Deep Tech: Der Status quo in Europa

Der Begriff Deep Tech bezeichnet disruptive Lösungen, die durch den beschleunigten technologischen Wandel und massive Fortschritte in der Wissenschaft möglich werden. Sie bieten Unternehmen die Möglichkeit, bahnbrechende Innovationen hervorzubringen.

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Zukunftstechnologien

Deep Tech: Aufbruch in neue Sphären

Künstliche Intelligenz, Big Data und Blockchain sind auf dem Vormarsch. Die Deep-Tech-Ära hat begonnen. Und sie bietet riesige Chancen für Unternehmen.

Die Entwicklung wird immer rasanter; alles wird immer komplexer, immer vernetzter. Die fortschreitende digitale Transformation schafft permanent neue technologische Möglichkeiten. Die nächste industrielle Revolution ist in vollem Gange – denn jetzt verschmelzen in der vierten industriellen Revolution (4IR) dank Deep Tech die physische, die digitale und die biologische Welt miteinander. Doch was bedeutet das? Und was heißt eigentlich Deep Tech?

„Der Begriff bezeichnet Lösungen, die auf gänzlich neuen wissenschaftlichen Grundlagen beruhen, höchst innovativ sind und neue Standards am Markt setzen“, lautet die einfache Erklärung des German Deep Tech Institute, das sich auf den Wissenstransfer zwischen Forschung und unternehmerischer Praxis fokussiert. Gelingt dieses ambitionierte Vorhaben, könnte dem Mittelstand ein goldenes Zeitalter bevorstehen: die Deep-Tech-Ära.

 

Europa sucht bei Deep Tech den Anschluss

Auch die Politik hat das Potenzial von Deep Tech erkannt. „Vom Internet der Dinge über Cloud-Computing und 5G bis hin zu Künstlicher Intelligenz – Innovationen in intelligenten vernetzten Technologien verändern den Status quo weltweit in rasantem Tempo. Kleine, aber hoch innovative europäische Unternehmen können Europas Wettbewerbsposition bei den digitalen Technologien entscheidend stärken“, sagte António Campinos, Präsident des Europäischen Patentamts, bei der Vorstellung einer neuen Studie des Europäischen Patentamts und der Europäischen Investitionsbank zu Deep-Tech-Innovationen.

Die Studienautoren kommen allerdings zu der Erkenntnis, dass aktuell kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) in den USA einen höheren Beitrag zur Innovation bei Technologien leisten als KMU in der Europäischen Union. Dadurch werde die Führungsrolle der USA bei hoch entwickelten digitalen Technologien weiter gestärkt. Use-Cases für Deep-Tech-Innovationen gibt es derzeit vor allem im Gesundheitswesen, im Verkehrssektor, im Bereich der Umwelttechnologien und bei der Datenanalyse.

Interessant: Deep Tech ist ein Thema für KMU. Denn laut Studie haben rund 80 Prozent der Deep-Tech-Unternehmen in der EU maximal 50 Mitarbeitende. Fast 60 Prozent üben ihre Geschäftstätigkeit bereits seit mehr als zehn Jahren aus. Denn: Die Entwicklungszyklen im Hochtechnologiebereich sind deutlich länger als bisher.

Biontech hat gezeigt, was möglich ist

Ein prominentes deutsches Beispiel dafür, dass sich jahrelange Spitzenforschung irgendwann finanziell auszahlen kann, ist der Mainzer Pharmakonzern Biontech. Die Gründer Uğur Şahin, Özlem Türeci und Christoph Huber forschten seit 2008 zur Ent­wicklung von Technologien und zur Herstellung von Medikamenten für individualisierte Krebsimmuntherapien auf mRNA-Basis.

Der entscheidende Durchbruch in der Krebstherapie gelang zwar (noch) nicht. Dafür adaptierte Biontech seine Forschungsergebnisse, als ein Vakzin gegen das Coronavirus gesucht wurde. Es war der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte – und ein Beleg für die erstklassige Arbeit deutscher Forschungseinrichtungen. Der Nebeneffekt: Deep Tech bekam durch die Coronakrise und Biontech einen gewaltigen Schub.

Quantencomputer stehen im Fokus

Wissenschaftliche Exzellenz gilt als Innovationstreiber. Vor allem beim Thema Quantencomputer wird die Arbeit an deutschen Hochschulen, in Start-ups und von Hidden Champions weltweit neidisch beäugt. Martin Hofmann, ehemaliger CIO von Volkswagen, ist darüber keineswegs verwundert. Schließlich weiß er um die jahrelange ausgezeichnete Grundlagenforschung, insbesondere in der Physik. Hofmann sagt: „Es braucht wenige, aber hoch spezialisierte Leute, die wissen, wie man mathematische Probleme in einer anderen Modellierung herunterbrechen kann. Diese Personen haben wir in Deutschland.“ Und sie könnten in naher Zukunft dafür sorgen, dass die Karten in puncto Technologieführerschaft doch noch einmal neu gemischt werden.

Fest steht: Quantencomputer sind nicht nur ein Ergebnis der Deep-Tech-Ära, sie beschleunigen den weiteren Wandel auch wesentlich. Denn sie sind in der Lage, komplexere Rechenleistungen als klassische Computer zu erbringen. Und das gelingt schon jetzt in einem Bruchteil der Zeit, obwohl die Entwicklung von Hardware und Algorithmen noch in den Kinderschuhen steckt.

Investoren stehen Schlange

Deep Tech umfasst neben Quantencom­puting und BioTech auch die Bereiche Künstliche Intelligenz, Materialforschung, Nanotechnologie und Robotik. Deep Tech kann Unternehmen entscheidende Wettbewerbsvorteile verschaffen und ganze Branchen auf die nächste Stufe heben. Deep Tech kann aber auch dabei helfen, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen – beispielsweise im Kampf gegen den Klimawandel oder bei der Bekämpfung von Armut. Immer mehr Gründerinnen und Gründer wollen diese Herausforderungen angehen und setzen auf das Thema Deep Tech – genau wie Investoren.

Laut einer aktuellen Erhebung der Förderbank KfW entfällt in Deutschland ein größer werdender Anteil am wachsenden Venturecapital-Markt auf Biotech- und Deep-Tech-Start-ups. Davon profitieren zum Beispiel das deutsche Raumfahrtunternehmen Isar Aerospace oder CarbonStack aus Hamburg, das CO2-Kompensation transparenter machen will. Beide Unternehmen sind auf dem Sprung, die Deep-Tech-Ära – das goldene Zeitalter – mitzuprägen.

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Deep Tech Dinner

Mehr Mut zur Transformation

Eine starke und fortschrittliche deutsche Wirtschaft braucht Innovationen. In diesem Punkt sind sich Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik einig. Die Redaktion von DUP UNTERNEHMER hat Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus verschiedenen Bereichen an einen Tisch gebracht. Beim „Deep Tech Dinner“ in München tauschten sie sich über technologische Innovationen für die Wirtschaft aus.
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Portrait Margret SuckaleMargret Suckale | Aufsichtsrätin

„Die Chancen durch neue Technologien überwiegen bei Weitem die Risiken. Dass wir schlecht gestartet sind – das hat mich enorm geärgert –, liegt daran, dass wir begonnen haben, das Thema Digitalisierung mit Arbeitsplatzabbau und Verlustängsten zu verbinden. Nun wundern wir uns, dass Arbeitnehmer skeptisch sind. Mitarbeiter gezielt weiterzubilden und ihnen die Vorteile der Digitalisierung zu verdeutlichen ist daher eine der wichtigsten Aufgaben.“

Dr. Martin SonnenscheinDr. Martin Sonnenschein | Aufsichtsratschef der Heidelberger Druckmaschinen AG

„Die Pandemie hat schnell Veränderungen im Verhalten erzeugt. Die Ukraine-Krise ist ein weiterer Einschlag. Beides hat gezeigt, wie flexibel wir Menschen im Denken und Handeln sein können. Mehr grundsätzliche Offenheit für Veränderungen wünsche ich mir deshalb von der Zivilgesellschaft. Das Individuum bleibt der Motor unserer Zukunftsfähigkeit, denn technologischer Fortschritt führt nur gemeinsam mit Verhaltensveränderungen zu Innovation.“

Portrait Agelika GiffordAngelika Gifford | Vice President for Europe, the Middle East and Africa bei Meta

„Wir müssen bei der Digitalisierung noch interdisziplinärer werden. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen Hand in Hand arbeiten. Covid-19 hat uns einen Schub gegeben. Die Situation ist besser, als viele sie darstellen. Wir haben eine Menge zu bieten. Gleichzeitig gibt es noch viel zu tun, und wir müssen ein bisschen mehr darüber reden.“

Portrait Hagen RickmannHagen Rickmann | Geschäftsführer des Geschäftskundenbereichs der Telekom Deutschland

„Ich sehe viel Potenzial im Bereich KI. Dadurch können wir Prozesse beschleunigen und automatisieren. Das wird uns auch beim Thema Nachhaltigkeit helfen. Die Frage ist: Wie weit lasse ich es kommen, und wie gehe ich damit ethisch und moralisch um? Entscheidungen müssen immer wieder hinterfragt werden.“

Computing

Ein Quantum Zuversicht

Professor Henning Kagermann

ist Physiker und ehemaliger CEO von SAP. Aktuell ist er Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften

Auch wenn es nur schwer vorstellbar ist: Quantencomputer können Probleme lösen, an denen sogar Supercomputer scheitern. Damit sind sie Gamechanger für die Wirtschaft. Professor Henning Kagermann, ehemaliger CEO von SAP, erklärt, was Quantencomputer leisten können.

Bei der digitalen Transformation läuft Deutschland seit Jahren hinterher und belegt in verschiedenen internationalen Vergleichen nur hintere Plätze. Daran hat auch der Digitalisierungsschub durch die Coronapandemie nichts geändert. Doch Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft glauben, dass Deutschland das nächste Technologiezeitalter entscheidend mitprägen kann – das der Quantencomputer. Und die können zu echten Gamechangern für einzelne Unternehmen und ganze Branchen werden.

Martin Hofmann, ehemaliger CIO von Volkswagen und jetzt Berater bei Salesforce, sagt: „Quantencomputing ist nicht ressourcenintensiv. Es braucht nur wenige, aber dafür hoch spezialisierte Leute, die wissen, wie man mathematische Probleme in eine andere Modellierung herunterbrechen kann. Und diese Personen haben wir in Deutschland.“ Im Bereich Quantenphysik betrachtet Hofmann die Bundesrepublik deshalb – neben Großbritannien – als weltweit führend.

Wettlauf um mehr Qubits

Ein Quantencomputer macht sich die Gesetze der Quantenmechanik zu eigen. Statt der geläufigen Bits mit den Zuständen 0 und 1 nutzt er sogenannte Quantenbits (Qubits), die mehrere Zu­stände gleichzeitig annehmen und untereinander verschränkt sein können. Dadurch werden wesentlich komplexere Rechenleistungen möglich, die ein klassischer Computer gar nicht leisten könnte – in einem Bruchteil der Zeit.

Quantencomputer stehen zwar noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Trotzdem liefern sich Wissenschaftler in den Labors der Hochschulen und Universitäten, aber auch Tech-Riesen wie Google, Microsoft und IBM einen Wettlauf um mehr Qubits, neue Use-Cases und die Entwicklung passender Algorithmen.

Die Forschungsplattform „IBM Quantum System One“, die im Juni 2021 im baden-württembergischen Ehningen eingeweiht wurde, ist der erste deutsche Quantencomputer. Bald sollen weitere dazukommen. Vielleicht ja auch welche, die Alexander Glätzle mit seinem gerade gegründeten Start-up baut. Er empfiehlt Unternehmen, frühzeitig auf die neue Technologie zu setzen, um nicht wieder den Anschluss zu verlieren: „Damit wir aber gemeinsam den nächsten Schritt machen können, brauchen wir viele spannende Use-Cases, die für Unternehmen wirtschaftlich Sinn machen.“


Welche Rolle spielen Quantencomputer in der Zukunft?
HKQuantenmechanik gibt es schon lange, und sie ist in der Physik auch als die Theorie akzeptiert, die hinter allem steht. Ob das auch in 30 Jahren noch Bestand hat, weiß ich nicht. Aber es ist bekannt und mit Fakten unterlegt, dass Quantencomputer Probleme lösen können, die wir mit der Leistungsstärke klassischer Computer nicht lösen können. Es wird eine Koexistenz zwischen klassischen Computern und Quantencomputern geben. Denn Quantencomputer treffen etliche Firmen im Kern ihres Geschäftsmodells.
Können Sie konkrete Beispiele dafür nennen?
HKQuantencomputer können helfen, Lieferketten und die Produktion zu optimieren. Auch bei der Entwicklung neuer Werk- und Wirkstoffe können sie eingesetzt werden, weil sie Eigenschaften von großen und komplexen Molekülen berechnen können, was bislang kaum möglich war. Es gibt aber auch Praktiker, die bereits testen, wie Banken mit Quanten­computing Portfolio-Berechnungen verbessern können. Automobilhersteller untersuchen dagegen, wie sich mit Quantentechnologie die Batterietechnik optimieren lässt. Und auch dem Thema Künstliche Intelligenz wird die Quantentechnologie einen Schub geben.
Braucht in Zukunft jedes Unternehmen einen Quantencomputer?
HKViele Firmen haben in ihrem Kerngeschäft Fragestellungen, die sich mit einem Quantencomputer besser lösen ließen. Sie könnten sich durch den Einsatz von Quantencomputing einen Geschäftsvorteil erarbeiten. Den Quantencomputer brauchen die Firmen vielleicht aber gar nicht selbst. Es gibt bereits Anbieter wie IBM, die Quantencomputing als „As a service“-Modell anbieten. Allerdings: Wenn sie dabei ihr differenzierendes Know-how preisgeben, haben Unternehmen berechtigte Sorge, sich auf ein solches Modell einzulassen. Deshalb ist es aus deutscher Sicht wichtig, dass wir nicht nur Anwender sind. Es macht vielmehr Sinn, hierzulande rechtzeitig in technologische Souveränität zu investieren.
Experten haben als weiteres wichtiges Anwendungsbeispiel für Quantencomputing auch die Kernfusion ins Spiel gebracht. Wäre das ein Gamechanger, um unseren Energiebedarf zukünftig zu decken?
HKOb Kernfusion in absehbarer Zeit praktisch einsatzfähig wird, hängt von vielen Faktoren ab. Komplexe Simulationen und Berechnungen, die erst mithilfe von Quantencomputern möglich sind, gehören dazu. Allerdings wird es noch lange dauern und ­enorme Investitionen erfordern. Die Forschungsbudgets dafür sind in Europa begrenzt. Ich halte es für einen interessanten Ansatz, der in den derzeitigen Förderprogrammen noch nicht mitgedacht wird. Aber wir haben in Deutschland viel Know-how beim Thema Kernfusion.
Glauben Sie, dass Europa beim Thema Quantencomputing eine Chance gegenüber den Amerikanern hat?
HKJa, wenn wir es richtig angehen. Immerhin fördert die Bundesregierung Quantencomputer bereits mit circa zwei Milliarden Euro. Wichtig ist es, das Thema konsequent voranzutreiben, rechtzeitig zu fokussieren und die europäischen Initiativen zu koordinieren.



Videocredit: Getty Images/Floaria Bicher, Getty Images/da-kuk

Bildcredits: Getty Images/Nataniil, Getty Images/pialhovik, Getty Images/Rudzhan Nagiev, PR

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