Portraitfoto von Bundesumweltministerin Steffi Lemke
15.04.2024    Christian Buchholz
  • Drucken

Mit der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) hat die von der Ampel-Koalition geführte Bundesregierung im April 2023 nach eigener Aussage einen offiziellen „Rahmen geschaffen, der die rohstoffpolitisch relevanten Strategien der Bundesregierung“ zusammenführen soll. Denn die Spitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den primären Rohstoffbedarf in Deutschland absolut zu senken.

Durch die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie soll die deutsche Wirtschaft aber nicht nur nachhaltiger, sondern gleichzeitig effizienter und unabhängiger von internationalen Lieferketten werden. Unternehmen sollen zudem ermutigt werden, neue nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln. Geht es nach Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, kommt in diesem Transformationsprozess digitalen Technologien eine Schlüsselrolle zu: Denn sie könnten den gesamten Produktlebenszyklus unterstützen und nachhaltigen Konsum fördern.

Zusammenarbeit mit vielen Akteuren

Sowohl national wie auch auf europäischer Ebene wurden bereits verschiedene Initiativen angestoßen, um die hiesige Wirtschaft zu transformieren – unter anderem mit einer Novelle des Verpackungsgesetzes, der Verabschiedung eines „Reparaturgesetzes“ (Right-to-Repair-Richtlinie der Europäischen Union) sowie mit verschiedenen Förderprogrammen für digitale Technologien, die zur Optimierung der Ressourcennutzung eingesetzt werden können. Wichtig ist Steffi Lemke und ihrem Bundesumweltministerium bei der Umsetzung der NKWS eine enge Zusammenarbeit mit nationalen wie internationalen Akteuren – einschließlich Unternehmen, Verbänden und Start-ups.

Zur Person

Steffi Lemke

(Bündnis 90/Die Grünen) ist seit Dezember 2021 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Sie war bereits von 1994 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und ist es wieder seit September 2013. Lemke studierte von 1988 bis 1993 Agrarwissen- schaften an der Humboldt-Univer sität in Berlin und war 1989 Gründungsmitglied der Grünen Partei in der ehemaligen DDR

DUP UNTERNEHMER-Magazin: Im vergangenen Herbst gab es die Meldung, dass Deutschland laut Expertenrat seine Klimaziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen bis 2030 klar verfehlen wird, vielmehr werde die Klimaschutz-Lücke eher größer. Wie soll die Kehrtwende noch gelingen – beispielsweise angesichts des Plans der Bundesregierung, die verpflichtenden jährlichen Sektorziele aufzuweichen?

Steffi Lemke: Mit konsequentem Klimaschutz. Diese Bundesregierung hat den Ausbau der erneuerbaren Energien in einem Maße vorangetrieben, das es vorher so nicht gab. Wir haben ein umfassendes Klimaschutzprogramm mit 130 Einzelmaßnahmen aus allen Bereichen erarbeitet. Besonders wichtig ist mir, dass die Bundesregierung erstmals ein Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aufgesetzt hat. Die vorgeschlagene Novelle des Klimaschutzgesetzes hält an den ambitionierten Klimaschutzzielen fest. Demnach müssen weiterhin diejenigen Bundesministerien, deren Sektoren zur Überschreitung der Klimaziele beitragen, beim Klimaschutz nachlegen.

Warum braucht Deutschland zwingend eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie? Welche konkreten Ziele verfolgt diese Strategie, und wie sollen sie erreicht werden?

Lemke: Angesichts der Klimakrise, knapper Rohstoffe und unsicherer Lieferketten muss die Wirtschaft der Zukunft Ressourcen sehr viel effizienter nutzen, als wir das heute tun. Durch Kreislaufwirtschaft kann die Industrie schneller und kostengünstiger klimaneutral werden. Zirkuläres Wirtschaften macht Unternehmen unabhängiger von Rohstoffimporten und damit wettbewerbsfähiger und krisenfester. Kreislaufwirtschaft schafft zudem neue Märkte und Geschäftsmodelle. Dieses Potenzial wird die Bundesregierung mit der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie aufgreifen und umsetzen.

Die Grünen gelten vielen als Verbotspartei. Mit den Vorgaben für eine Kreislaufwirtschaft scheint sich das zu bestätigen. Bremsen Sie nicht mit dem Vorhaben die Wirtschaft aus?

Lemke: Im Gegenteil. Mit der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie ermöglichen wir neue Wege und Chancen. Künftig wird es darum gehen, dass Abfälle gar nicht erst entstehen, Produkte kreislaufgerecht entworfen und möglichst lange verwendet werden. Dafür müssen sie so verarbeitet werden, dass sie sich am Ende der ersten Nutzung gut trennen und ohne großen Qualitätsverlust wiederverwerten lassen. Entwickler, Hersteller und Verwerter werden also künftig enger miteinander kooperieren – über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes hinweg. So entstehen vereinfachte Prozesse und neue Geschäftsmodelle.

Welche Rolle spielen Zukunftstechnologien in Ihren Überlegungen? Können Sie Beispiele benennen, die bei der Umsetzung der Kreislaufwirtschaftsstrategie eine entscheidende Rolle spielen?

Lemke: Digitale Technologien sind der Motor für die Kreislaufwirtschaft, und zwar in allen Phasen der Produktion: vom Design eines Produkts über dessen Herstellung bis hin zur Wiederverwendung einzelner Stoffe. Der „Digitale Produktpass“ ist hier zentral, weil er alle erforderlichen Produktdaten liefert und diese Herstellern, Händlern und Verbrauchern zugänglich macht. Die hinter dem Produktpass liegenden Datenräume sind so zu gestalten, dass auch übergreifende Erkenntnisse gewonnen werden können, zum Beispiel zu den Fragen: Wie viele potenzielle Wertstoffe sind derzeit im Markt, und wann stehen sie für die Produktion wieder in welcher Menge zur Verfügung? Digitale Technologien können auch über Plattformen für Kreislaufwirtschaft oder Assistenzsysteme den nachhaltigen Konsum unterstützen.

Setzen Sie beim Thema Innovationen und Technologie eher auf tradierte Unternehmen oder doch lieber auf Start-ups?

Lemke: Wir wollen alle wirtschaftlichen Akteure ins Boot holen. Während Start-ups meist schneller, agiler und kreativer Lösungen entwickeln können, braucht es in der Umsetzung finanzstarke Investoren. Wir haben bereits gute Modelle und Ideen. Es geht darum, sie aus der Nische zu holen und in die Breite zu bringen. Am Ende brauchen wir alle Unternehmen für eine umfassende Transformation. In der Kreislaufwirtschaft gibt es in Deutschland bereits eine sehr dynamische Start-
up-Szene, die es zu fördern und zu vernetzen gilt.

Ein zentraler Aspekt der Kreislaufwirtschaft ist die Reduzierung von Abfall und die Förderung von Recy­cling. Aktuell ist es aber immer noch erheblich billiger, Plastik neu herzustellen, als es mühsam zu recyceln. Auch die Materialqualität von Neuplastik ist besser. Wie plant die Bundesregierung, den Recyclinganteil in Deutschland zu erhöhen, und welche Maßnahmen werden ergriffen, um dies zu erreichen?

Lemke: Zunächst einmal wird sich nach geltendem Recht der Anteil an recyceltem Plastik ab 2025 EU-weit durch Rezyklateinsatzquoten für PET-Getränkeflaschen erhöhen. Diese Flaschen müssen dann aus mindestens 25 Prozent Rezyklat hergestellt werden. Auf EU-Ebene setzen wir uns seit Langem für Mindesteinsatzquoten für Kunststoff-Rezyklate ein, in Kunststoffverpackungen, aber auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel bei Autos. Nicht zuletzt stärkt die neue europäische Ökodesign-Verordnung durch verbindliche Vorgaben den Markt für Produkte, bei denen das Recycling von Anfang an mitgedacht wird.

Unternehmensverbände warnen, dass das Potenzial des Recyclings von Rohstoffen teils massiv überschätzt werde. In der Baubranche etwa liege der jährlich anfallende Bauschutt deutlich unter der benötigten Rohstoffmenge. Wie soll sich der Bedarf an Primärrohstoffen spürbar reduzieren lassen?

Lemke: Bauschutt, Straßenaufbruch oder Boden und Steine bilden mit über 200 Millionen Tonnen den größten Abfallstrom in Deutschland. Doch nicht alle brauchbaren Materialien werden heute verwertet. Je mehr mineralische Abfälle in eine kreislauforientierte Bewirtschaftung gelangen, desto mehr wertvolle Ressourcen können gesichert werden – und machen die deutsche Wirtschaft unabhängiger von Rohstoff-Importen. Mit der Ersatzbaustoffverordnung haben wir das Recycling von Baustoffen durch bundesweit einheitliche Regelungen erleichtert. Dennoch können wir nicht allein auf Recycling setzen. Die meisten Primärrohstoffe sparen wir, wenn wir ein Haus nicht abreißen, sondern sanieren und weiternutzen, statt ein neues zu bauen. Recycling ist nur ein Baustein, um Ressourcen einzusparen.

Ein anderer Kritikpunkt lautet, dass der Energieaufwand beim Recycling häufig relativ hoch und damit weniger nachhaltig als oft angenommen sei. Etwa in der Bauwirtschaft. Wenn dann auch noch längere Transportwege als für in der Region gewonnene Primärrohstoffe hinzukommen, wirkt sich das negativ auf die CO₂-Bilanz für Recyclingmaterialien aus. Was ist dran an solchen Einwänden?

Lemke: Große Mengen an Abfällen quer durch die Republik zu transportieren – das ergibt wenig Sinn. Mineralische Abfälle sollten am besten regional verwertet werden. Die nötigen regionalen Stoffkreisläufe müssen aber erst noch entwickelt werden – eine Chance für neue Geschäftsmodelle und die regionale Wertschöpfung in Deutschland. Und wir brauchen Daten, um einen Überblick zu bekommen, wann welche Stoffe zur Verfügung stehen. So können Unternehmen vor Ort besser planen und am regionalen Stoffkreislauf teilhaben. Energetisch günstiger wird immer die Verwendung von ganzen Bauteilen. So nutzen wir die Energie weiter, die für die Herstellung eingesetzt wurde.

EU-Rat, -Kommission und -Parlament haben sich kürzlich auf ein „Recht auf Reparatur“ geeinigt, Ihr Ministerium möchte, dass ein „Reparaturgesetz“ noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Hersteller bestimmter Produkte werden damit unter anderem verpflichtet, Ersatzteile vorzuhalten oder Ersatzgeräte zur Verfügung zu stellen, wenn die Reparatur zu lange dauert. Wie wollen Sie sicherstellen, dass gerade kleinere und mittelständische Firmen mit den Kosten und bürokratischen Anforderungen nicht überfordert werden?

Lemke: Die Right-to-Repair-Richtlinie ist ein starkes Signal für Verbraucherinnen und Verbraucher, weil sie die Reparatur von defekten Produkten wesentlich leichter macht. Die Richtlinie stärkt zugleich Hersteller, die bereits auf Langlebigkeit und Reparierbarkeit ihrer Produkte setzen. Das sind vor allem Hersteller in Deutschland und in der EU. Auch für Handwerksbetriebe wird es einfacher, weil sie künftig keine Beschränkungen mehr für die Nutzung von Ersatzteilen haben. Als Nächstes wird die Bundesregierung die EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Dabei ist mir wichtig, dass es möglichst wenige bürokratische Hindernisse gibt, um das Recht auf Reparatur wirklich attraktiv auszugestalten.

Kreislaufwirtschaft erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. Wie kann es gelingen, alle relevanten Parteien an der Umsetzung der Strategie zu beteiligen?

Lemke: Verbände und Unternehmen in die Entwicklung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie einzubinden ist mir ein zentrales Anliegen. Den Anfang machten Spitzenverbände aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Darauf folgten weitere Dialogformate, in denen Experten aus relevanten Handlungsfeldern über Ziele und Maßnahmen diskutiert haben. Handlungsfelder sind zum Beispiel Produkte wie Fahrzeuge und Batterien, Bekleidung sowie Elektrogeräte, aber auch Querschnittsthemen wie die öffentliche Beschaffung und Digitalisierung. Auch nach Beschluss der Strategie werden wir Unternehmen und Verbände eng in die Umsetzung einbeziehen.

Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich bei der zirkulären Wirtschaft für die internationale Zusammenarbeit von Unternehmen und Organisationen?

Lemke: Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft sind schon länger auch international ein Thema. 2015 hat Deutschland die G7-Allianz für Ressourceneffizienz ins Leben gerufen. 2022 haben wir die erneute deutsche G7-Präsidentschaft genutzt, um mit der „Berlin Roadmap“ einen ambitionierten Fahrplan zur Nutzung von Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft für Klima- und Umweltschutz zu etablieren. Auch auf G20-Ebene haben wir 2017 den G20-Ressourceneffizienzdialog als das zentrale Forum zum Austausch zu Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft geschaffen. Herausforderungen ergeben sich immer da, wo wir neue und gebrauchte Produkte exportieren und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe. Aber ich sehe das zugleich als eine Chance, solche Themen in Partnerabkommen zu adressieren und damit Kreislaufwirtschaft zu exportieren.

Wie können Unternehmen bei Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft national wie international wettbewerbsfähig bleiben?

Lemke: Wir stellen durch die Transformation zu einer nachhaltigen und ressourcensparenden Wirtschaft sicher, dass Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und die Zukunftsmärkte frühzeitig besetzen. Deutschland ist schon jetzt in vielen Bereichen von Umwelttechnologien auf dem Weltmarkt führend, weil wir hier die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen für nachhaltiges und umweltfreundliches Wirtschaften gesetzt haben.

15.04.2024    Christian Buchholz
  • Drucken
Zur Startseite