Illustration einer grünen Welt
11.02.2022    Jan Köpper
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Globale Krisen bestimmen zunehmend unseren Alltag. Sie lösen Ängste aus, bieten aber auch Chancen. Denn sie zeigen Verwerfungen und Leistungsgrenzen ehemals stabiler Systeme auf. Einiges kommt dadurch in Bewegung. So sprechen mittlerweile die meisten Unternehmen von Nachhaltigkeit. Auch grüne Bankangebote gibt es jetzt überall. Das genügt aber nicht.

Täglich grüßt das Murmeltier

Das Jahr 2022 ist noch jung. Eine neue Regierung, neue persönliche Vorsätze, aber die alten globalen Herausforderungen. Haben Sie auch manchmal bei der morgendlichen Lektüre Ihrer Tageszeitung das Gefühl, den Überblick über die Masse der aktuellen Krisen zu verlieren? Im Wirtschaftsteil wird über Ressourcenknappheit und die vermeintlich daraus resultierende Inflation berichtet. Die Politikredaktion informiert über humanitäre Katastrophen im globalen Süden, während die Lokalpresse die Schäden durch die Sturmflut der vergangenen Nacht darstellt. Durch diese Art der Berichterstattung, die die Ereignisse trennt und separat betrachtet, wird suggeriert, dass es sich bei den jeweiligen Krisen um partielle und im Grunde genommen eigenständige Ereignisse handelt.

Schwerpunkte von Kolumnist Jan Köpper

Durch diese Lesart wird uns das Gefühl einer verletzlichen, aber kontrollierbaren Sicherheit suggeriert. Die Message: „Wir können die einzelnen Krisen beziehungsweise deren Folgen doch beheben oder zumindest künftig steuern, da sie nur Einzelfälle in einem sonst stabilen System darstellen.“

Pathologische Verengung der Sichtweise

Man könnte jedoch auch eine andere Lesart wählen und sich auf die Komplexität voneinander abhängiger (Teil-)Systeme fokussieren: Aufgrund des immer stärkeren menschengemachten Eingriffs in natürliche Ökosysteme und die nach wie vor steigenden CO2-Emissionen verstärken sich die Folgen des Klimawandels. Und das bedroht insbesondere die Lebensgrundlagen in Ländern des globalen Südens. Menschen müssen auf immer weniger bewohnbarem Raum zusammenleben, was zu Konflikten um die noch vorhandenen Ressourcen führt und auch Lieferketten in die Länder des globalen Nordens unterbricht.

In der Folge trägt dies zur angebotsseitigen Inflation bei. Hinzu kommt, dass sich die Folgen des Klimawandels nicht auf den globalen Süden begrenzen, sondern auch uns heimsuchen. Immer häufiger und stärker auftretende Extremwettereignisse werden wiederum zu einem höheren Ressourcenverbrauch führen, da Schäden und Ernteausfälle kompensiert werden müssen.

Hauptsache effizient und profitabel?

Diese Lesart zeigt, dass die Einzelkrisen nicht zwangsläufig Einzelkrisen sind, sondern Symptome einer gefährlichen Entwicklung. Sie sind eingebettet in ein poröses System der scheinbar grenzenlosen Geldschöpfung: Verschuldung zum Zwecke des Wachstums, Wachstum zum Zwecke des Wohlstands, Wohlstand zum Zwecke der Stabilität – ein Teufelskreis. Flächendeckende Ökonomisierung des Lebens kann nicht funktionieren. Denn unser Planet hat physikalische Grenzen und Menschen haben Grundbedürfnisse. Jede Form des Wirtschaftens muss diese Logik als Ausgangspunkt nehmen.

Dies gilt es zu erkennen, um nicht einer trügerischen Sicherheit zu verfallen. Unser Gesellschaftssystem ist auf totale Effizienz und Profit getrimmt, während unser soziales Fundament und die Grenzen unseres Planeten langsam zerfallen.

Illustration von Jan Köpper

Jan Köpper leitet die Stabsstelle Wirkungstransparenz & Nachhaltigkeit in der GLS Bank eG gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Laura Mervelskemper. In dieser Funktion verantwortet er die Konzeption und Umsetzung der gesellschaftlichen Wirkungsmessung, der Übersetzung von Nachhaltigkeitsrisiken sowie die Integration von Nachhaltigkeit und Wirkung in die
Kunden- und Steuerungsprozesse der Bank.

Anstatt nur Symptome zu bekämpfen, müssen wir dafür sorgen, die Stabilität unsers Systems insgesamt wiederherzustellen. Denn wir könnten besser, gesünder und verbundener mit der Natur leben.

Eine Zukunft, die wir wollen

Anstatt aus Furcht und Angst vor den unabsehbaren Folgen des Systemversagens zu handeln, sollten wir unseren Tatendrang steigern, indem wir uns eine strahlende Zukunft vorstellen, auf die wir unser gesamtes Handeln ausrichten: eine Zukunft der gemeinwohlorientierten sozial-ökologischen Transformation. Jedes Geschäftsmodell und jede Wirtschaftsaktivität sollten einen aktiven Beitrag zu dieser Zukunft leisten. So unterschiedlich diese im Einzelfall auch sein mögen: Wichtig ist nur, dass wir wissen, wofür wir uns einsetzen. Der Mitgründer der GLS Bank, Wilhelm Ernst Barkhoff, sagte einst: „Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder einer Zukunft, die wir wollen.“ Wie wahr und wie zeitlos diese Aussage doch ist…

Nachhaltig handeln kann jeder – auch ohne politische Vorgaben

Die EU-Taxonomie hätte der Startpunkt eines solchen großen Zukunftsbildes sein können. Sie hätte kodifizieren können, was nachhaltig ist und woran wir uns orientieren müssen, um den Weg in eine gerechte und ökologische Zukunft zu gehen. Nun diskutieren wir jedoch darüber, ob Atomkraft im ökologischen oder Waffen im sozialen Sinne der EU-Taxonomie nachhaltig sein können, was an Zynismus insgesamt nicht zu überbieten ist.

Doch auch hier sollten wir unsere Sichtweise nicht verengen; der Taxonomie-Zug ist noch nicht abgefahren. An den Bahnsteigen bewegt sich sehr viel. Dies zeigen zahlreiche Akteurinnen und Akteure sowie Organisationen, die nicht locker lassen, einen Beitrag zum Wandel zu leisten. Das Thema Biodiversität ist auf der Tagesordnung. Täglich entstehen neue Mess- und Bilanzierungsmethoden zur Steuerung sozial-ökologischer Wirkungen.

Die junge Generation erkämpft sich unermüdlich Gehör. Suffizienz – das Einsparen von Material und Energie – wird zum Orientierungspunkt immer mehr Menschen. Politischer Aktivismus im Sinne der Nachhaltigkeit wird wieder zur Bürgerpflicht. Umverteilung und soziale Gerechtigkeit werden lokal erprobt, Umweltinnovationen an den Markt gebracht, Konsumverhalten hinterfragt. Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft rücken zusammen. Die Politik beginnt zu verstehen.

Mein Fazit: Kein Grund für Angst. Jetzt ist die Zeit, zu gestalten – im Geiste der Solidarität und aus Liebe zu unserem Planeten. Ich werde nicht lockerlassen. Sind Sie dabei?

11.02.2022    Jan Köpper
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