Illustration Industrie 4.0 Bagger
01.06.2019    Anke Ralle
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h2 class="p3">Die Infrastruktur: 5g muss her

Doch selbst das richtige Mindset nutzt wenig ohne die passenden Rahmenbedingungen. In puncto Infrastruktur soll es die nächste Mobilfunkgeneration 5G richten. Die Wirtschaft zählt auf die Technologie, mit der Maschinen in Echtzeit miteinander kommunizieren können sollen. Während in Südkorea, den USA und bald auch in der Schweiz erste kommerzielle 5G-Netze entstehen, diskutieren Politik und Mobilfunkanbieter in Deutschland seit Jahren darüber.

Die kürzlich versteigerten kurzwelligen Frequenzen sind zunächst auf Städte konzentriert. Die bei Breitbandausbau und Mobilfunkqualität ohnehin gebeutelten ländlichen Räume gehen damit in Sachen 5G erst einmal leer aus. Und genau dort sitzt teils das viel zitierte Rückgrat der deutschen Wirtschaft: der Mittelstand. „Gleichzeitig werden die Unternehmen in ein Auflagenkorsett gezwungen, das die Wirtschaftlichkeit der geplanten Investitionen infrage stellt“, kritisiert Bitkom-Präsident Achim Berg den Prozess der Lizenzvergabe.

Nach der Frequenzversteigerung folgt der eigentliche Aufbau der Infrastruktur. Hier fordert Berg einfache Genehmigungsverfahren, damit die Mobilfunkmasten schnellstmöglich errichtet werden können. Positiv bewertet er, dass bestimmte Frequenzbereiche für lokale 5G-Netze reserviert sind, sodass Unternehmen eigene Netze aufbauen können, um etwa Industrie-4.0-Anwendungen voranzutreiben. Etwas, was schon mit den heute vorhandenen Mobilfunknetzen möglich ist, wie Alfons Lösing, bei Telefónica Deutschland verantwortlich für das Geschäftskundengeschäft, erläutert: „Bereits jetzt können wir dank Narrowband-IoT und LTE-M diverse IoT-Anwendungen realisieren.“ Durch 5G erweitern sich mögliche Anwendungsbereiche jedoch.

Die Schonfrist ist vorbei

Damit die heimische Industrie das IoT als Spielwiese der Zukunft nutzen kann, braucht es aber noch mehr als 5G. Ein essenzieller Baustein ist die Aus- und Weiterbildung, wie Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, bekräftigt . In der aktuellen Bitkom-Studie gaben 55 Prozent der Befragten an, dass am Fachkräftemangel derzeit der Einsatz konkreter IoT-Anwendungen scheitere. Knapp die Hälfte hat deshalb 2018 Mitarbeiter entsprechend weitergebildet, 53 Prozent planen das für 2019.

Und die Zeit drängt. „Die vierte industrielle Revolution wird oft als evolutionärer Prozess beschrieben“, so der Bitkom-Präsident. „Das ist insofern richtig, als die Veränderungsgeschwindigkeit in anderen Sektoren viel extremer ist, etwa im Medienbereich oder Finanzwesen.“ Als Grund dafür nennt Berg die Komplexität eines Produktionsprozesses, an dessen Ende ein materielles Produkt steht. Aber: Die Schonfrist gehe zu Ende. „Automobilhersteller und ihre Zulieferer sind die Ersten, die mitten im digitalen Sturm stehen.“

Credit: Philipp Möller/JDB MEDIA

Was ist Industrie 4.0? Die Definitionen der Plattform Industrie 4.0

Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie. Für Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten, intelligente Vernetzung zu nutzen. Dazu zählen beispielsweise:

Flexible Produktion: In der Herstellung eines Produkts sind viele Unternehmen involviert, die Schritt für Schritt etwas beitragen. Digital vernetzt können diese Schritte besser abgestimmt und die Auslastung der Maschinen besser geplant werden.

Wandelbare Fabrik: Produktionsstraßen sind künftig in Modulen aufgebaut. Sie lassen sich schnell für eine Aufgabe zusammenbauen. Produktivität und Wirtschaftlichkeit werden so ver­bessert, individualisierte Produkte können in kleiner Stückzahl zu bezahlbaren Preisen hergestellt werden.

Kundenzentrierte Lösungen: Konsument und Produzent rücken näher zusammen. Kunden können Produkte mitgestalten – etwa Elemente von Turnschuhen selbst designen und an die individuelle Fußform anpassen. Smarte Produkte senden im Einsatz Nutzungsdaten an den Produzenten, mit denen dieser seine Produkte verbessert und dem Kunden neuartige Services bietet.

Optimierte Logistik: Algorithmen berechnen ­die idealen Lieferwege, Maschinen melden selbstständig, wenn sie neues Material benötigen – die ­smarte Vernetzung ermöglicht einen optimalen Warenfluss.

Einsatz von Daten: Daten zu Produktionsabläufen und Produktzuständen werden zusammengeführt und ausgewertet. Diese Analyse liefert Hinweise für eine effizientere Herstellung. Noch wichtiger: Sie ist Grundlage für vollkommen neue Geschäftsmodelle und Services. Fahrstuhlhersteller etwa können ihren Kunden „vorausschauende Wartung“ anbieten: Sensoren in Fahrstühlen senden konti­nuierlich Daten über ihren Zustand. Abnutzung kann erkannt und behoben werden, bevor der Fahrstuhl ausfällt.

Ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft: Produkte werden über ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet. Schon im Design wird festgelegt, wie Materialien wiederverwertet werden können.

Ein Portrait von Adalbert Wilhelm

Adalbert Wilhelm

ist Professor an der Jacobs University Bremen. Seine Schwerpunkte: statistische Visualisierung, explorative Datenanalyse und Data-Mining

Interview: „Daten wie Öl veredeln“

Adalbert Wilhelm legt Industrieunternehmen nahe, auf Datenqualität statt -quantität zu setzen.



DUB UNTERNEHMER-Magazin: Viele Industrieunternehmen sitzen auf Bergen von Daten. Werden diese sinnvoll genutzt?

Adalbert Wilhelm: Das Sammeln und Archivieren von Daten wird zwar in den deutschen Unternehmen ­mittlerweile in großem Maße betrieben. Doch deren konkrete Nutzung steckt häufig noch in den Kinderschuhen, sodass dies keine nachhaltige Entwicklung nach sich zieht. Schnelle Erfolge sind somit nicht zu erwarten. Doch mittelfristig wird sich ein integrierter Kreislauf der datengetriebenen Planung und Entscheidungsfindung lohnen, der dann einen Wettbewerbsvorsprung sichern kann.

Vor welchen Herausforderungen stehen Industrieunter­nehmen, die sich mit datengetriebenen Geschäftsmodellen auseinandersetzen?

Wilhelm: Auf die Datenqualität kommt es an. Für alle Projekte der Datenanalyse gilt, dass 80 bis 90 Prozent des Aufwands in den vorbereitenden Schritten der Analyse gebunden sind. Bevor man sich um die Datenqualität kümmern kann, gilt es, die Unternehmenskultur und die Entscheidungsprozesse auf die Verwendung empirischer Daten auszurichten. Wie Öl müssen Daten erst veredelt werden, um nutzbar zu sein. Für datengetriebene Geschäftsmodelle muss die Datensammlung und Datenhaltung von der Analyse und den beabsichtigten Zielen her gedacht werden.

Deutschland soll als starke Industrienation in Sachen Internet of Things die Nase vorn haben. Wo stehen deutsche Unternehmen aktuell im internationalen Vergleich?

Wilhelm: Solange es um Adaptionen der bestehenden Produktionsprozesse geht – etwa Automatisierung durch Robotik, datengetriebene Maschinenwartung, Nutzung von Virtual Reality –, sehe ich die deutschen Unternehmen mit an der Spitze. Auch was die Datensammlung durch den Einbau von Sensoren anbelangt, ist sehr viel geschehen. Bei der Auswertung der Daten und ihrer Nutzung zur Optimierung der Produktionsprozesse wird jedoch zu wenig getan. Bisher spielten statistische Datenanalyse und Mustererkennung durch maschinelles Lernen eher eine Nebenrolle.

Inhalt

 

21 %

der deutschen Unternehmen nutzen laut McKinsey IoT-Anwendungen

44 %

der vom IDG befragten Unternehmen haben bis 2019 bereits IoT-Projekte umgesetzt. Eine Verdoppelung im Vergleich zu 2018 (22%).

01.06.2019    Anke Ralle
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