auch Premiummarken müssen ihre Customer-Journey auf digitale Kanäle ausweiten
20.09.2023
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Großes Haus, coole Möbel, eine besondere Armbanduhr, das Cottage in der Provence? Auch 2030 wird es sicher noch das Bedürfnis nach statusträchtigem Besitz und dem besonderen Stil geben. „Premium“ zu haben und zu sein bleibt Ziel von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt.

Zugleich ändert sich die Definition dessen, was ein Premiumprodukt auszeichnet, weiter – auch und gerade mit Blick auf globale Megatrends wie Überbevölkerung, Überalterung und Klimawandel. Themen wie Nachhaltigkeit oder Beständigkeit rücken noch stärker in den Mittelpunkt. Minimalismus statt Materialismus prägt zunehmend das Bild. Man möchte stolz sein auf das, was man besitzt, aber ohne damit zu protzen.

Touchpoints werden bis 2030 noch digitaler 

Diese Entwicklungen ermöglichen es bereits heute neuen Playern wie Tesla, scheinbar aus dem Nichts heraus den angestammten Platzhirschen das Leben schwer zu machen. Dabei nutzen diese Marken auch die Veränderungen in den Prioritäten der Touchpoints in den Consumer-Journeys – also all jener Momente, in denen Konsumentinnen und Konsumenten mit einer Marke in Berührung kommen, von der ersten Web-Recherche und Vorführung am Point of Sale über das Produkterlebnis bis zur Service-Erfahrung.

Diese Touchpoints werden bis 2030 nicht nur weiter in die digitale Welt vorrücken, sondern auch immer häufiger in der virtuellen Welt des Metaverse stattfinden. Die Informationsflut wird weiter zunehmen; die Anzahl der Kanäle, auf denen Kundinnen und Kunden sich informieren, austauschen und einkaufen, wird noch größer sein. Und damit wird auch die Gefahr von Fehlinformation und Manipulation steigen.

In dieser Welt erreicht der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kundinnen und Kunden eine ganz andere Qualität.

Für Premiummarken sind damit aber nicht nur Risiken, sondern ebenso große Chancen verbunden. Es braucht jedoch auch eine ziemlich radikale Veränderung im Spagat zwischen analoger und digitaler Entfachung von Begeisterung bei den Kundinnen und Kunden.

Begeisterung als Schlüssel: Customer Delight am Trustpoint

Im globalen Wettbewerb um Premiumkundinnen und -kunden erweist sich Begeisterung als die zentrale Voraussetzung für eine nachhaltig loyale Beziehung. Für diese Begeisterung braucht es jedoch signifikant mehr als die reine Bedürfnisbefriedigung. Dieses „Mehr“ lässt sich am ehesten mit dem Begriff Customer Delight beschreiben.

Momente eines solchen „herausragenden Kundenerlebnisses“ sind jedem schon begegnet, zumindest intuitiv: Ein Servicetechniker, der sich mitgebrachte Hausschuhe anzieht, bevor er eintritt, und mit dem eigenen Staubsauger nach verrichteter Arbeit sauber macht. Die Agentin am Servicetelefon, die per Ferndiagnose und Software-Update schnell die Lösung parat hat, ohne dass ein Techniker kommen muss. Oder auch die Erfahrung, dass die Waschmaschine nach über 20 Jahren immer noch perfekt funktioniert.

Diese „tipping points“ in der individuellen Kundenerfahrung mit einer Marke führen regelmäßig dazu, dass wir mit unseren Nachbarn, Freunden oder der Familie dieses herausragende Markenerlebnis teilen. Früher geschah dies in der persönlichen Begegnung etwa zu Hause oder im Restaurant, heute überwiegend geteilt über die sozialen Medien.

Überragende Erfahrungen werden gepostet, getweetet und geteilt – und bergen so das Potenzial, eine größere Anzahl von Kundinnen und Kunden sozusagen mit der Begeisterung für die Marke zu infizieren. Genauso, wie wir schlechte Erfahrungen teilen – und Marken anschließend das x-Fache in Marketing investieren müssen, um solche Negativerlebnisse aus den Köpfen der Kundinnen und Kunden wieder zu verbannen.

Vertrauen in Marken aufzubauen bleibt relevant

Insofern greifen künftig auch klassische Methoden zur Messung der Kundenzufriedenheit zu kurz. Und auch der Net Promoter Score (NPS) kann den Begeisterungsfaktor nur teilweise erfassen. Vielmehr müssen neueste Methoden des Social Listening, zumindest ergänzend, zur Anwendung kommen.

Einige Trends, die sich bis 2030 noch weiter beschleunigen werden, stellen gerade Premiummarken im Hinblick auf diese Begeisterungsmomente vor besondere Herausforderungen: Fast alle Consumer-Journeys beginnen im digitalen Raum; deutlich über 50 Prozent der Transaktionen werden online auch abgeschlossen. Menschen verlagern ihr Leben zunehmend vom analogen in den digitalen oder virtuellen Raum, wo sich die Zahl der potenziellen Kontaktpunkte zwischen Marke und Kundinnen und Kunden weiter vervielfacht.

Es ist deswegen essenziell, sich nicht im Kleinen zu verlieren, sondern für die eigene Marke die relevanten Kontaktpunkte für (potenzielle) Kundinnen und Kunden zu identifizieren, fokussiert zu Trustpoints auszubauen und diese markengerecht zu gestalten. Vertrauen hat dabei vor allem mit Ehrlichkeit, Klarheit, Konsistenz und Transparenz zu tun, mit der die Marke sich an den Trustpoints präsentiert.

Direct-to-Consumer als Erfolgsbaustein für Premiummarken

Entscheidend ist, dass die Marke den Kundinnen und Kunden auf allen Kanälen begegnet, die diese ihrerseits nutzen. Omnichannel heißt in diesem Fall Omnipräsenz. Premiummarken antizipieren, wo sie die Zielgruppe erreichen können, sind präsent – ohne penetrant zu sein –, heben sich mit ihrem Auftritt vom Wettbewerb ab und schaffen es so, die umkämpfte Aufmerksamkeit der Konsumentinnen und Konsumenten auf sich zu ziehen.

Traditionell haben sich Menschen mit Premiumanspruch dabei auf den stationären Handel verlassen können. Doch wie soll das funktionieren, wenn Großflächen ums Überleben kämpfen, qualitätsorientierte Fachgeschäfte immer seltener werden, Innenstädte veröden?

Bis 2030 werden allein in Deutschland Tausende weitere Geschäfte aus den Städten verschwinden. Zugleich zeigen die anhaltenden Besucherschlangen vor den Stores von Marken wie Apple oder Louis Vuitton, dass insbesondere Fans von Premiumprodukten trotz Digitalisierung und Online-Handel weiter ein klares Bedürfnis nach einer realen Erreichbarkeit haben.

Dies ist auch nicht verwunderlich: Transaktionsfokussierte Online-Plattformen tun sich seit jeher enorm schwer, die spezifischen Vorzüge von Premiumprodukten herauszuarbeiten und vom Massenprodukt zu differenzieren. In diesem neuen „Internet-Sozialismus“ stehen die Transaktion und der Marktanteil der Plattform im Vordergrund, nicht die Vermittlung des Markenwerts der einzelnen Produkte. Und wer ein hochwertiges Premiumprodukt recherchiert, bekommt prompt Alternativangebote von vorgeblich „vergleichbaren Produkten“ serviert, die aber technisch und mit Blick auf den Kundennutzen oft deutlich abfallen.

Die eigenen Shops werden zu „Markenleuchttürmen“

Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade Premiummarken offline häufig signifikant höhere Marktanteile besitzen als in den Online-Kanälen.

Hier können und müssen Marken mit innovativen Direct-to-Customer-Formaten gegensteuern. Dabei werden die eigenen Shops zu „Markenleuchttürmen“, die weitaus mehr bieten als das bloße Produkt – bis hin zu Koch-Events, Coffee-Workshops und testweisem Waschen der eigenen Wäsche. In der Welt der Luxusmode ist dies seit jeher Strategie.

Auch Miele geht diesen Weg bereits seit mehrals 20 Jahren und baut das weltweite Netz seiner Miele Experience Center (MEC) stetig weiter aus. Derzeit können Produkte von Miele in über 250 eigenen Stores live und mit allen Sinnen erlebt werden. Bis 2030 soll sich dieses globale Netzwerk noch einmal mehr als verdoppeln.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch Next.2030.

Wo steht Deutschland im Jahr 2030? Was muss passieren, damit das einstige Wirtschaftswunderland künftig international wettbewerbsfähig bleibt? Und wo lauern Gefahren auf dem Weg ins Übermorgen? 33 Vordenkerinnen und Vordenker aus Wirtschaft, Politik, Sport und Wissenschaft wagen im Buch „Next.2030“ – herausgegeben von der Professorin und Aufsichtsrätin Ann-Kristin Achleitner sowie von Hagen Rickmann, Geschäftsführer bei der Telekom Deutschland – eine Prognose.

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Zugleich gilt es, das emotionale Markenerlebnis vor Ort mit digitaler Convenience zu verbinden. Bei Miele geschieht dies heute zum Beispiel über digitale Präsentations- und Konfigurationsformate für das persönliche Beratungsgespräch. Umgekehrt können sich Kundinnen und Kunden über die Funktion „Go-in-Store“ aus dem Miele-Webshop in unseren eigenen Geschäften live beraten lassen.

Inzwischen hat Miele ein erstes In-House-Geschäft eröffnet, das sich ausschließlich der digitalen Live-Beratung verschrieben hat. Diese und weitere hybride oder rein digitale Formate werden sich weiter durchsetzen und bis 2030 ein wichtiger Vertriebsbaustein sein.

Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell sich neue Verkaufskanäle und -plattformen entwickeln – so zum Beispiel TikTok mit seiner hohen Verweildauer und überdurchschnittlichen Aktivität – und andere an Bedeutung verlieren. Es kommt also darauf an, Trends frühzeitig zu erkennen, deren Bedeutung als Trustpoint für die eigene Premiummarke zu bewerten und die Vertriebs- und Kommunikationsstrategie gegebenenfalls anzupassen.

Ob Konsumentinnen und Konsumenten dabei letztlich direkt beim Hersteller kaufen oder über einen Händler, ist nachrangig. Entscheidend ist allein, die Begeisterung für die Marke und das Produkt zu entfachen und in Umsatz umzumünzen.

Erfolgsbaustein Kundenbindung: Datenbasierte, nachhaltige „Brand Love“ etablieren

Premiummarken im Segment der langlebigen Konsumgüter bieten besondere Herausforderungen, aber auch Chancen, um eine Kundenbindung im Sinne von „Brand Love“ zu etablieren. Bei langlebigen Konsumgütern erfolgt der Kaufentscheid in langgestreckten Zyklen von fünf bis 15 Jahren. Das bedeutet, dass nur alle fünf bis 15 Jahre eine Gelegenheit entsteht, dass eine Kundin beziehungsweise ein Kunde beabsichtigt, eine Waschmaschine, einen Backofen oder ein Auto zu kaufen.

Insofern ist es umso wichtiger, über den Nutzungszyklus mit Kundinnen und Kunden in einem aktiven Dialog zu stehen und deren Nutzungsgewohnheiten und Präferenzen möglichst genau kennenzulernen. Wesentlicher Hebel hierfür sind die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundenen Chancen aufgrund der Vernetzung der Geräte. Bis 2030 wird dies zu einer signifikanten Verschiebung im Umsatz- und Ergebnismix in der Nachkaufphase führen.

Bereits heute fließen große Entwicklungsaufwände in den Bereich Smart Home. Diese Investitionen durch die Monetarisierung der Leistungsangebote auch wirtschaftlich zu rechtfertigen fällt bislang allerdings schwer. Auch das wird sich bis 2030 fundamental ändern.

Die mit der Digitalisierung einhergehende Vernetzung der Geräte ermöglicht in immer größerem Maße werthaltige Zusatzleistungen: Bereits heute ist das Feedback für Remote-Updates der Software, also etwa das Aufspielen neuer, noch energieeffizienterer Programme oder auch für Empfehlungen zum Erhalt der Langlebigkeit unserer Geräte, sehr positiv. Gleichzeitig lernen die Hersteller aus den anonymisierten Daten enorm viel über die Nutzung der Geräte und können dies in die Entwicklung künftiger Produkte einfließen lassen.

Potenzial der Gerätevernetzung voll ausschöpfen

Ein Beispiel: Während die Industrie Millionen in die Entwicklung energiesparender Programme investiert, bleibt die effektive Nutzung dieser Programme häufig im einstelligen Prozentbereich. Wie lässt sich das ändern?

Oder: Der plötzliche Ausfall eines Gerätes ließe sich häufig vermeiden, wenn die Vernetzung dazu genutzt würde, über digitale Ferndiagnose und -prävention Kundinnen und Kunden rechtzeitig zu informieren, etwa wenn das Wasser zu hart oder der Filter verunreinigt ist.

Gerade für Premiummarken liegen hier enorme Chancen für eine wertorientierte, nachhaltige Beziehung mit ihren Kundinnen und Kunden.

Die Gerätevernetzung muss in Zukunft allerdings auch dazu genutzt werden, digitale Angebote zu machen, die auf Kundinnen und Kunden individuell zugeschnitten sind und auch entsprechend monetarisiert werden können. Hierfür müssen sie ihnen weiterführende Lösungen anbieten, in Ökosystemen denken, diese entwickeln und den Kundinnen und Kunden dann zum richtigen Moment anbieten: Wie nutzen sie die Produkte, was könnten konkrete zusätzliche Bedürfnisse sein, derer man sich womöglich noch gar nicht richtig bewusst ist? Und was kann ein Anbieter tun, um diese im passenden Moment punktgenau zu bedienen?

Vertrauen schafft Bereitschaft für permanenten Austausch

Die Kernherausforderung für nachhaltiges Consumer-Engagement ist die Sammlung und Verknüpfung von Daten sowie die konsequente Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI).

Doch gerade bei den Kundendaten ist davon auszugehen, dass deren freiwillige Weitergabe in den kommenden Jahren weiter abnimmt und auch der rechtliche Rahmen zur Sammlung und Verarbeitung zunehmend verschärft wird.

Hier schließt sich der Kreis zur Direktvermarktung von Produkten und einer Trustpoint-basierten Kundeninteraktionsstrategie: Je direkter der Kontakt zwischen Marke und Konsumentin beziehungsweise Konsument ist und je klarer Marken glaubwürdig das Vertrauen der Beziehung in den Vordergrund stellen, desto leichter kann es gelingen, Konsumentinnen und Konsumenten nachhaltig in das Ökosystem einzubeziehen.

Die (begeisterte) Bereitschaft der Kundinnen und Kunden zu einem permanenten Austausch (nachhaltiger Consent) führt nicht nur beim Wiederkauf zur „Top of Mind“-Position, sondern ermöglicht auch signifikante weitere Monetarisierungsoptionen über die gesamte Lebensdauer. Aus einem losen Kontakt wird eine stabile Beziehung. Aus „Brand Ownership“ wird „Brand Love“, und dies zum nachhaltigen Nutzen aller Beteiligten – wenn das Vertrauen stimmt.

Fazit: Premiummarken werden 2030 ihre Kundinnen und Kunden noch besser kennen

Was erwartet uns in 2030? Wir können davon ausgehen, dass Kundinnen und Kunden von Premiummarken sich im langlebigen Produktsegment auf weniger Marken konzentrieren werden – nämlich auf diejenigen, die einen deutlichen Mehrwert durch ihr Ökosystem bieten. Dieses Ökosystem wird auf einer überragenden Kenntnis der Präferenzen und des Nutzungsverhaltens der einzelnen Kundinnen und Kunden basieren und diesen Informationsvorsprung in eine individualisierte Beziehung und passgenaue Angebote übersetzen.

In einer zunehmend komplexen und digitalisierten Welt braucht es dafür aber auch mehr denn je den unmittelbaren Kontakt zwischen Marke und Konsumentin beziehungsweise Konsument. Wenn man dieses Szenario zu Ende denkt, ist davon auszugehen, dass sich der Direktvertrieb im Premiumsegment massiv erhöhen und verbreitern wird. Die Kundenbeziehung mutiert von einem Transaktionsmodell zu einem „Partner of my Life“-Modell.

Ob eine Marke ihr Potenzial wirklich nutzt, hängt also nicht zuletzt am richtigen Mix aus physischem und digitalem Kontakt. Hier wiederum bieten Daten zahlreiche Ansatzpunkte, welche die Welt der Marken aber auch immer technischer und „nerdiger“ machen. So wird Marketing zunehmend ein Konglomerat aus Mensch und Maschine – ein Gebilde, das nach innen hochkomplex ist, den Kundinnen und Kunden aber ebenso hochwertig wie einfach erscheinen muss.

Zur Person

Dr. Axel Kniehl, Marketing-Chef von Miele

Dr. Axel Kniehl

ist Geschäftsführer Marketing & Sales bei der Miele Gruppe. Diese Position hat er seit 2014. Kniehl war zuvor Vice Präsident des Whirlpool-Konzerns für das Geschäft in Kontinental- und Nordeuropa sowie in Personalunion CEO der Stuttgarter Konzerntochter Bauknecht Hausgeräte

20.09.2023
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