Aktienkurse spiegeln sich vor einer Skyline.
22.03.2021    Martin Hintze
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Von der Geschäftsführung einer AG, die ein Unternehmen übernehmen möchte, erwarten alle Aktionäre – zu Recht – dass sie die Geschäftsberichte des Übernahmekandidaten intensiv studiert hat. Von sich selbst erwarten jedoch die wenigsten Aktionäre, dass sie die Geschäftsberichte ihrer Beteiligungen vor dem Investment intensiv studiert haben. Das ist inkonsequent.

Schlummert in den Aktienbesitzern die Sehnsucht nach der Einfachheit? „Es muss doch einen einfachen Weg geben, zu Wohlstand zu kommen“: ist das die Hoffnung, die dahinter steckt?

Auf Internetportalen kommunizieren Marktteilnehmer offen, dass sie eine Aktie gekauft haben, weil der Preis gerade steigt. Jedoch enthält ein steigender Preis keine Information über die dem Wertpapier hinterlegten Werte. Möglicherweise gibt es gar keine, oder nicht genügend.

Ein Blick in den Geschäftsbericht würde schnell Klarheit bringen

Kolumnenkasten von Gerhard Michel

Eine Aktie zu kaufen, ohne den Substanzwert zu kennen – in der Hoffnung, sie später an jemanden anderen zu einem höheren Preis zu verkaufen: Das ist Glücksspiel. Einer Unternehmung Kapital zur Verfügung zu stellen, ohne vorher zu wissen, was diese mit dem Kapital anfängt, ist leichtfertig.

Die ein oder andere erfolgreich abgeschlossene Spekulationen kann nicht als Gegenargument dienen, denn wenn ein Aktienengagement schief geht, dann ist das Ausbügeln des Verlustes mit einer großen Kraftanstrengung verbunden. Dafür sorgt eine mathematische Gesetzmäßigkeit, die nicht zu ändern ist: Ein Verlust von 50 Prozent muss mit einem Gewinn von 100 Prozent ausgeglichen werden und ein Verlust von 95 Prozent muss sogar mit einer Steigerung von 1900 Prozent ausgeglichen werden. Die Chancen stehen nie 50 zu 50.

Leistung am Aktienmarkt bedeutet nicht Kaufen und Verkaufen

Illustration von Gerhard Michel

Gerhard Michel ist Investor und Finanzcoach. In Einzelcoachings, Seminaren und als Gastdozent vermittelt er die quantitative, fundamentale Aktien- / Unternehmensanalyse

Im „echten“ Leben haben wir alle gelernt, dass Erfolg mit Leistung, also beispielsweise Fleiß, korreliert. Daher hat für die meisten Menschen das Glücksspiel als Instrument zum Vermögensaufbau ein schlechtes Image und das sollte auch für die Spekulation gelten. Um am Aktienmarkt nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen wir das uns bekannte Leistungsprinzip auch als Investorin und Investor anwenden.

Aktionäre sollten die Geschäftsberichte ihrer Unternehmen lesen, genauso wie es die seriöse Unternehmensleitung einer Beteiligungsholding vor einer Übernahme tun würde. Leider wird das Lesen und Interpretieren von Geschäftsberichten während unserer Schulzeit nicht gelehrt, denn die Ausbildung von Angestellten hat – wegen der größeren Nachfrage nach Angestellten – höhere Priorität als die Ausbildung von Investoren. Dies ist im Kontext einer weiteren Digitalisierung und Automatisierung der Arbeit leider zu kurz gedacht.

Lücken im Bildungssystem

Die Tatsache, dass wir in unserem Bildungssystem nichts über das Investieren lernen, bedeutet weder, dass man es nicht lernen kann, noch dass es keine allgemein gültigen Regeln und Grundsätze gibt, die erfolgreiches Investieren ermöglichen. Ähnlich wie beim Erlernen einer Sprache gilt es eine „Grammatik“ zu erlernen, die ein wichtiges Gerüst bietet.

Nur sehr wenige Menschen möchten in einer Firma angestellt sein, die kein oder wenig Eigenkapital hat, da so ihr Arbeitsplatz nicht gesichert erscheint. Aus demselben Grund möchten wenige Menschen in einer Firma arbeiten, die keine Ertragskraft vorweist und nur ganz wenige Menschen möchten in einer Firma arbeiten, die z. B. im Kerngeschäft elektrische Nähmaschinen herstellt, aber mit dem Kapital der Aktionäre mit digitalen Briefmarken spekuliert.

Diese für die meisten im „realen Leben“ geltenden Ausschlusskriterien sind auch am Aktienmarkt anzuwenden. Denn in uns allen schlummert die Logik der Realwirtschaft, wir dürfen sie nur nicht bei einem Engagement an der Börse ausblenden.

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22.03.2021    Martin Hintze
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