Jochen Schweizer fliegt im Windkanal der Jochen Schweizer Arena.
26.02.2024    Jenny Kunz
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Immer einen Schritt voraus. Sogar sich selbst. So wirkt Schweizer an diesem Freitagmorgen. Der gut einstündige Rundgang durch seine Arena in Taufkirchen bei München gleicht einer übermütigen Flussfahrt. Hier eine unerwartete Kurve, dort plötzlich ein Stein. Aber es geht immer weiter. Stehen bleiben ist keine Option. Pläne werden gemacht und verworfen. Und ja, wenn der Fotograf sich eine wilde Welle im Hintergrund wünscht, dann wird die eben angeschaltet. Gott wäre neidisch.

Aber nicht der steht hier mit markanter schwarzer Brille und der modernen Version eines Jankers, sondern Jochen Schweizer. Unternehmer, TV-Juror, Stuntman, Mentor … Je länger die Recherche, umso mehr Bezeichnungen finden sich. Also werfen wir noch eine weitere hinzu: Vordenker!

Kapitel I: DER SPRUNG

Das Wort disruptiv – also im Sinne von „alles verändernd“ – wird oft verwendet. Aber worauf passt es besser als auf die Idee, sich an einem selbst zusammengebastelten Seil von einer 220 Meter hohen Staumauer hinunterzustürzen? Was 1987 als spontaner Stunt bei den Dreharbeiten zum Film „Feuer, Eis & Dynamit“ (ab Minute 1:39) begann, wurde laut Schweizer zur Geburtsstunde des Bungee-Jumpings in Deutschland.

Warum ein Mensch diese Urangst vor dem Sprung in die Tiefe überwinden soll? „Weil es ein extrem geiles Gefühl ist“, sagt Schweizer in einem Podcast, und die Begeisterung in seiner Stimme macht Lust, es selbst auszuprobieren. Der Moment des freien Falls sei das eine, aber dann komme der Rebound zurück nach oben, bis die Schwerkraft wieder überhandnimmt und der zweite Fall folgt. Aber genau an diesem Wendepunkt sei dieser kurze Moment der absoluten Schwerelosigkeit. „Das Wichtigste am Sprung ist die Lehre daraus und diese anschließend in seinen Alltag mitzunehmen“, so der heute 66-Jährige. „Ich habe die Kraft, mit meinem Geist meine Emotionen unter Kontrolle zu bringen.“

Eine Erkenntnis, die er auch anderen ermöglichen wollte. Zunächst privat im Freundeskreis, aber bald schon darüber hinaus. 1989 eröffnete er in Oberschleißheim die erste stationäre Bungee-Anlage in Deutschland. Weitere Standorte folgten. Ebenso Aktivitäten wie House-Running und der Base-Flyer. Der Spaß wurde für Schweizer zum Geschäft.

Jochen Schweizer: Erst Leidenschaft, dann Geld

Aber wie etwas etablieren, das völlig neu ist? Ohne Beispiel-Cases, Wegbereiter und andere Märkte? „Ich habe es einfach getan, ohne viele Fragen zu stellen“, so Schweizer. „Es war die Faszination dieser auch für mich neuen Erfahrung, an der ich andere Menschen teilhaben lassen wollte. Dabei ging es anfangs nicht um ein Business, sondern nur um dieses völlig neue, unfassbar intensive Erlebnis. Der kommerzielle Erfolg kam viel später. Das war kein Selbstläufer, weil vielen Menschen der tiefere Sinn solcher Erlebnisse zunächst nicht bewusst wurde. Und über die Sinnhaftigkeit, in Bodennähe frei zu fallen, kann man zu Recht trefflich streiten.“ Über Zahlen hingegen nicht. 600.000 Bungee-Sprünge hat Schweizer nach eigenen Angaben seither verkauft; in der Hochphase 60.000 pro Jahr. Er zitiert in diesem Zusammenhang ein amerikanisches Sprichwort: Money follows passion. „Echte Freude am Tun – nicht nur oberflächlicher Spaß – und wirtschaftlicher Erfolg gehen Hand in Hand.“

Kapitel II: DER FALL

No risk, no fun – und auch kein Erfolg. 2003 wird die Jochen Schweizer Unternehmensgruppe von ebendiesem Risiko erschüttert. Bei einem ihrer Sprünge reißt ein Seil, der Mensch daran stirbt. Schweizer ist bestürzt, entscheidet, alle Anlagen sofort zu schließen. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten wird später ausgeschlossen. Aber die Angst in den Köpfen bleibt und führt zur Krise.

Schweizer stellt sich dieser „alles verändernden“ Situation und übernimmt wieder die Kontrolle. Er erweitert die Definition von Erlebnis und fügt Action-Klassikern wie Bungee-Jumping andere Angebote hinzu: Candle-Light-Dinner, Quad-Touren, Floating. Das Produkt der Erlebnisbox entsteht – und die Idee einer „Demokratisierung des Erlebnisses“. Dafür entwickelt das Unternehmen eine Online-Plattform, auf der es die Angebote Dritter sammelt und vertreibt. „Weil ein klassischer Rollout im stationären Einzelhandel nicht finanzierbar war, blieb mir nichts anders übrig, als damit online zu gehen“, sagt Schweizer. „Es war also nicht diese kluge, vorausschauende Entscheidung, für die ich viel falsches Lob erhalten habe – es war einfach nur der einzig mögliche Weg.“

70 Millionen Umsatz pro Jahr

Es gibt so typische Schweizer-Sätze. Zitate, die immer wieder in Interviews auftauchen. Einer davon: Mehr Menschen geben auf, statt zu scheitern. „Ohne diese Erkenntnis wäre mir nicht zu helfen gewesen“, sagt er. „Ich habe damals erlebt, dass sich viele vermeintliche Freunde abgewandt haben und dass mir auf der anderen Seite unerwartet Hilfe zuteil wurde. Aber ich habe mich auch selbst mit jeder Faser meines Körpers, mit jedem Funken mentaler Kraft dem vermeintlichen Schicksal entgegengestemmt.“ Das wirkt. Die Gutscheinboxen werden zum deutschlandweit erfolgreichen Produkt. Nach eigenen Angaben bot die Unternehmensgruppe 2016 gut 1.900 verschiedene Erlebnisse an, beschäftigte rund 550 freie und feste Mitarbeitende und erzielte einen Umsatz von 70 Millionen Euro jährlich.

Kapitel III: DIE LEHRE

Natürlich bleibt da Konkurrenz nicht aus. Der Anbieter Mydays konnte sich jedoch nicht gegen den Marktführer durchsetzen und stand 2013 zum Verkauf. Schweizer hatte Interesse, doch schlussendlich ging das Unternehmen an die ProSiebenSat.1 Media. Es war die Zeit, in der es gefühlt kaum einen TV-Werbeblock ohne Mydays-Spot gab. Und eine klare Kampfansage des Medienkonzerns: den bisherigen Marktführer plattmachen. Vor dem Hintergrund dieser medialen Übermacht kam ein neues TV-Format sehr gelegen. Vox startete die Gründer-Castingshow „Die Höhle der Löwen“, und Schweizer trat darin von 2014 bis 2016 als Investor auf. „Das war eine für mein Gutscheinunternehmen günstige Situation“, erinnert sich Schweizer. „Denn plötzlich hatte die Marke Jochen Schweizer für viele Menschen ein Gesicht. Und weil ich so aufgetreten bin, wie ich nun mal bin, bekam die Marke zusätzliche Glaubwürdigkeit. Als ich „Die Höhle der Löwen“ verließ, ging ich als Publikumsliebling, ohne mich jemals verbogen zu haben. Das hat unserer Marke sehr gutgetan.“

Dennoch verkauft er die Mehrheitsanteile an der Plattform am 21. Juni 2017 – zwei Tage vor seinem 60. Geburtstag – für 108 Millionen Euro ebenfalls an ProSiebenSat.1 Media. Im selben Jahr erfüllt sich zudem der Traum eines eigenen Markenhauses, und die Jochen Schweizer Arena bei München öffnete: Eine Event- und Erlebnislocation inklusive Surfanlage, Bodyflying und Gastronomie. Gerade wird nebenan an einem Hotel- und Kongresskomplex gebaut. Ein ganzes Markenquartier entsteht.

Neues Online-Seminar von Jochen Schweizer

Schweizer spricht nun vom letzten Drittel seines Lebens und definiert die Vordenker-Rolle neu. Er denkt quasi anderen vor, was ihn das Leben gelehrt hat. Ohne theoretischen Background, rein aus der eigenen Erfahrung. Das mag vermessen klingen, Schweizer findet das seinem Alter angemessen: gemäß dem Protagonisten einer mythologischen Reise nach Joseph Campbell, der die Welt erst dann verlassen darf, wenn er weitergegeben hat, was er in dieser zuvor gewonnen hat. Schweizer tut das jetzt als Vortragsredner, Keynote-Speaker und Mentor im Bereich Persönlichkeitsentwicklung. Und natürlich hat Jochen Schweizer auch schon eine neue Idee: Im Februar startet sein Online-Seminar, um noch mehr Menschen zu erreichen. Der Titel: „Handle! Wie du der Mensch wirst, der alle deine Probleme löst“. Wie gesagt, Gott wäre neidisch.

 

Credit: Moritz AttenbergerManagementprinzip: „Die Besten haben! Und Leute, die den Erlebnisgedanken auch wirklich leben.“
Credit: Moritz AttenbergerJochen Schweizer ist Unternehmer, Speaker, Mentor, Investor, Autor, Vordenker. Im Gespräch springen seine Gedanken, aber jedes Statement sitzt.
Credit: Moritz AttenbergerPerspektivwechsel: Jochen Schweizer beim Rundgang durch "seine" Arena. Das Kayaking-Bild von ihm im Hintergrund ist so hoch, dass hier leider nur das untere Ende des Wasserfalls zu sehen ist.
Credit: Moritz AttenbergerWelle machen: Den Tag beginnt Schweizer oft mit einer Surf-Runde. So wie Arena-Geschäftsführer Etienne Herr im Hintergrund.

 

Zur Person

Jochen Schweizer

ist Unternehmer, Speaker, Mentor, Autor und Vordenker

26.02.2024    Jenny Kunz
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