Ein Mülleimer quillt über.
10.09.2021    Miriam Rönnau
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Künstliche Intelligenz (KI), also selbstlernende Programme, ist schon an vielen Stellen am Werk. Etwa im Bereich der Social Media, wo sie dafür sorgt, den Nutzer mit Nachrichten zu seinen individuellen Lieblingsthemen zu versorgen. Kann die Technologie auch helfen, die Verschwendung von Lebensmitteln einzudämmen? Ja, sagen Alexander Piutti und Christopher Möhle. Beide spannen mit ihren Unternehmen dazu die KI ein. Piutti ist CEO und Gründer des Impact-Start-ups SPRK.global, Möhle COO der Digitalagentur Turbine Kreuzberg.

Zur Person

Porträt von Alexander Piutti

Alexander Piutti

ist ein Impact-orientierter Seriengründer, Angel-Investor und Innovationscoach. So hat er bereits mehrere Technologie- und Impact-Unternehmen aufbaute, darunter Global Venture Partners, Overture (verkauft an Yahoo! für $1,6 Mrd.), GameGenetics, SirPlus, Rehago und zuletzt SPRK.global

Zur Person

Porträt von Christopher Möhle

Christopher Möhle

ist COO bei Turbine Kreuzberg und begleitet Unternehmen bei der Entwicklung von digitalen Produkt- und Serviceplattformen sowie individuellen Applikationen auf IoT- und Blockchain-Basis. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technologie und Umsetzungsstrategie. Möhle leitet den Plattform-Bereich der Agentur

Mit ihren Tech-Produkten wollen Sie Unternehmen dabei helfen, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Wie kam es zu der Idee?

Alexander Piutti: Ich bin Seriengründer und habe eine Reihe an digitalen Marktplätzen aufgebaut oder dabei geholfen. Auf das Problem der Lebensmittelverschwendung bin ich eher zufällig gestoßen, als mir ein Schicksalsschlag und die Geburt meiner ersten Tochter mir die Augen öffneten – und ich mich entschloss, mein Wissen und Netzwerk dafür einzusetzen, etwas Gutes zu bewirken.

Wie geht das?

Piutti: Ich habe mich in den letzten fünf Jahren in die Branche reingearbeitet und erkannt: Es besteht Potenzial, einen innovativen Sekundärmarkt für Lebensmittelüberschüsse der Lieferkette aufzubauen, von dem alle profitieren können.

Christopher Möhle: Im Grunde haben wir den Bedarf bei uns selbst gesehen. Wir bei Turbine Kreuzberg trinken eine bestimmte Sorte Eistee besonders gern – und der war entsprechend oft vergriffen. Also haben ein paar der Kolleginnen und Kollegen eine Lösung zur Automatisierung der Getränkebeschaffung entwickelt. Mit diesem Prototyp sind wir dann an die Getränkebranche herangetreten und die Unternehmen haben das Potenzial unserer Lösung sofort erkannt.

Herr Piutti, werden wir konkreter – ihr Start-up SPRK will überschüssige Lebensmittel in der Lieferkette umverteilen. Wie soll das gehen?

Piutti: Wir möchten die globale Lebensmittelverschwendung deutlich herunterfahren und langfristig die Überproduktion senken, die aktuell bei 40 Prozent liegt. Das Problem ist enorm: Weltweit werden pro Jahr 2,5 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet, davon 12 bis 20 Millionen Tonnen allein in Deutschland. Der Großteil, 60 Prozent, fällt bereits am Anfang und in der Mitte der Lieferkette an, nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Um das Problem zu lösen, bauen wir mit SPRK eine globale, digitale Handelsplattform auf und verteilen damit überschüssige Lebensmittel um und bringen sie wieder in den Kreislauf.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Piutti: Eine Tonnage an Tomaten, die es gar nicht erst ins Supermarkt-Regal schafft, kann etwa zum Pesto- oder Ketchup-Hersteller weitergereicht werden. Oder genießbare Ware, die keinen Abnehmer findet, kann in Kantinen oder Restaurants angeboten werden. Durch die Transformation schaffen wir ein neues Mindesthaltbarkeitsdatum und verlängern so das Leben der Lebensmittel. Zugleich stellen wir nachhaltige Produkte her, die auch von Handels-Abnehmern und Verbraucherinnen und Verbrauchern immer stärker nachgefragt werden.

Und wie hilft die intelligente Software?

Piutti: Das Herzstück unseres Unternehmens bildet unsere Handels- und Distributionsplattform. Sie erkennt mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und mit der Zeit Muster und kann so dafür sorgen, dass Überschüsse vorhergesehen und Angebot und Nachfrage von Waren schnellstmöglich in Einklang gebracht werden. Fällt der Sommer ins Wasser, trinken die Leute weniger Bier oder Grillen weniger. Wassermelonen werden in der Regel vom Konsumenten nur gekauft, wenn die Sonne scheint. Das erkennt die KI und kann frühzeitig passende Abnehmer für Ware finden, die im Supermarkt nicht abgenommen wird.

Ein anderes Beispiel einer technischen Lösung: Resourceful ist eine Cloud-Plattform für Supply Chain Automation. Wie genau funktioniert die Lösung und inwiefern kommt dabei Künstliche Intelligenz zum Einsatz?

Möhle: Im ersten Schritt werden Lagerflächen, etwa Regale oder auch ganze Lagerhallen, mit Internet of Things-Sensorik ausgestattet, die über die Cloud-Plattform kommuniziert. Die Plattform bietet Schnittstellen zu gängigen ERP- und Shopsystemen und bildet mithilfe von Stücklisten den bestehenden Warenstrom ab. Die KI optimiert daraufhin den Bestellprozess und berücksichtigt eine Vielzahl an Bestellkriterien. So optimiert das System etwa nach Preis oder Bestellmengen und senkt Lieferkosten. Zudem erkennt die Software Muster in den Nutzungsdaten und kann dadurch vorhersagen, welche Waren in welchen Mengen zu welchem Zeitpunkt benötigt werden.

Werden dabei auch Themen wie soziale Verantwortung innerhalb der Lieferketten berücksichtigt?

Möhle: Es ist es vorstellbar, Faktoren wie ökologische Nachhaltigkeit in der Produktion oder bei den Arbeitsbedingungen zu integrieren. Das können zusätzliche Parameter sein, nach denen das System Bestellprozesse optimiert. Ich könnte sagen: Bestelle nur ab einer ausreichend großen Bestellmenge, innerhalb einer bestimmten Preisspanne und von Herstellern, die Nachhaltigkeitskriterien in der Produktion berücksichtigen. Resourceful ist so entwickelt, dass es flexibel an die jeweiligen individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann. Entscheidend ist natürlich, dass die dafür notwendigen Daten verfügbar sind.

Welchen Einfluss hat die Coronapandemie beziehungsweise die daraus resultierenden Erfahrungen in puncto globale Lieferketten und Warenbestand auf Ihre Lösung?

Möhle: Die Coronapandemie hat dazu geführt, dass deutlich mehr Individualbestellungen spontan getätigt wurden, auch weil Lagerbestände aus der Ferne schlechter überwacht werden konnten. Für die Lieferanten ist das eine logistische Herausforderung und am Ende hatten wir mehr beziehungsweise öfter Lieferfahrzeuge auf der Straße als eigentlich nötig. Mit Resourceful sind wir aktuell noch in der Erprobung, aber die Nachfrage von Unternehmen ist groß und das Feedback sehr positiv. Wir rechnen mit einem hohen Bedarf – auch über die Pandemie hinaus.

Inwiefern kann Technologie helfen, Lieferketten effizienter zu machen? Wo sehen Sie noch Potenzial?

Piutti: Technologie ist ein wichtiger Schlüsselfaktor, da nahezu in Echtzeit abgebildet werden kann, wann wo welche Produkte in der Lieferkette als Überschuss anfallen. Potenzial sehe ich vor allem noch in der Technologieoffenheit der verschiedenen Akteure der Lieferkette, sich an neue Systeme oder eben Plattformen anzudocken und Teil von etwas Größerem zu werden. Auch wäre es schön, wenn innovative technologische Lösungen vom Staat mehr und pragmatischer gefördert würden.

Möhle: Wir sehen enormes Potenzial in der Optimierung der „letzten Meile“ – quasi der Königsdisziplin der Logistik. Da kochen Logistikunternehmen bisher jedoch alle ihr eigenes Süppchen. Was wir brauchen ist ein Umdenken hin zu einer offenen Lösung, die allen Beteiligten Vorteile bringt. Und zwar so erhebliche, dass auch konkurrierende Unternehmen gewillt sind, zusammenzuarbeiten und zum Beispiel ihre Daten zu teilen. Der Hebel liegt in der Prozesseffizienz: Können wir sie auf der letzten Meile steigern, dann bedeutet das weniger Leerfahrten, weniger Lieferwagen auf den Straßen und weniger erfolglose Zustellversuche. Das wiederum heißt: weniger Emissionen, geringere Kosten und auch höhere Anwohner- und Kundenzufriedenheit.

Das Lieferkettengesetz ist in der deutschen Wirtschaft nicht sonderlich beliebt. Wie stehen Sie dazu?

Piutti: Mit Blick auf den Lebensmittelsektor ist es grundsätzlich gut, dass es das Lieferkettengesetz gibt und damit in Angriff genommen wird, mehr Transparenz zu schaffen. Schön wäre es, wenn darüber letztlich auch die externen Kosten – etwa der CO2-Fußabdruck eines Lebensmittels – mit abgebildet würden, so dass die Verbraucherinnen und Verbraucher am Regal genauer wissen, woher die Produkte kommen und entsprechende Kaufentscheidungen treffen können.

Möhle: Das Lieferkettengesetz kann dazu führen, dass sich Unternehmen wirklich damit auseinandersetzen, wie es um die Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten steht. Außerdem erhoffen wir uns davon mehr Transparenz in globalen, häufig undurchsichtigen Märkten. Das kommt nicht zuletzt auch einer Lösung wie Resourceful entgegen.

10.09.2021    Miriam Rönnau
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