Frau schaut während der Arbeit in die Natur
14.07.2022    Olivia Schlumm
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Wer heute von New Work spricht, meint damit vor allem die Art und Weise, wie Menschen in einer zunehmend digitalisierten Welt zusammenarbeiten, wie die Arbeitsumgebung gestaltet ist und welche Führungsstruktur besteht.

Doch als der österreichisch-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann Ende der 1970er-Jahre das New-Work-Konzept entwickelte, hatte er etwas anderes im Sinn. Sein Ziel: Menschen sollten ausschließlich der Arbeit nachgehen, die sie auch wirklich machen wollen.

Arbeitgebende müssen individuelle Entscheidungen akzeptieren

„Ob als Freelancer oder im Arbeitnehmerverhältnis: Es ist nie gut, in starre Muster zu verfallen. Wichtig ist es, die individuellen Stärken herauszustellen. Dann wird man auch persönliche Freiheit erreichen“, sagt Dirk Henke, General Manager Deutschland bei der Freelancing-Plattform Malt.

Was dabei vor allem im Angestelltendasein wichtig sei: die Möglichkeit, Arbeitszeiten und -orte frei zu wählen. Will man diese Flexibilität als Arbeitgebender wirklich konsequent im Sinne des ursprünglichen New-Work-Konzepts ermöglichen, heißt das auch: Jeder Angestellte sollte für sich selbst entscheiden können, ob und wann er remote arbeiten will und wann er lieber den persönlichen Austausch mit anderen im Büro sucht. Starre Regeln à la „jeder muss mindestens x Tage pro Woche im Office sein“ sind dann tabu.

Für Swantje Allmers, Gründerin der Beratung New Work Masterskills, ist zudem die Vielfalt der Tätigkeiten ein wichtiger Faktor in der Debatte um berufliche Freiheit. Und diese Vielfalt würden insbesondere Freelancer in ihrem Alltag erleben.

Coronapandemie hat die Debatte um berufliche Freiheit vorangetrieben

Die Diskussion darüber, welche Arbeitsmodelle und -formen heute möglich und modern sind, wurde insbesondere durch die Pandemie befeuert. Viele Unternehmen mussten ihre Prozesse und Strukturen notgedrungen von einem Tag auf den anderen ändern ohne dabei an Effizienz und Qualität einzubüßen. Und so wuchs die Erkenntnis, dass doch möglich ist, was lange als unmöglich galt: Führungskräfte müssen nicht jeden Mitarbeitenden jeden Tag persönlich sehen, um sicher zu sein, dass er seinen Job macht.

„Unabhängig von der Pandemie sind neue Arbeitsmodelle besonders bei der jungen Generation gefragt“, sagt Allmers. Und Catharina Bruns, New-Work- und Selbstständigkeitsexpertin sowie Sachbuchautorin, ergänzt: „Früher war das klassische Arbeitsmodell ein Erfolg. Das kleine Rädchen im großen Ganzen zu sein war okay. Heute ist es eben anders. Jetzt geht es auch darum, die persönlichen Stärken und Potenziale einzubringen.“

Bürokratie macht Selbstständigkeit unattraktiv

Wer die größtmögliche berufliche Freiheit will, für den ist die Selbstständigkeit wohl der beste Weg. Doch wer sich dafür entscheidet, dem werden vonseiten des Staats einige Steine in den Weg gelegt. Wie muss ich mich absichern? Welche Art von Verträgen gibt es? Wann muss ich meine Steuern zahlen und welche Steuern habe ich überhaupt zu zahlen? Mit vielen Fragen dieser Art müssen sich angehende Unternehmerinnen und Unternehmer auseinandersetzen.

Die Folge: „Durch den bürokratischen Aufwand ist die Schwelle, um vom Angestelltenverhältnis zur Selbstständigkeit zu wechseln, in Deutschland unglaublich hoch“, so René Simon Pfisterer, der als selbstständiger Product Owner bereits für diverse Großunternehmen tätig war.

Und dann ist da noch ein kulturelles Problem: Es herrscht vielfach nach wie vor die Meinung vor, dass Selbstständigkeit etwas Exotisches, etwas Unsicheres ist. Das Angestelltendasein hingegen ist so etwas wie ein sicherer Hafen – in dem es allerdings meist nur wenige Freiheiten gibt.

Umdenken ist gefragt

Doch was muss nun passieren, damit mehr Menschen ihre Stärken auch im beruflichen Umfeld endlich konsequent nutzen und ausleben können?

Zum einen kommt auch hier wieder die kulturelle Prägung ins Spiel. Die vorherrschende Einstellung: Menschen müssen in ein Unternehmen passen und nicht andersherum. Und diese Einstellung muss sich ändern. Zum anderen ist es wichtig, dass alle möglichen beruflichen Optionen bereits im jungen Alter aufgezeigt werden – sei es die Tätigkeit als Freelancer, das klassische Angestelltenverhältnis oder eine Mischung aus beidem.

„Ich denke, uns muss nichts beigebracht werden, sondern es darf uns auf dem Bildungsweg nicht ausgetrieben werden“, sagt Bruns. Sie wünscht sich, dass so etwas wie Unternehmertum in der Schule optional angeboten wird. „Denn Kinder probieren sich gern und oft kreativ aus. Das endet dann, wenn es heißt, dass man sich anpassen muss“, ergänzt sie.

Pfisterer sieht das Problem noch an einer anderen Stelle: „Wir müssen alle aufhören, die Probleme anderer lösen zu wollen. Es fängt schon im Kindesalter an, dass Eltern immer probieren, die Probleme ihrer Kinder zu lösen. Wenn man aber lernt, seine Probleme selbst zu lösen, bleibt die Kreativität erhalten.“

Und mit der Kreativität bleibt auch der Wille, sich selbst zu verwirklichen. Deshalb sind sich die vier New-Work-Expertinnen und -Experten einig, dass es in der heutigen Arbeitswelt nicht darum geht, neue Arbeitsmodelle zu etablieren, die von oben – also aus der Chefetage – vorgegeben werden. Wichtig ist es lediglich, den Mitarbeitenden diverse Möglichkeiten zu geben und sie dann entscheiden zu lassen, welche die optimale individuelle Lösung für jeden Einzelnen ist.

14.07.2022    Olivia Schlumm
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