Die Frage nach dem Warum
23.09.2020
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One size fits all? Definitiv (auch) nicht in Sachen Purpose, betont Professor Isabell Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TU München. Einen One-fits-all-Purpose für alle Unternehmen aus allen Branchen – das könne es nicht geben, sagt auch Dr. Rainer Hillebrand, der dem Aufsichtsrat der Commerzbank und der Otto Group sowie dem Beirat von Vorwerk angehört.

„Jedes Unternehmen ist in unterschiedlichen Märkten aktiv, hat andere Zielgruppen, eine andere Heritage und – das ist das entscheidende – einen anderen Wertekanon“, so Hillebrand. Und diese Punkte haben Einfluss darauf, welches Ziel, welchen höheren Zweck ein Unternehmen verfolgt. Was dann wiederum auf dessen Attraktivität einzahlt und Vorteile im War for Talents bringt, betont Dr. Nicolas von Rosty, Managing Partner bei der Beratung Heidrick & Struggles.

Worauf es beim Purpose ankommt? „Ich muss authentisch erzählen und täglich leben, was meine Firma wirklich ausmacht, was mein Wertbeitrag hierbei ist und wie ich hierdurch einen positiven Unterschied im Leben meiner Kunden machen will“, so Christoph Woermann, CMO Corporate Bank bei der Deutschen Bank. Und so ein Purpose muss ernst gemeint sein, er darf nie nur als Feigenblatt dienen. Daher dürfe die Umsetzung auch wehtun, sagt Thomas Voigt, Vice President Corporate Communications von der Otto Group. „Haltung hat etwas mit Aushalten zu tun.“

Was einen glaubwürdigen Purpose auszeichnet – darüber diskutierten Führungskräfte sowie Marketing- und Kommunikationsverantwortliche von mittelständischen Unternehmen und Konzernen gemeinsam mit Experten beim 1. Hamburger Future Talk von DUB UNTERNEHMER. Wir haben die zentralen Ergebnisse der Debatten zusammengefasst.

1. Der Purpose muss für alle verständlich sein

Mitarbeitern dient der Purpose als eine Art Leitplanke. Er soll einen klaren Rahmen für die tägliche Arbeit geben, Sicherheit und Struktur. Etwas, was vor allem in Zeiten großer Veränderungen wichtig ist, wie Robert Woggon, Leiter Unternehmenskommunikation beim Energiedienstleister Techem, zu berichten weiß: „Wir hatten lange ein recht einfaches Geschäftsmodell. Doch jetzt kommt sehr viel Bewegung in die Sache, weil sich der Markt durch Digitalisierung, mehr Wettbewerb und stärkere Klimaschutzbestrebungen verändert.“

Dazu kommt: Techem hat seit zwei Jahren einen neuen Eigentümer, seit Jahresbeginn gibt es einen neuen CEO. „So eine spannende Phase können wir nur meistern, wenn die ganze Belegschaft vereint auf das gleiche Ziel hinarbeitet“, betont Woggon. Und genau deshalb brauche man einen klaren, starken Purpose.

Diesen müssen alle kennen, sie müssen ihn leben. Und zuallererst: Alle müssen ihn verstehen. „Jedem Angestellten muss klar sein, warum er mit dem, was er jeden Tag macht, dazu beiträgt, die Unternehmensziele zu erreichen“, sagt Lisa Skelnik, Marketingverantwortliche von Friwo Gerätebau.

Dafür muss ein Purpose gewisse Kriterien erfüllen. Realistisch sollte er sein, nicht vor Superlativen strotzen, individuell auf das Unternehmen zugeschnitten, herunterbrechbar auf jeden Mitarbeiter. Im Fokus müssen aus Sicht von Woggon bei der Purpose-Definition immer zwei Fragen stehen: Wer sind wir wirklich und was können wir wirklich?

Der Purpose als Unique Selling Point also – und zwar auch bei der Suche nach Fachkräften. „Wenn ein Unternehmen keinen genauen Purpose definieren kann, wird es nicht mehr die besten Leute bekommen“, sagt von Rosty. „Und der War for Talents wird in den nächsten Jahren noch zunehmen.“

„Wenn Purpose wirklich gelebt wird, profitieren alle Beteiligten – Mitarbeiter, Kunden, Partner und die Gesellschaft als Ganzes“, sagt Kerstin Köder, Head of Marketing EMEA von SAP. „We make the world run better and improve people’s lives“: Der Purpose des Softwarekonzerns war auch einer der Gründe, weshalb sie seinerzeit zu dem Unternehmen gegangen sei. Einen „übergeordneten Geschäftszweck, die Haltung, die die SAP schon immer in ihrer DNA hatte“ nennt sie es.

Und: Er wirkt nicht nur auf die Mitarbeiter selbst. „Denn Mitarbeiter tragen die vermittelten Werte auch in ihre Familien, zu ihren Ehepartnern und Kindern“, sagt Sven Korndörffer, Managing Director Group Communications & Governmental Affairs der Aareal Bank. „Einem Unternehmen muss daher bei der Vermittlung von Werten und des Purpose klar sein, dass sie weit über die Mitarbeiter hinaus gesellschaftlich wirken. Als Faustformel kann meiner Meinung nach der Faktor vier dienen: Auf jeden Mitarbeiter kommen mindestens drei weitere Personen, die von den Werten eines Unternehmens indirekt beeinflusst werden.“

2. Purpose und Profit sind kein Widerspruch

Mit alteingesessenen Entscheidungsträgern über Themen wie Nachhaltigkeit zu reden kann auch nach hinten losgehen. Denn Führungskräfte, die klassisch auf Shareholder-Value getrimmt sind, und eine Belegschaft, die nach einem höheren Sinn im Unternehmen sucht, werden nicht von heute auf morgen einer Meinung sein. Wie lassen sich Konflikte bei der Neuorientierung von Shareholder- auf Stakeholder-Value also lösen? „Wir sollten nicht aus einer Gesinnung heraus argumentieren“, empfiehlt von Rosty.

„Am Ende wollen jedoch alle das Gleiche“, sagt Jan-Peter Schwartz von OSRAM Licht. „Egal in welcher Abteilung wir arbeiten: Wir wollen unser Unternehmen voranbringen.“ Eine klare Unternehmensausrichtung sei dafür essenziell.

Und Studien, die belegen, dass Profit und Purpose Hand in Hand gehen, gibt es etliche. So hat beispielsweise McKinsey herausgefunden, dass 65 Prozent der Kunden bei ihrer Kaufentscheidung von den Aussagen und Werten des Unternehmens beeinflusst werden. Circa 80 Prozent der Verbraucher würden bei gleichem Preis und gleicher Qualität zu einer Marke wechseln, die sich wohltätigen Zielen verschrieben hat. Und laut Deloitte verzeichnen Unternehmen mit einem starken Purpose gar eine um 315 Prozent höhere Mitarbeiterzufriedenheit und eine um 49 Prozent höhere Kundenzufriedenheit.

Zahlen, die eindeutig zeigen, dass bei Diskussionen um einen Purpose nicht nur ideologische, sondern auch ökonomische Argumente in den Ring geworfen werden sollten. „Man kann anhand ganz klarer Berechnungsmethoden und KPIs analysieren, dass die Themen, für die sich ein Unternehmen einsetzt, die Aspekte sind, die eine Organisation erfolgreicher machen“, so Schwartz. „Und damit dringen wir auch zu den Leuten durch, die das Thema bisher ignorieren oder sogar ablehnen, weil sie den ‚value add‘ nicht anerkennen.“

3. Nicht nur Start-ups haben einen Purpose

Ja, es ist für Start-ups leichter, einen Purpose zu definieren. Schließlich suchen sich etwa FinTech-Gründer für ihr Business zumeist bewusst einzelne Bereiche einer Wertschöpfungskette aus und optimieren diese dann gezielt und mit modernster Technologie. „Damit ist der Purpose schnell klar“, sagt Woermann.

Dazu kommt: Millennials, die Vertreter der Generation Y, gelten als treibende Kraft hinter den Purpose-Diskussionen. Es heißt, sie werden von einem Mindset geleitet, in dessen Fokus die Sinnhaftigkeit ihres Tuns steht und nicht der finanzielle Aspekt. „Insofern ist der Erwartungsdruck bei jungen Unternehmen im eher digitalen Bereich auch höher, einen sinnstiftenden Ansatz zu finden“, so Hillebrand. Der langjährige Otto-Vorstand hegt allerdings Zweifel an der Werthaltigkeit dieser Ansätze: „Wie ernst gemeint kann ein langfristiger Purpose sein, wenn der Gründer nach fünf oder sechs Jahren einen möglichst lukrativen Exit schaffen will? Bei Familienunternehmen hingegen ist es deutlich einfacher, einen werthaltigen Purpose zu finden.“ Denn in diesen Betrieben denke man naturgemäß langfristiger, habe ein größeres Interesse, sich nachhaltig erfolgreich am Markt zu platzieren und gesellschaftlich zu verankern.

Tobias Schlösser, Geschäftsführer des Sparkassen Finanzportals, teilt diese Meinung: „Echte Unternehmer gerade auch im Mittelstand haben schon lange den authentischsten und meisten Purpose und leben diesen auch.“ Manchmal sei der Sinn in diesen Firmen allerdings im Laufe der Zeit etwas in Vergessenheit geraten; es lohne sich aber, diesen Purpose der Urgründer auszugraben und zu neuem Leben zu erwecken.

4. Den Purpose von oben vorgeben – das funktioniert nicht

Kann der Purpose vom Vorstand oder der Geschäftsführung ersonnen und quasi „von oben“ verordnet werden? Hillebrand, der die Transformation bei Otto mitgestaltet hat, erklärt: „Das wirklich entscheidende ist, einen derartigen Prozess breit und partizipativ, das heißt unter Einbeziehung der Belegschaft und hierarchieübergreifend, aufzusetzen. Wenn man nur top-down alles vorgibt, dann bekommt man nur unzureichend mit, wofür ein Unternehmen wirklich steht, welchen Wertekanon es hat.“ Hat die Führungsetage das durch den Austausch mit den Mitarbeitern einmal verstanden, müsse sie „nur noch“ Leitplanken definieren, innerhalb derer sich das Unternehmen dann in eine bestimmte Richtung weiterentwickelt.

Die Menschen mitnehmen, damit der Purpose dann an allen Stellen des Unternehmens gelebt wird: Das ist entscheidend. Bettina Rotermund von Siemens Advanta, der neu gegründeten Einheit für digitale Transformation und IoT-Implementierung der Siemens AG, berichtet, dass man enorme Anstrengungen unternehme, um Purpose mit den Mitarbeitern zu entwickeln und diesen ins Unternehmen zu kommunizieren. „Es stehen Menschen bei uns Schlange, die für uns arbeiten wollen, weil wir eine moderne Unternehmenskultur haben und gute Werte vertreten. Die Zeit, die in die gemeinsame Definition des Why investiert wird, lohnt sich.“

Wichtig ist es zudem, den Purpose immer wieder zu festigen. Denn so ein einmal gefundener Purpose kann auch „ausfransen“. Das beobachtet Oliver Hach, Senior Account Manager von parsionate. Die erst sieben Jahre junge Digitalisierungsberatung wachse schnell. „Und jedem neuen Mitarbeiter müssen wir unsere DNA mitgeben. Ohne diese DNA würden wir nicht existieren.“

5. Der Purpose ist nicht in Stein gemeißelt

„Was hat sich eigentlich geändert in den letzten zehn Jahren? Warum ist Purpose plötzlich so ein großes Thema geworden?“, fragt Björn Loose, Marketingleiter von MAN Truck & Bus. Schließlich sei es schon immer Kernfrage der Markenpolitik gewesen, welche Relevanz die eigene Marke bei Kunden und Mitarbeitern besitzt.

Für Tobias Stöver, Marketingchef von Peugeot Deutschland, liegt das an einer Verschiebung der Interessen: „Vor allem die jüngere Generation achtet heute viel mehr auf nachhaltigen Konsum. Deswegen ist es auch wichtig, dass Unternehmen kontinuierlich ihre Zielsetzung hinterfragen. Man muss sich immer wieder dem Zeitgeist und den Bedürfnissen anpassen beziehungsweise neue Begehrlichkeit schaffen sowie flexibel sein, um relevant zu bleiben.“

Ein Purpose, einmal festgehalten und dann ewig gültig? Nein, so einfach ist es offensichtlich nicht. Er atmet, muss an neue Gegebenheiten angepasst werden. „Der Purpose kann auch kurzfristig angelegt sein“, sagt Tristan Foerster von Climate Partner. Das Unternehmen entwickelt und fördert im Kundenauftrag Klimaschutzprojekte. „Ich kann auch sagen, ich habe den Purpose, das Unternehmen zu retten.“

Bei Techem etwa arbeitet man aktuell angesichts der Veränderungen im Marktumfeld und im Unternehmen daran, den Purpose klarer zu definieren und an den neuen Zielen und Arbeitsfeldern auszurichten, berichtet Woggon. Ein Prozess, den Unibail-Rodamco-Westfield bereits vor einigen Jahren initiiert hat. Andrea Eggers, Head of Marketing Germany bei dem Immobilienunternehmen, berichtet: „Das war ein spannender Prozess. Es dauert auch, bis so ein Purpose wirklich vollumfänglich gelebt wird. Der ist jetzt nach drei Jahren gefestigt.“

Wichtig ist vor allem eines – und da sind sich die Teilnehmer der Diskussion beim Hamburger Future Talk absolut einig: Ein Purpose darf keine reine Werbekampagne sein, kein offensichtliches Greenwashing.

Es müsse immer „practise what you preach“ gelten, betont Foerster. „Man muss es schaffen, dass die Mitarbeiter wirklich an das glauben, wofür die Organisation steht, und freiwillig im Sinne des Unternehmens handeln. Das ist natürlich ein hehres Ziel, und das ist vielleicht nur schwer zu erreichen.“ Aber: „Wenn die eigenen Teams nicht dahinterstehen, können sie den Unternehmenssinn auch den Kunden, Geschäftspartnern und weiteren Stakeholdern nicht glaubhaft vermitteln“, so Eggers.

6. Das Produkt nicht vergessen

Unabhängig vom Purpose gelte am Ende immer: Du bist, was du verkaufst, sagt Isabell Welpe. Schwierig wird es daher vor allem dann, wenn Purpose und Produkt nicht zusammenpassen.

Beides zusammenzubringen – das sei für viele Unternehmen die größte Herausforderung, hat Simone Fuchs, Leiterin der Unternehmenskommunikation der Investmentholding Haniel, beobachtet: „Zu oft stehen beim Purpose nur die Mitarbeiter im Fokus, aber nicht Produkte und Prozesse eines Unternehmens.“

„Ein Produkt wird nicht automatisch gekauft, nur weil das Unternehmen gute Werte vertritt“, betont Robin Ruschke, SVP Global Brand Strategy & Communications beim Mobilitätsdienstleister Sixt. „Das Why, der Purpose, ist also nicht wichtiger als das Produkt. Ein Unternehmen mit guten Produkten, aber fehlendem Purpose funktioniert genauso wenig wie ein Unternehmen mit schlechten Produkten und einem guten Purpose. Es muss beides und vor allem zueinander passen.“

Doch wie die richtige Balance finden? Diese Frage stellte man sich auch im Körber-Konzern, wie Henriette Viebig, Leiterin Konzernkommunikation, berichtet. „Es wurde intensiv diskutiert, ob wir von unseren Angeboten aus einen Purpose definieren oder ob wir einen Purpose definieren und unsere Angebote und Prozesse – wo nötig – anpassen“, so Viebig. „Dabei war immer klar: Unsere Unternehmensausrichtung ist kein Marketinginstrument. Wenn ein Unternehmen einmal gefunden hat, welchen Mehrwert es für Gesellschaft, Mitarbeiter und vor allem Markt und Kunden bietet, ist klar, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um das momentane und künftige Geschäftsmodell daran auszurichten.“

Am Future Talk nahmen teil:

 

23.09.2020
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