Purpose glaubhaft leben
02.11.2020    Madeline Sieland
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Ist der Ruf erst ruiniert… Eine negative Wahrnehmung lässt sich nur schwer ins Positive drehen. Das gelingt selbst dann kaum, wenn man eigentlich unschuldig ist und nur in Sippenhaft genommen wurde. Ein Beispiel dafür: der Dieselskandal. Dieser hat nicht nur die Reputation des VW-Konzerns in Mitleidenschaft gezogen, sondern ein tiefes Misstrauen gegenüber allen deutschen Automobilherstellern entstehen lassen. Das zeigt eine Befragung der Marken- und Kommunikationsberatung Globeone.

Im Purpose Readiness Index ermittelt Globeone anhand verschiedener Dimensionen, wie glaubhaft sich eine Marke mit einem Purpose positionieren kann. Das Ergebnis für Deutschland ist ernüchternd: Über die Hälfte der untersuchten hiesigen Unternehmen und Institute weisen erhebliche Purpose-Lücken auf. Nur wenige Unternehmen – etwa Bosch, Continental, REWE und Aldi – gelten laut der Studie zumindest als teilweise „purpose ready“.

Fest stehe, dass Unternehmen ohne klare Positionierung heute nicht mehr auskommen, meint Niklas Schaffmeister, geschäftsführender Gesellschafter von Globe One. Er erklärt, ob jedes Unternehmen einen Purpose glaubhaft vertreten kann, welche Firmen es damit vielleicht leichter haben und warum ein Purpose trotz Corona weiter im Fokus stehen sollte.

Zur Person

Niklas Schaffmeister globeone

Dr. Niklas Schaffmeister

Der Wirtschaftswissenschaftler
ist geschäftsführender Gesellschafter der internationalen Marken- und Kommunikations­beratung Globeone

„Wichtig wird in Zukunft, welche ideellen Werte ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft vertreten und inwieweit sie zur Lebensqualität der Menschen und zur Unversehrtheit der Umwelt beitragen“, sagt Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts. Sind Werte dann heute folglich wichtiger als das Produkt?

Niklas Schaffmeister: Purpose lässt kein Entweder-Oder zwischen Werten und Produkt entstehen, sondern bietet die Möglichkeit, ein Produkt in einen größeren, sinnstiftenden Kontext zu stellen. Ein reines Leistungsversprechen reicht Kunden heute nicht mehr aus. Aus Sicht der Konsumenten soll ein Unternehmen die globale Marktumwelt berücksichtigen und deutlich machen, bei welchen großen Herausforderungen sie mit ihrem Produkt zur Lösung beitragen. Ein Unternehmenszweck sollte integraler Bestandteil des Werteversprechens sein, damit die Symbiose aus Werten und Produkt glaubhaft funktioniert.

Wie stark die aktuelle Rückbesinnung auf Werte zum Trend wird, hängt sicher auch von einigen Regulierungen ab – denken wir etwa an eine CO2-Steuer. Bei vielen anderen Kaufentscheidungen hingegen spielen Werte bislang kaum eine Rolle und nicht alle Produktklassen sind vom Trend erfasst. So arbeitet etwa Apple mit dem umstrittenen Auftragsfertiger Foxconn zusammen, der wegen seiner Arbeitsbedingungen öffentlich in der Kritik steht, ohne dass sich das offenbar auf die Kaufentscheidungen ihrer Zielgruppe auswirkt. Die Begehrlichkeit und Alleinstellung der Marke sind offensichtlich so hoch, dass selbst erhebliche Defizite die Nachfrage kaum dämpfen.

Die Generation Y gilt als treibende Kraft hinter den Purpose-Diskussionen. Die Art der Tätigkeit ist für sie wichtiger als finanzielle Aspekte. Aber sind Profitmaximierung und sinnstiftende Arbeit wirklich immer miteinander vereinbar? Oder sind Purpose und Kapitalismus unvereinbare Gegensätze?

Schaffmeister: Es ist keinesfalls so, dass sinngetriebene Unternehmen aus rein altruistischen Überlegungen eine Gemeinwohl verpflichtende Geschäftslogik etablieren. Unsere Analyse zeigt, dass Unternehmen mit einem klar definierten Purpose innovativer und produktiver sind, schneller talentierte Mitarbeiter gewinnen und überdurchschnittlich wachsen.

Schauen Sie sich einmal die amerikanischen Eliteuniversitäten an: Früher rannten die Absolventen den großen Konsumgüterherstellern und Investmentbanken die Türen ein. Heute zieht es die besten Talente eher zu innovativen Start-ups, Tech-Unternehmen und insbesondere auch zu Firmen, die sich einer Verbesserung des Zustands der Welt verschrieben haben. Insofern gibt es hier keinen Gegensatz zwischen Purpose und Kapitalismus, sondern es geht vielmehr um eine neue Art des Wirtschaftens, der ein höherer Unternehmenszweck zugrunde liegt.

Die Verbindung von Purpose und ökonomischem Erfolg führt zu einer neuen Einheit von Gesellschaft und Wirtschaft, zu einer einsetzenden Transformation der Wirtschaft in Richtung Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit. In dieser neuen Ordnung haben die Unternehmen wirtschaftlich Erfolg, die nachgefragte Produkte mit sauberen Geschäftsmodellen verbinden. Insofern bleibt das Wesen des Kapitalismus, nämlich ein von Angebot und Nachfrage bestimmter Markt, auch in einer sinngetriebenen Kultur des Wirtschaftens erhalten. Das gelingt vor allem deswegen, weil innovative Technologien dies ermöglichen.

Ein Beispiel: Es gibt keinen vernünftigen Grund mehr, Erdöl oder Kohle zu verbrennen. Energie aus Sonne und Wind steht uns unerschöpflich als Ersatz zur Verfügung. Über den Energieträger Wasserstoff können wir diese Energie speichern und flexibel sowie quasi emissionsfrei einsetzen. Immer mehr Unternehmen stellen sich in ihren Innovations- und Transformationsprogrammen auf die Entwicklung und Nutzung von Wasserstofftechnologien ein – auch wenn sie damit letztlich ihr bisheriges Geschäftsmodell komplett umstricken müssen. Aber sie werden von diesem Innovationsdruck voraussichtlich auch stark profitieren.

Die Bedeutung von Purpose ist bei den meisten CEOs längst angekommen, denken Sie nur an den „Letter to CEOs“ von Larry Fink von Blackrock oder den Boom des Nachhaltigkeitsreportings. Auch große Rückversicherer und weitblickende Analysten wissen längst, dass ein scheinbar gutes Investment langfristig keines ist, wenn die Welt aus dem Gleichgewicht gerät, zunehmende Versicherungsschäden die Gewinne auffressen oder massive Migrantenströme die herrschende politische Ordnung verändern.

Sollte jedes Unternehmen einen Purpose haben? Können sich also auch Unternehmen aus Branchen, die ein eher schlechtes Image haben, einen glaubwürdigen Purpose geben?

Schaffmeister: Es gibt natürlich Unternehmen, denen es schwerfällt, einen Purpose glaubhaft zu leben. Bei schlechten Voraussetzungen, kann ein Purpose-Statement auch nach hinten losgehen. Das Image der Branche kann also ein sehr erfolgskritischer Faktor sein. Darüber hinaus sollte das Geschäftsmodell kompatibel mit der Botschaft sein. Unternehmen, die sich im Luxussegment positionieren, können zum Beispiel nicht ohne Weiteres einen gesellschaftsrelevanten Purpose entwickeln, weil ihr Geschäftsmodell auf Exklusivität beruht. Ein Ölkonzern bringt auch kaum die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Purpose-Statement mit – es sei denn, er krempelt sein Geschäftsmodell komplett um.

Mit unserem Purpose Readiness Index messen wir, inwieweit Unternehmen „purpose ready“ sind. Ergebnis: Ein Großteil der populärsten deutschen Unternehmen ist noch nicht bereit, einige Unternehmen leiden sogar unter einer besonders negativen Wahrnehmung in den relevanten Bereichen. Hier ist der Weg zu einem glaubwürdigen Purpose natürlich schwieriger.

Aber es gibt erste Beispiele von Großunternehmen, die diesen Weg gerade erfolgreich beschreiten. So hat der Tabakkonzern Philip Morris beispielsweise den Purpose formuliert, eine rauchfreie Zukunft gestalten zu wollen. Ihr Ziel ist es, herkömmliche Zigaretten durch schadstoffreduzierte Alternativen zu ersetzen. So hat der Konzern eine umfassende Transformation angestoßen und entwickelt sowohl das Geschäftsmodell als auch die Wertschöpfungskette weiter.

Muss mit jeder Veränderung des Geschäftsmodells oder der Organisationsstruktur auch der Purpose angepasst werden?

Schaffmeister: Ein Corporate Purpose sollte ein langfristig angelegtes Versprechen sein. Da ein Bekenntnis zu einem übergeordneten Unternehmenszweck tief in Geschäftsmodell und Wertschöpfungskette eingreift, sollte so ein Statement nicht beliebig oft verändert werden. Dennoch ist ein Purpose nicht für immer Teil eines Unternehmens. Vollzieht ein Unternehmen eine enorme Transformation, ändern sich in der Regel auch Purpose und Geschäftsmodell. Passt ein früher formulierter Purpose nicht mehr in die Zeit, kann die Modifikation des Purpose helfen, wieder eine gesellschaftlich akzeptierte und wettbewerbsfähige Geschäftsausrichtung einzuschlagen.

Ist es für Familienunternehmen einfacher als für börsennotierte Konzerne, einen Purpose zu finden und diesen dann auch konsequent zu leben?

Schaffmeister: Ja, bei Familienunternehmen ist der Gründungsmythos fest in der DNA des Unternehmens verankert. Führt die Gründerfamilie das Unternehmen noch, existiert zur Erfolgsgeschichte des einstigen Gründers meist eine starke Bindung. Eine klare Vision aus den Gründertagen ist in traditionellen Familienkonzernen meist über die Jahre weitererzählt, verinnerlicht und gelebt worden – und fließt dann in der Regel mit in die Purpose-Narrative ein.

Allerdings sind die Werte vieler Familienunternehmen oft sehr statisch und angestaubt. Insofern bekommt das Wertefundament im Rahmen von Purpose-Projekten frischen Schub. Aber klar: Gewinne werden in Familienkonzernen meist im Sinne des tradierten Unternehmenszwecks verwendet, keine Investoren oder Aktionäre reden da rein. Gegenüber börsennotierten Konzernen mit wechselnden Vorständen und weitaus mehr Stakeholdern haben Familienunternehmen daher durchaus Vorteile.

In Zeiten von Corona geht es für viele Unternehmen ums blanke Überleben. Kann der Vor-Corona-Purpose aktuell überhaupt noch Bestand haben? Steht dieser einer Weiterentwicklung des Unternehmens nicht eher im Weg?

Schaffmeister: Ein Purpose bleibt wichtig. Die großen Probleme der Welt sind nach wie vor da. Sie bleiben auch in der aktuellen Krise virulent, die irgendwann vorbei ist, während die globalen Herausforderungen bleiben. Kunden erwarten zunehmend adäquate Antworten von Unternehmen auf die übergeordneten Fragen. Glaubhafte Lösungsansätze können aber auch Wettbewerbsvorteile schaffen und den Weg aus der Krise weisen, wenn sie zu innovativen Geschäftsmodellen, neuen Möglichkeiten der Angebotsdifferenzierung und einer stärkeren Kundenbindung führen.

Aber Purpose und Transformation kosten Geld. Insofern ist es vorstellbar, dass ein Teil der Unternehmen das Tempo zurückschrauben muss. Mittelfristig dürfte das Thema Purpose aber bei den meisten Unternehmen ganz oben auf der Agenda bleiben. Wer das Thema nicht ernst nimmt und es nicht in das Geschäftsmodell integrieren möchte, der ist besser beraten, hier gar nicht erst eine Positionierung zu versuchen. Denn Purpose ist kein Marketingtrend, sondern ein strategischer Anpassungszwang.

02.11.2020    Madeline Sieland
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