ein Patient und eine Person vom medizinischen Fachpersonal formen mit ihren Händen ein Herz
20.08.2023    Madeline Sieland
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Meik Baumeister hat die Cardisiographie entwickelt, ein neues Verfahren zur Erkennung von Herzerkrankungen

Meik Baumeister

ist Co-Founder und CEO von Cardisio. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Umsetzung von komplexen IT-Projekten und der Führung von IT-Unternehmen. Angefangen als Berater für Business Intelligence und CRM, führte ihn sein Werdegang als Geschäftsführer zu mehreren mittelständischen IT-Häusern in Deutschland (u.a. 7N, IMPAQ Group)

Blicken wir zunächst in die Zukunft: Was wird in der Medizin in fünf Jahren möglich sein, was heute noch nicht möglich ist?

Meik Baumeister: Ein bedeutender Aspekt wird die personalisierte Medizin sein. Durch die Nutzung genetischer Informationen und umfangreicher Datenmengen werden wir in der Lage sein, individuell angepasste Behandlungen anzubieten. Das Verständnis der genetischen Grundlagen von Krankheiten wird es ermöglichen, Therapien maßgeschneidert auf den einzelnen Patienten zuzuschneiden, was zu einer effektiveren und sichereren Behandlung führt.

Die Integration von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen in die medizinische Praxis wird ebenfalls stark voranschreiten. KI-Algorithmen können große Datenmengen analysieren und dadurch bei der Diagnosestellung, der Erstellung von Behandlungsplänen und der Vorhersage der Wirksamkeit von Therapien helfen. KI-gesteuerte Assistenzsysteme könnten Ärzte bei komplexen Entscheidungen unterstützen und so die Qualität der Patientenversorgung verbessern.

Ein vielversprechender Ansatz ist zudem die Nutzung von Nanotechnologie für die Präzisionsmedizin. Durch den Einsatz von Nanorobotern könnten Medikamente gezielt an den Ort der Erkrankung geliefert werden, was die Wirksamkeit der Therapie erhöht und unerwünschte Nebenwirkungen minimiert. Diese Entwicklung könnte die Behandlungsmöglichkeiten für viele Krankheiten erheblich erweitern.

Telemedizin und Fernüberwachung werden ebenfalls weiter an Bedeutung gewinnen. Durch die fortschreitende Digitalisierung können Patienten medizinische Beratung und Behandlung von zu Hause aus erhalten. Dies ist besonders vorteilhaft für Menschen in ländlichen Gebieten oder mit eingeschränkter Mobilität. Fortschritte in der Sensorik und bei der drahtlosen Kommunikation ermöglichen zudem die Fernüberwachung von Patienten, was zu einer verbesserten Früherkennung von Komplikationen führt und Krankenhausaufenthalte reduziert.

Bisher ist die schleppende Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein Dauerthema. Was bremst die Digitalisierung weiterhin?

Baumeister: Es gibt eine Menge Faktoren, die einen großen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Digitalisierung im Gesundheitswesen haben. Dazu gehören unter anderem Datenschutzbedenken, unzureichende Infrastruktur, komplexe regulatorische Anforderungen und begrenzte finanzielle Ressourcen. Last but not least ist eine Vielzahl unterschiedlicher Stakeholder beteiligt, welche zum Teil durch konträre intrinsische Motivationen getrieben sind.

Wie offen sind eigentlich Ärztinnen und Ärzte, aber auch Patientinnen und Patienten digitalen Anwendungen gegenüber?

Baumeister: Die Offenheit gegenüber digitalen Anwendungen variiert. Aber es gibt eine steigende Akzeptanz und ein wachsendes Bewusstsein für die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Die jüngere Generation, zeichnet sich zumeist durch mehr Offenheit und eine höhere Innovationsbereitschaft aus. Sie sind daran interessiert, die Methoden und Abläufe möglichst effektiv und effizient zu gestalten. Darüber hinaus sind jüngere Ärztinnen und Ärzte noch nicht so stark geprägt und müssen keine eingetretenen Pfade verlassen.

Wo wird das technische Potenzial derzeit noch nicht ausgeschöpft und wen sehen Sie in der Verantwortung, Innovationen voranzubringen?

Baumeister: Das Potenzial wird insbesondere im Bereich der interoperablen Datenübertragung und des nahtlosen Informationsaustauschs zwischen verschiedenen Systemen noch nicht vollständig ausgeschöpft. Die Verantwortung, Innovationen voranzutreiben, liegt sowohl bei Regierung, Ärzteverbänden und Krankenkassen, als auch Gesundheitsorganisationen und Technologieunternehmen.

Sie haben ein KI-basiertes, nicht-invasives Verfahren zur Früherkennung von Herzerkrankungen entwickelt. Welche Erfahrungen haben Sie im Rahmen der Einführung dieses Diagnoseverfahrens gemacht?

Baumeister: Im Rahmen unserer Arbeit bei Cardisio stellen wir fest, dass es oft an den schwer aufzubrechenden Strukturen diverser Gesundheitsorganisationen liegt, die so sehr an ihren seit Jahren unveränderten bürokratischen Prozessen festhalten, dass Innovation nicht mit dem gewünschten Tempo vorangetrieben werden kann.

Aus meiner Sicht erfordert es den klaren, erklärten Willen aller Beteiligten. Auf dessen Basis kann dann eine mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattete zentrale Stelle die Digitalisierung konsequent vorantreiben. Der Versuch, „basisdemokratisch“ allen individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden, wird den Weg in die Digitalisierung auch in Zukunft weiterhin verzögern.

Sie sprachen das Thema Datenübertragung und Informationsaustausch bereits an. Im Gesundheitswesen werden sehr viele Daten erfasst, wirklich genutzt werden sie allerdings nicht. Sind Daten- und Gesundheitsschutz tatsächlich unvereinbare Gegensätze oder gäbe es Möglichkeiten, Gesundheitsdaten nutzbar zu machen?

Baumeister: Es ist wichtig zu beachten, dass der Schutz von Gesundheitsdaten von höchster Bedeutung ist, da sie äußerst sensibel sind und persönliche Informationen über Patienten enthalten. Dennoch gibt es Möglichkeiten, Daten- und Gesundheitsschutz miteinander zu vereinbaren, um das Potenzial der Daten für die Entwicklung neuer Therapien und medizinischer Fortschritte zu nutzen.

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Nutzung von Gesundheitsdaten ist der britische National Health Service. Der NHS ist bekannt für seine starken Datenschutz- und Sicherheitsregularien. Gleichzeitig werden jedoch alle Daten zentral gesammelt und gesteuert und können problemlos abgerufen werden. Dies ermöglicht eine effiziente Nutzung der Daten für Forschungszwecke, Qualitätsverbesserungen im Gesundheitswesen und die Entwicklung neuer Therapien.

Die verantwortungsvolle Nutzung von Gesundheitsdaten kommt jedem von uns konkret persönlich zugute. Darüber hinaus bietet die Nutzung im Rahmen der Forschung enormes Potenzial zur Entwicklung neuer Behandlungs- und Präventionsmethoden.

Stichwort Nachhaltigkeit: Je stärker der Klimawandel voranschreitet, desto größer sind auch dessen Auswirkungen auf die Gesundheit. Wo und wie kann das Gesundheitswesen noch nachhaltiger werden, um seinen Teil zum Klimaschutz beizutragen?

Baumeister: Auch hier spielt die Digitalisierung eine große Rolle. Daten können elektronisch übertragen werden; ausdrucken oder der Postweg gehören der Vergangenheit an. Gesundheits-Apps – sofern sie in den diagnostischen Pfad eingebunden sind – können so manchen Arztbesuch unnötig machen und darüber hinaus das Bewusstsein der Menschen für ihr individuelles Gesundheitsmanagement schärfen.

Prävention ist für mich ebenfalls ein sehr wichtiger Nachhaltigkeitsfaktor. Gelingt es uns, durch Aufklärung von Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten sowie Krankenkassen das Bewusstsein für effektive Früherkennung und Vorsorge zu schärfen, werden wir unzählige schwere Erkrankungen vermeiden und somit deutlich und nachhaltig zum Klimaschutz beitragen können.

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Auch Meik Baumeister ist dabei. Am 7. September ab 11.30 Uhr spricht er in einem Panel-Talk mit Professor Peter Liggesmeyer (Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE), Gloria Seibert (Temedica), Professor Horst Christian Vollmar (Ruhr-Universität Bochum) und Leif Grundmann (MedEcon Ruhr) über folgendes Thema: „Aus dem DigiVerse: Digital-Health-Ökosysteme im Fokus“.

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20.08.2023    Madeline Sieland
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