Ein Auto mit einem digitalen Zwilling
09.12.2021    Miriam Rönnau
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Nur 28 Prozent der Beschäftigten in Deutschland betrachten die Automatisierung der Arbeit mit Sorge. Das zeigt eine Studie unter Beteiligung des Stellenportals Stepstone, des internationalen Jobbörsenverbands The Network und der Beratung Boston Consul­ting Group. Entsprechend niedrig ist die Bereitschaft zu Umschulung und Weiterbildung. Und das ­könnte sich als Fehleinschätzung erweisen. Denn: „Der Automatisierungsgrad nimmt zu – und zwar rasant“, sagt Gerald Mies. Mies ist Geschäftsführer von KUKA Systems, einem Anbieter von Robotik, industriellen Fertigungsanlagen und Systemtechnik. Aus der Praxis berichtet er, warum die Automation nicht nur die Automobilindustrie wandelt, warum es digitale Zwillinge braucht und warum künftig mehr Spezialisten denn je gefragt sein werden.

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Zur Person

Portrait von Gerald Mies

Gerald Mies

ist CEO von KUKA Systems, einem weltweit aktiven Anbieter von roboterbasierten Automationslösungen für industrielle Fertigungsanlagen

KUKA setzt auf die digitale Fabrik. Was macht dieses Konzept aus?

Gerald Mies: Wir definieren die digitale Fabrik als durchgängigen digitalen Prozess. Er beginnt im Vertrieb, reicht über den Angebots- und Kalkulationsprozess, das Projektmanagement und die Inbetriebnahme bis hin zum Aftersales. In unserer digitalen Welt ist diese letzte Stufe neu. Der digitale Zwilling einer Fabrik konzentrierte sich auf die ersten Stufen und darauf, die Produktionsanlage in allen Eigenschaften online zu tracken. Nun aber können wir auch präventive Wartung realisieren. Ausfälle werden so vermieden, bevor sie geschehen: Welcher Roboter läuft am Limit? Bei welchem Konvoi bildet sich ein Stau? Welche Arbeitsplätze sind überlastet, wo kommen die Mitarbeitenden nicht mehr im Takt mit? All das lässt sich aus Modellen ableiten. Den Aftersales-Bereich zu berücksichtigen hebt also viel Potenzial.

Welche Möglichkeiten stecken im digitalen Zwilling?

Mies: Es ist eine virtuelle Eins-zu-eins-Abbildung dessen, was verbaut wurde. Jede Fehlfunktion wird so sichtbar, da auch in der digitalen Welt eine Steuerung auf ein Signal wartet. Und wenn das geschieht, wird es – genau wie in der realen Anlage – protokolliert. Ein weiterer Vorteil für Kunden: Wenn neue Produkte eingeführt werden, muss dies nicht über die laufende Anlage geschehen. Über den digitalen Zwilling lässt sich vorab testen und prüfen, ob Produkt und Anlage überhaupt füreinander geeignet sind. 

Welche infrastrukturellen Voraussetzungen braucht es, damit die digitale Fabrik funktioniert?

Mies: Dafür braucht es vor allem ein sauberes Daten­management und eine detaillierte Datenanalyse. Letzteres kann in diesem Umfang nur über Künstliche Intelligenz abgebildet werden. Damit Daten automatisiert und effizient ausgelesen werden können, ist zudem eine entsprechende Architektur vonnöten. Was auch wichtig ist: Der Kunde muss bereit sein, einem Dritten – in dem Fall dem Lieferanten – ein Stück weit die Tür zu seinen Daten zu öffnen, damit er den Service auch bieten kann. Während andere Länder dafür offener sind, ist dieses Thema in Deutschland immer noch sensibel. Doch hat der Lieferant keinen Zugang zu den Daten, kann er auch nicht unterstützen. Dieser Mindset-Change gehört für mich auch zum Thema Infrastruktur.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in Ihren Lösungen?

Mies: KI-Lösungen fließen schon sukzessive ein – etwa in Form unserer KI-basierten Steuerung für die mobilen Transportfahrzeuge. Aus meiner 30-jährigen Berufserfahrung weiß ich: Immer wenn die Robotik einen Technologiesprung gemacht hat, hat sich ein neuer Markt eröffnet. Das werden jetzt mobile Roboter sein. Diese werden nicht fest verankert von einer Stelle aus arbeiten, sondern unterschiedliche Aufgaben an verschiedenen Orten erledigen können.

Ein Paradebeispiel für die Automatisierung ist die Automobilindustrie. Diese transformiert sich aktuell vielerorts in Richtung E-Mobilität. Wie beeinflusst das KUKA?

Mies: Zunächst ist wichtig, dass sich der Automatisierungsgrad in der Automobilindustrie immer weiter erhöht hat. Allein seit 2014 ist die Roboterdichte um 20 Prozent gestiegen – und schon damals gab es einen hohen Grad an Automatisierung. Spätestens mit Blick auf die Transformation hin zur E-Mobilität erleben wir einen neuen Trend: die flexible Automation. 

Was verbirgt sich dahinter?

Mies: Der Verbrennungsmotor ist ein Produkt, das über 100 Jahre gereift ist. Wenn ein Automobilhersteller einen neuen Motor entworfen hat, dann war klar, dass der nahezu ohne wesentliche Veränderungen auf der mechanischen Seite für fünf bis acht Jahre oder noch länger laufen wird. Das Motormanagement hat sich quasi immer an die Zeit angepasst. Heute ist das anders. Bei der E-Mobilität ist die Innovationsgeschwindigkeit so hoch, dass – wenn die Anlage in Betrieb geht – es irgendwo schon eine effizientere Lösung gibt. Unter Umständen muss man schon nach zwölf Monaten die Anlage wieder umbauen und modifizieren, weil natürlich niemand mit veralteter Technik arbeiten möchte. Wir erleben das gerade in der Batterietechnik. Dort gibt es Knackpunkte wie Ladegeschwindigkeit oder Batteriekapazität – und hier will jeder ganz vorn sein. In der Konsequenz werden die Anlagen heute viel früher modernisiert. Die Automation muss deshalb so ausgelegt sein, dass sie flexibel angepasst werden kann. 

Welche weiteren Trends und Entwicklungen sehen Sie?

Mies: Viele haben aus der Erfahrung der Pandemie gelernt und wollen sich nicht mehr auf globale Lieferketten verlassen. Wir haben heute viele Anfragen aus Branchen, die früher nicht mit uns in Kontakt waren. Trotzdem fragen diese Unternehmen nach einem Automatisierungsgrad in der Größenordnung der Automobilindustrie, um die Produktion nach Deutschland verlagern zu können. Für solche Pilotprojekte eignet sich der digitale Zwilling ideal, weil wir dem Kunden damit zeigen können, welche Benefits er in seiner Branche aus der Automatisierung ziehen kann. 

Welche Technologie bringt das größte Veränderungspotenzial für die Zukunft mit?

Mies: Für uns ist klar, dass die Automatisierung jetzt in die Breite geht. Ich rechne damit, dass wir mit KUKA in den kommenden zehn Jahren viel tiefer unter anderem in der Foodindustrie und der Bauindustrie ­arbeiten werden. Auch im öffentlichen Nahverkehr brauchen wir mehr Automatisierung, um die Klimaziele zu erreichen. Dazu müssen wir uns ganz anders aufstellen. Mit herkömmlichen Produktionsmethoden kommen wir nicht schnell genug weiter. Es kann beispielsweise doch nicht sein, dass die Bahn jahrelang auf neue Züge wartet. Aus dieser Richtung werden sicher mehr Anfragen kommen.

Automatisierung bringt Effizienz. Bringt sie damit immer auch ein Plus an Nachhaltigkeit mit sich?

 Mies: Sicherlich ist ein effizienter Prozess in vielen Fällen auch ressourcenschonender. Ein anderer Punkt ist mir aber darüber hinaus wichtig: Wenn diese Systeme eingeführt werden, zeigt sich stets, dass man mehr Spezialisten braucht. Was früher 50 Mitarbeitende konnten, bedarf heute eines Fachmanns. 

09.12.2021    Miriam Rönnau
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