Petra von Strombeck, CEO von NEW WORK SE, im Interview zum Fachkräftemangel
26.04.2022    Christian Buchholz
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Mehr Flexibilität, digitale Zusammenarbeit, veränderte Anforderungen an das Recrui­ting oder die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben: New Work ist unglaublich vielfältig und wird seit Beginn der Coronapandemie in vielen Unternehmen immer stärker gelebt. Mit NEW WORK gibt es sogar ein Unternehmen, das die Arbeitswelt von morgen schon heute für alle besser machen will. CEO Petra von Strombeck erklärt, wie das gelingen kann.

Zur Person

Portraitfoto Petr von Strombeck, CEO von NEW WORK SE

Petra von Strombeck

Die Diplom-Kauffrau ist seit Juni 2020 Vorstandsvorsitzende von NEW WORK

Warum braucht es ein eigenes Unternehmen für eine bessere Arbeitswelt?

Petra von Strombeck: Ich glaube, dafür braucht es sehr viele Unternehmen. Vielleicht sogar alle in diesem Land. Wir haben nicht den Anspruch, etwas allein zum Besseren zu richten. Aber wir sehen uns als Wegbereiter für diese Bewegung. Wir haben mit der „NEW WORK Experience“ eine große Veranstaltung, wir vergeben einen „NEW WORK Award“ und sehen jedes Jahr viele Konzepte. Nebenbei bieten wir über ­unsere Produkte Talenten die Möglichkeit, sich im Berufsleben besser zurechtzufinden. Für Unternehmen halten wir die Recruiting-Tools bereit, um die Talente zu finden, die perfekt zu ihnen passen. Damit bedienen wir beide Seiten und tragen zu einem besseren Arbeitsleben bei. Aber am Ende wird die Arbeitswelt nur besser sein, wenn sich alle dafür einsetzen.

New Work ist ein weiter Begriff. Was verbirgt sich aus Ihrer Sicht dahinter?

von Strombeck: Wir kommen ganz stark vom Ansatz, den auch Frithjof Bergmann als Begründer von New Work verfolgt hat: „Tu, was du wirklich, wirklich willst!“ Denn wenn Mitarbeitende bei dem, was sie machen, glücklich sind, ist das Unternehmen erfolgreicher. Zu New Work gehören für mich völlig unterschiedliche Aspekte. New Work ist eine Mischung aus Führung, transparenter Kommunikation, Augenhöhe und Wertschätzung für die Mitarbeitenden, aber auch aus Zielsystemen, Ausrichtung, interner Kommuni­kation – also einem Bundle an Maßnahmen. Deshalb gibt es auch nicht die eine Lösung. Jedes Unternehmen muss für sich herausfinden, welche Lösungen funktio­nieren. New Work ist deshalb auch „Trial and Error“.

Sie wurden im Mai 2020 CEO von NEW WORK – mitten in der Pandemie. Dabei sind Sie bekennende Bürogängerin und hassen Videokonferenzen. Wie haben Sie die vergangenen beiden Jahre erlebt?

von Strombeck: Die Pandemie war, glaube ich, für alle anstrengend. Denn es gab sehr viel Wandel in sehr kurzer Zeit. Grundsätzlich hat die Arbeit von zu Hause sehr gut funkioniert. Aber in der Anfangszeit, als die Schulen und Kitas geschlossen waren, war das vor allem für die Eltern katastrophal. Die fehlende Trennung zwischen Berufs- und Privatleben, die parallele Kinderbetreuung – das war für viele wirklicher Stress. Bei mir war das Problem, dass ich als neuer Kapitän durch diese Phase steuern musste, ohne die Mitar­beitenden und die Führungskräfte gut zu kennen. Es ist schwierig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, wenn man alle Menschen nur remote sieht.

Wie können Führungskräfte remote eine positive Unternehmenskultur schaffen?

von Strombeck: Generell glaube ich, dass die Rolle der Führungskraft in einem Remote-Set-up noch wichtiger ist. Mein erster Tipp lautet: Mehr fragen und genauer hinschauen. Über einen Zoom-Call nimmt man viel weniger wahr und weiß nicht, wie es der Person gegenüber wirklich geht. Zweitens: Mehr kommunizieren – und zwar außerhalb der eigenen Blase. Im Remote-Set-up ist die Tendenz groß, immer die gleichen Leute zu treffen. Dadurch verliert man große Teile der Organisation schnell aus den Augen. Drittens: Kon­trolle abgeben, mehr Vertrauen gegenüber den Beschäftigten und mehr Selbstverantwortung zulassen.

Als CEO von NEW WORK stehen Sie für Female ­Leadership. Was halten Sie von der Aussage, dass Chefinnen die Zukunft der Arbeit prägen werden?

von Strombeck: Ich hoffe, dass wir in Zukunft idea­lerweise eine gleichberechtigte Situation haben ­werden. Ich finde Female Leadership wichtig, es muss mehr Frauen in Führungspositionen geben. Aber ich wehre mich gegen die Aussage, dass Diversität eine Frage des Geschlechts ist. Dazu gehören Nationalitäten, das Alter, das soziale Umfeld. Je komplexer die Herausforderungen werden, die Unternehmen zu bewältigen haben, desto besser ist es, sich in allen Belangen divers aufzustellen.

Wie verändert sich das Anforderungsprofil an Führungskräfte in der Post-Covid-Zeit?

von Strombeck: Führungskräfte müssen lernen, in einem hybriden Set-up wirksam zu werden. Das ist anspruchsvoll, dafür müssen Konzepte erprobt werden. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Beschäftigten zu Hause wahnsinnig produktiv sind. Deshalb braucht man ein Grundvertrauen, muss loslassen können und sich vom Mikromanagement verabschieden. Volle Kontrolle wird es nicht mehr geben. Die Mitarbeitenden erwarten mehr Flexibilität und werden nicht mehr klaglos zu 100 Prozent ins Büro gehen. Die Unternehmen, die das hart einfordern, werden es sehr schwer haben, Talente für sich zu gewinnen.

Also verschieben sich die Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt?

von Strombeck: Die Talente sind jetzt am Hebel, denn wir haben längst einen Arbeitnehmer- und keinen Arbeitgebermarkt mehr. Das ist ein echter Wandel. Viele Firmen spüren das jetzt schon. Spätestens wenn die Babyboomer in Rente gehen, werden wir Millionen von Arbeitskräften verlieren. Was wir momentan als Fachkräftemangel wahrnehmen, ist nur der Anfang eines Tsunamis. Deshalb werden viele Unternehmen über ihre Konzepte, ihre Unternehmenskultur und darüber, wie sie ein attraktiver Arbeitgeber werden können, nachdenken müssen. Spätestens dann kommen sie an New Work nicht mehr vorbei.

Sind die Unternehmen aus dem deutschen Mit­telstand für diesen Wandel gut gerüstet?

von Strombeck: Dazu kann ich kein Pauschalurteil fällen. Wenn ich mir die Bewerbungen für unseren „NEW WORK Award“ anschaue, dann sehe ich tolle Beispiele, wie New Work bereits angewendet wird – in öffentlichen Institutionen und bei Hidden Champions im ländlichen Raum. Durch die Digitalisierung haben auch kleine und mittelständische Unternehmen die Möglichkeit, neue Arbeitsformen umzusetzen und mit Unternehmen in großen Städten zu konkurrieren.

Welche Faktoren sind für erfolgreiches Recruiting entscheidend, wenn der von Ihnen beschriebene Arbeitnehmermarkt besteht?

von Strombeck: Gehalt ist nur ein Hygienefaktor. Es kommt vor allem darauf an, dass sich die Beschäftigten mit dem identifizieren, was das Unternehmen macht. Dass sie sich in ihrem Umfeld wohlfühlen, dass sie gesehen werden und das Gefühl haben, einen sinnhaften Beitrag zu leisten. Das sind für mich die großen Fragen. Entweder habe ich Spaß an dem, was ich mache, und kann etwas Sinnvolles beitragen, oder eben nicht. Deshalb müssen die ganzen Recruitingprozesse neu gedacht werden.

Ihr Unternehmen ist einer der größeren Digital Player in Deutschland – und mit dem neuen Headquarter in der Hamburger HafenCity sowie einem sehr innovativen Konzept auch Vorreiter für neue Arbeits­formen. Wie wird New Work bei Ihnen gelebt?

von Strombeck: In unserem neuen Gebäude haben wir das Büro neu gedacht und uns von dem verabschiedet, was es klassischerweise war. Unser Ziel war es, Interaktionen zu ermöglichen, jede Form von Projektarbeit zu fördern und jedem Beschäftigten die Möglichkeit zu bieten, still oder im Team zu arbeiten. Dafür ist unser Haus maximal flexibel ausgestattet. Weil wir nach wie vor daran glauben, dass die menschliche Interaktion der wichtigste Baustein für eine gute Unternehmenskultur ist, versuchen wir die Beschäftig­ten über die Ausstattung, Events oder Thementage dazu zu animieren, ins Büro zu kommen, und so einen Vorteil gegenüber dem Homeoffice zu bieten. Dem werden wir uns schrittweise nähern und einfach ausprobieren, was funktioniert.

Inwieweit ist Ihr Unternehmen beim Thema New Work Vorbild für kleine und mittlere Firmen?

von Strombeck: Als Unternehmensname ist NEW WORK auch eine Anspruchshaltung, die intern wie extern an uns herangetragen wird. Wir wollen anderen Unternehmen aber eher Hilfestellung bieten und sie in der Arbeitswelt erfolgreich sowie interessant für Talente machen. Das schaffen wir durch unsere Produkte, durch Employer-Branding sowie durch Inspiration, die wir zum Beispiel mit unseren Veranstaltungen geben. Funktionieren unsere Konzepte für jede Firma? Sicher nicht; das ist ganz individuell.

Ist New Work eine Generationenfrage?

von Strombeck: Ich denke nicht, dass es eine Generationenfrage ist. Wir sind zwar ein junges Unternehmen, aber jeder kommt mit seiner eigenen Prägung, seiner Nationalität und seinem Beruf. Und jeder muss sein Umfeld finden. Wie viel Interaktion der oder die Einzelne braucht, kommt sehr stark auf die Aufgabe an. Und es ist auch eine Typfrage. Wir setzen stark auf die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden und Führungskräfte.

Wie sieht New Work in Zukunft aus?

von Strombeck: Ich glaube, dass die Flexibilisierung von Arbeit mit der Digitalisierung noch weiter voranschreitet. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass neben der Flexibilisierung des Ortes die Arbeitswelt in Zukunft noch fragmentierter wird. Gerade die Hochqualifizierten werden sich aussuchen, an welchen Projekten sie sich in welchem Umfang beteiligen wollen. Das Konzept der engen Bindung von Talenten an eine Firma könnte sich in Zukunft weiter auflösen, weil sich Unternehmen ein Umfeld von Menschen schaffen, die über Projekte etwas beitragen.

26.04.2022    Christian Buchholz
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