufsichtsratsvorsitzender und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Otto Group, einem weltweit operierenden Versandhaus
und Internethandel

Auch mit 80 Jahren sind Sie Experte für Zukunftsthemen wie KI oder Nachhaltigkeit. Wie schaffen Sie das?

Michael Otto: Ich bin neugierig und experimentierfreudig. Wenn mich etwas interessiert, beschäftige ich mich damit. Das gilt heute umso mehr, etwa für Künstliche Intelligenz, kurz KI, Digitalisierung oder Nachhaltigkeit. Wer sich mit diesen dynamischen Entwicklungen nicht auskennt und die Wirkung, Chancen und Risiken nicht versteht, kann keine vernünftigen Entscheidungen treffen. Dieser Wissensdurst treibt mich an.

Was würden Sie heute als junger Unternehmer gründen?

Otto: Ich würde ein E-Commerce-Unternehmen gründen, mit klarer digitaler Ausrichtung im Consumer- und Digital-Health-Bereich.

In welchen Digital-Health-Projekten sind Sie mit der Otto Group heute tätig?

Otto: Wir sind zum Beispiel an der Schweizer Unternehmensgruppe Medgate Holding mehrheitlich beteiligt. In der Schweiz dürfen Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten telefonisch oder digital über Videokonferenzen beraten. Dadurch lassen sich rund 50 Prozent der Krankheitsfälle aufklären und behandeln – und gleichzeitig die ambulanten und statio­nären Sektoren entlasten. Deshalb erhalten jene, die eine Erstberatung digital durchführen, eine günstigere Krankenversicherung – als Belohnung.

Die sonstigen Patientinnen und Patienten, deren Fälle sich nicht digital aufklären lassen, werden selbstverständlich effizient an die jeweiligen Fachärzte vermittelt. So gewinnen alle Seiten, und zugleich bleiben die Gesundheitskosten unter Kontrolle.

Funktioniert dieses Modell auch in Deutschland?

Otto: Aktuell nur bedingt. Doch das wird und muss sich künftig auch hierzulande durchsetzen. Eines unserer Unternehmen vermittelt bereits digitale Beratung zu Gesundheitsfragen. Allerdings dürfen Ärztinnen und Ärzte derzeit nur 30 Prozent ihrer Beratung digital vornehmen. Warum das zurzeit noch begrenzt ist, versteht niemand so richtig. Aber das wird sich noch ändern!

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie als Versandhaus in den digitalen Gesundheitsmarkt investiert haben?

Otto: Wir haben einmal im Jahr eine Strategiesitzung mit dem gesamten Vorstand, auf der wir künftige Entwicklungschancen verschiedener Sektoren diskutieren. Die Ableitung ist recht logisch: Unsere Gesellschaft altert massiv, wodurch künftig immer mehr Krankheitsfälle auftauchen werden. Um also unser Gesundheitssystem überhaupt noch finanzieren zu können, brauchen wir neue Modelle der Versorgung – ohne dass dabei die medizinische Qualität leidet.

Wir wollen mit einer softwarebasierten Plattform, die ärztliche Beratung und Gesundheitsprodukte sowie auch Dienste von Drittanbietern miteinander vereint, unseren Teil dazu beitragen, dass die Versorgung gewährleistet ist.

Ist es bei Otto vorstellbar, eine boomende Unternehmenssparte zu verkaufen, so wie es die Familie Viessmann unlängst getan hat?

Otto: Nein, mit sehr großer Sicherheit nicht.

Auch nicht, wenn Sie bei KI oder Digitalisierung den Anschluss verlieren würden?

Otto: Nein. Beides sehe ich vielmehr als Motor für dynamische Entwicklungen, die immer auch die Kultur und Struktur des Unternehmens beeinflussen. Wir müssen bei allen Veränderungen die Mitarbeitenden mitnehmen, dann verlieren wir den Anschluss nicht.

Dazu gehört zum Beispiel, dass wir es den Menschen erlauben, in Umbruchphasen Fehler zu machen. Das gilt übrigens genauso für Führungskräfte, die als Coaches und als Entwickler von Lösungen vorangehen müssen. Heutzutage sind aber die Lösungen derart komplex und unterliegen einer unfassbaren Agilität, dass Fehler in den Erprobungsphasen dazugehören.

Haben Sie ein Beispiel für diese Kultur?

Otto: Wir veranstalten bei Otto regelmäßig sogenannte Fuck-up-Nights. An diesen Abenden stehen vom Azubi bis zum Vorstand, ja sogar bis zu meiner Person als Gesellschafter, Menschen auf der Bühne, die offen über ihre Fehler berichten und was sie daraus gelernt haben. Darüber haben wir entdeckt, dass erst aus einer Kultur, in der Fehler passieren dürfen, wirklich positive Veränderungen wachsen können. Das ist auch ein entscheidender Bestandteil der digitalen Zeit.

Was tun Sie, um in Zeiten von Fachkräftemangel Mitarbeitende zu gewinnen?

Otto: Wir setzen uns mit Zukunftsthemen wie digitaler Transformation oder Nachhaltigkeit auseinander und integrieren sie aus voller Überzeugung sowie zum Wohle des Unternehmens in unsere Prozesse. Auf dieser Reise beziehen wir unsere Mitarbeitenden von Anfang an ein, hören ihnen zu, bestärken sie in ihren Ideen und sorgen dafür, dass sich alle als wichtiger Teil des Unternehmens fühlen. Diese besondere Unternehmenskultur hilft uns dabei, einerseits gute Mitarbeitende jeden Alters an uns zu binden und andererseits auch neue Talente anzusprechen.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeitenden sich in der digitalen Welt zurechtfinden?

Otto: Wir schulen unsere Mitarbeitenden über E-Learning-Konzepte, um ihnen in ihren jeweiligen Bereichen neue Chancen aufzuzeigen und natürlich auch die Ängste vor Veränderungen zu nehmen. Im Logistik-Bereich etwa nehmen unsere Mitarbeitenden Robotik-Hilfen so viel besser an, weil sie verstehen, dass das Zusammenspiel von Mensch und Maschine die Arbeit erleichtern kann. Deshalb ist ein achtstündiger E-Learning-Kurs während der Arbeitszeit für alle Mitarbeitenden verpflichtend. 

Welche Projekte brennen Ihnen gerade auf der Seele?

Otto: Wir experimentieren viel, etwa mit „Predictive Analytics“. Dank KI können wir so im E-Commerce vorhersagen, welche Nachfrage zum Beispiel ein rotes Kleid im Dezember erzielen wird. Die Trefferquote liegt bei 90 Prozent. Ein derartiger KI-Einsatz lässt sich auch auf andere Produktbereiche übertragen. Selbst wenn sich manches als Sackgasse erweist, erwächst doch ein Erkenntnisgewinn für uns daraus.

25.10.2023    Jens de Buhr
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