Eine Roboterhand greift nach einem Leuchtturm.
11.12.2023    Jenny Kunz
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Erste Stunde Mathe, zweite Stunde Englisch und dritte Stunde Künstliche Intelligenz (KI). Wenn es nach Christian Schlögel geht, sehen so bald die Stundenpläne in deutschen Schulen aus. Denn: Nur wer Dinge in ihrer Grundidee und -struktur versteht, kann diese auch zum eigenen Zweck nutzen. „Aus meiner Sicht ist KI die Technologie, die diese Dekade am meisten verändern wird – und das in allen Lebensbereichen“, so der Experte. „Da finde ich es unumgänglich, dass sich die junge Generation möglichst früh damit auseinandersetzt.“

Gleich daneben auf der Schulbank sieht er aber so einige Inhaber, Geschäftsführerinnen und Führungskräfte sitzen. Vom kleinen Familienbetrieb über mittelständische Unternehmen bis zum Großkonzern. „Bei denen wäre es sogar noch wichtiger, ein entsprechendes Verständnis zu schaffen, weil die jetzt an den entscheidenden Stellen sitzen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.“ Für ihn ist der größte Irrtum, den Entscheiderinnen und Entscheider gerade begehen können, die neue Technologie kategorisch zu ignorieren. 

ChatGPT ist in vielen Köpfen zum  Paradebeispiel  für KI geworden. Extrem fasziniert scheinen alle von den generativen Möglichkeiten vom Referat bis zum Pressetext. Dabei gibt es das theoretische Wissen rund um neuronale Netze schon lange. Die praktische Umsetzung scheiterte aber noch an äußeren Faktoren wie mangelnder Rechenleistung oder Datensammlungen. Maschinelles Lernen, Robotik, autonomes Fahren – all das gehört zur großen KI-Welt. Und wird in der aktuellen Diskussion oft übersehen. 

Veränderung braucht Partizipation

Schlögel will deshalb den Fokus mehr auf die Chancen für die Produktion lenken (siehe Infokasten), auf eine KI-unterstützte Optimierung in Hinblick auf  Effizienz, Qualität oder auch Nachhaltigkeit. „Aber das wird nur erfolgreich sein, wenn wir eben auch die Menschen vor Ort für die Veränderung gewinnen. Da kann ich nicht einfach sagen: So, wir machen das jetzt mit KI und du, der das die letzten
20 Jahre gemacht hat, sitzt einfach daneben.“ Dafür brauche es enge Begleitung und immer wieder Aufklärungsarbeit, damit alle verstehen, dass KI keine Bedrohung sein muss. „Das ist die Sorge in vielen Köpfen – aber in der Realität haben wir einen Fachkäftemangel.“

Nehmen wir das ganz praktische Beispiel einer Brennerei. Die Öfen sollen 24 Stunden laufen, müssen also 24 Stunden von einem im Ernstfall möglichst erfahrenen Mitarbeitenden kontrolliert werden. Nachtschicht. Viel Verantwortung. Immer weniger Kollegen. „Da wäre es doch sinnvoll, Routineaufgaben wie Temperaturkontrolle, Regulierung und so weiter von einer KI unterstützen zu lassen, um die wertvolle Expertise des Mitarbeitenden an anderer Stelle besser nutzen zu können“, so Schlögel. Aber auch das gelte es noch zu verinnerlichen. Womit wir wieder bei der Idee mit dem Schulfach wären. 

Für alles den passenden Roboter

Die nächste große Technikrevolution, die alle Lebensbereiche verändern wird, ist laut Schlögel KI-unterstützte Servicerobotik. Hier gibt es drei Arten: Industrierobotik wie etwa die Fahrzeugfertigung, autonome Mobile Robots und sogenannte Humanoiden. Während in der Industrie auch Deutschland, allen voran mit dem Robotik-Pionier Kuka, international mit vorn dabei war, ist in Sachen autonome Mobile Robots vor allem China federführend. Was Humanoiden – zum Beispiel Haushaltsroboter für die Allgemeinheit –
angeht, sei noch nicht klar, welche Nation die Entwicklung anführen wird. „Da sind kulturell die Japaner zum Beispiel schon relativ weit, weil es dort nicht diese Technologie-Skepsis in der breiten Bevölkerung gibt“, so Schlögel. Das Mindset sei einfach weniger risikobewertend, dafür das Spielerisch-Explorative stärker ausgeprägt. „Manchmal wünsche ich mir in Europa ein bisschen mehr Leichtigkeit im Umgang mit neuen Technologien.“ Viele der klassischen Ingenieurtugenden hätten zwar ihre volle Berechtigung, bremsen manchmal aber auch. „Spielt mehr! Probiert euch aus!“, so der fast schon wieder kindliche Appell. „Denn jede technische Entwicklung muss mit einer gesellschaftlich-kulturellen einhergehen.“

Ein KI-Leuchtturm zum Start

Dabei  müsse ja nicht gleich alles über den Haufen geworfen werden. Oft reichen schon kleine, abgegrenzte Leuchtturmprojekte, um Skepsis abzubauen und erste Erfahrungen zu sammeln. „Wie wäre es mal mit einem etwas anderen guten Vorsatz für 2024?“, so Schlögels Vorschlag. „Suchen Sie sich einen Aspekt im Unternehmen aus, den Sie verbessern wollen, und gehen Sie das mithilfe von KI an. Das wird Ihr KI-Leuchtturm!“

Zur Person

Christian Schlögel

ist Chief Digital Officer und Mitglied des Vorstands der Körber AG 

11.12.2023    Jenny Kunz
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