Illustration eines nachdenklichen Menschen
11.01.2022    Arne Gottschalck
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Zur Person

Jürgen Spegel von der Haufe Group

Jürgen Spegel

ist Geschäftsbereichsleiter Human Resources and Organizational Development der Haufe Group. Zuvor arbeitete er unter anderem für das Marketinghaus MCH Group

„War for Talents“ – ein ziemlich martialischer Begriff. Entspricht diese Umschreibung Ihren Erfahrungen aus der Praxis, wenn es um die Rekrutierung geht?

Jürgen Spegel: Ja, das entspricht der Praxis. Besonders gefragte Talente suchen sich heute den Arbeitgeber aus, nicht mehr umgekehrt. Besondere Berufsgruppen wie Software-Entwickler, Cloud-Software-Engineers, aber auch Produktmanager sind derzeit rar auf dem Arbeitsmarkt.

Tobt der Krieg nur um jüngere Arbeitnehmer oder auch um ältere?

Spegel: Es geht weniger um das Alter, sondern um die Qualifikation. Vor allem in der Softwareindustrie handelt es sich oft um „neue“ Berufe, aber es werden auch zum Beispiel SAP-Spezialisten gesucht, die gegebenenfalls bereits lange Berufserfahrung mitbringen.

Einst kam der Lebenslauf per Post. Müssen Firmen heute via Xing, LinkedIn oder anderer Netzwerke aktiv werden?

Spegel: Korrekt, wir scannen aktiv interessante Profile, betreiben also Active Sourcing. Der spannende Part ist aber der Bereich Employer-Branding. Wie stellen wir uns als Mitarbeitende und Unternehmen dar? Wie vermitteln wir unsere Inhalte und Werte, um Talente für uns zu interessieren? Dafür nutzen wir sämtliche Social-Media-Kanäle, Jobportale, Hochschulbörsen und Plattformen, auf denen sich die jeweilige Zielgruppe aufhält.

Diverse Studien haben gezeigt, dass sich die Präferenzen von Jobsuchenden durch die Pandemie verändert haben. Inwieweit merken auch Sie, dass Bewerber heute andere Anforderungen an Arbeitgeber haben als vor der Pandemie? Und wie haben Sie sich darauf eingestellt?

Spegel: Sehr häufig werden wir mit dem Wunsch nach mobiler Arbeit und Homeoffice konfrontiert, dem wir natür­lich auch entgegenkommen. Gerade haben wir alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, wie sie zukünftig arbeiten wollen – primär im Büro oder mobil. Unsere Belegschaft hat sich mehrheitlich für ein hybrides Modell ausgesprochen, das wir nun aktiv umsetzen. Das Besondere daran: Die jeweiligen Teams entscheiden selbst darüber, wie sie Arbeitszeiten und -orte organisieren wollen. Letztlich können sie das auch am besten einschätzen.

Ganzheitlich hat die Pandemiesituation dazu geführt, dass Menschen stärker darüber nachdenken, wie und wo sie künftig leben und arbeiten wollen. Wir werden stärker gefragt, was unser Ansatz ist, welche Kultur wir leben, wie wir das Miteinander gestalten. Diese Dinge spielen somit eine größere Rolle als früher bei der Entscheidungsfindung den Job zu wechseln oder den Arbeitgeber zu wählen.

Die fachliche Expertise ist die eine Sache, der Cultural Fit mit dem Team die andere. Wie finden Unternehmen die goldene Mitte aus beidem?

Spegel: Eine „goldene Mitte“ lässt sich nicht pauschal festlegen. Für jedes Jobprofil gelten unterschiedliche Voraussetzungen an Expertise und fachlichen Anforderungen sowie Culture Fit. Cultural Fit ist so etwas wie eine Basisvoraussetzung geworden. Expertise lässt sich in der Regel aneignen, Cultural fit setzt Fähigkeiten voraus – zum Beispiel was Kommunikation, soziale Kompetenz, Arbeiten im Team, Flexibilität, Übernahme von Verantwortung und Umgang mit Veränderung angeht. Diese Fähigkeiten liegen stärker in der Persönlichkeit begründet und lassen sich nicht einfach antrainieren.

Nahezu alle freien Stellen werden heutzutage in einem Team-Recruiting-Prozess besetzt. Das heißt, die Teams und künftigen Kollegen sind oftmals von Anfang an – also schon bei der Definition des Jobprofils – bis zur finalen Entscheidung involviert. Dadurch wird der Cultural Fit meist schon sichergestellt. Reife Teams wählen jedoch ausgewogen aus und berücksichtigen sowohl fachliche Expertise als auch den Cultural Fit und machen sich von Anfang an Gedanken, welches Profil das eigene Team auf allen Ebenen sinnvoll ergänzt.

Und wie stellt man in Zeiten von Homeoffice und Remote-Arbeit sicher, dass der oder die potenzielle neue Mitarbeitende auch tatsächlich ins Team oder zur Unternehmens-Philosophie passt?

Spegel: Wir haben gelernt, mit virtuellem Recruiting umzugehen – so, wie wir inzwischen auch Meetings, Weiterbildungen, Mitarbeitergespräche und vieles mehr virtuell durchführen. Letztendlich besteht der Unterschied zwischen einem Präsenz-Bewerbungsgespräch und einem virtuellen Bewerbungsgespräch darin, dass die Person nicht physisch anwesend ist. Natürlich gehen dadurch auch Eindrücke und Zwischentöne verloren.

Zum Onboarding-Prozess in dieser Situation haben wir uns viele Gedanken gemacht und setzen neben einer digitalen Onboarding-App auch weiterhin Onboarding-Instrumente ein, die wir nun digital übersetzt haben – etwa Onboarding-Veranstaltungen oder das Buddy-Konzept. Neben Homeoffice und Remote-Arbeit sind uns weiterhin persönliche Begegnungen wichtig: Unsere Teams legen Wert auf Teamevents oder regelmäßige Präsenztermine; agile Teams beispielsweise kommen zu den zweiwöchentlichen Retros zusammen. Abseits der Sachthemen findet so auch immer noch ein Austausch auf persönlicher Ebene statt.

Was sind absolute Don’ts entlang der Candidate-Journey? Und wie kann die Digitalisierung im Recruiting-Prozess dabei unterstützen, die Candidate-Journey zu optimieren?

Spegel: Allgemeine Erfahrungen aus dem privaten Bereich – zum Beispiel mit Online-Bestellplattformen – haben unsere Erwartungshaltung auch an einen Recruiting-Prozess geprägt. So sind etwa schnelle Reaktionszeiten, Transparenz über den Prozess oder einfache Bedienbarkeit digitaler Tools ein absolutes Muss. Umgekehrt ist es ein No-Go, wenn ich als Bewerberin oder Bewerber meine Unterlagen erst per Post oder E-Mail einsenden muss, keine kurzfristige Rückmeldung bekomme und der komplette Prozess kompliziert und intransparent ist.

11.01.2022    Arne Gottschalck
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