Goldene Digitaluhr
13.07.2022    Arne Gottschalck
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Wer etwas auf sich hielt, trug sie. Digitaluhren waren vor Jahrzehnten das nächste ganz heiße Ding. Und für die Hersteller klassischer mechanischer Uhren waren sie vermutlich so etwas wie der Antichrist. Was deren Abneigung nicht gelang, vermochte sehr wohl der Zeitenlauf: Der Hype um die damals neue Art der Zeitanzeige flaute ab. Aber eben nur zwischenzeitlich. Im Windschatten der Smartwatches gelang den Digitaluhren zuletzt eine Art Revival am Handgelenk. Zeit also für einen Blick zurück – und in die Zukunft.

Der Blick zurück führt in die 1970er-Jahre. Damals kamen die ersten Digital­uhren auf. Hamilton zum Beispiel war einer der ersten Anbieter, der eine Armbanduhr mit Leuchtdioden auf den Markt brachte: die „Pulsar“. Auch andere Anbieter taten sich auf dem seinerzeit neuen Markt um, etwa Bulova mit der „Computron“. Eine Inspiration übrigens für Seiko: „Diese Entwicklungen weckten die Aufmerksamkeit und das Interesse unserer Entwickler, sodass wir sofort Flüssigkristallmaterialien kauften, um mit der Arbeit an diesen Technologien zu beginnen“, so das Unternehmen auf Anfrage.

„Digitaluhren waren schon immer im Programm vieler namenhafter Hersteller und sind nie ganz verschwunden.“ – Oliver Hoffmann, Auparo

Das Ergebnis war eine Kombination aus zwei Welten: 1969 brachte Seiko nach eigener Aussage die erste analoge Quarzarmbanduhr auf den Markt, die „Quartz Astron“. Ein Sprecher sagt: „Durch den Einsatz dieser Technologien hielten wir es für möglich, Verbrauchern eine präzise Zeitanzeige mit einem digitalen Anzeigesystem zu bieten. Und dies war der Grund für unser Streben nach der digitalen Uhrmacherei.“ Mit anderen Worten: Präzision wurde zum USP, dem Unique Selling Point.

Renaissance mit Stammbaum 

Heute, einige Jahrzehnte später, sind Quarzwerke längst Standard. Trotzdem halten sich Traditionsanbieter mechanischer Uhren, und es gibt wieder mehr Digitaluhren.

Einer der möglichen Gründe dafür: Smartwatches begeistern viele Menschen – und wecken gleichzeitig die Erinnerung an deren technologische Ahnen. „Digitaluhren waren schon immer im Programm vieler namhafter Hersteller und sind nie ganz verschwunden“, sagt Uhrenexperte Oliver Hoffmann, Geschäftsführer des Uhrenhandelsunternehmens Auparo. „Man muss natürlich zwischen Quarzuhren mit digitaler Anzeige und den mechanischen Uhren mit digitaler Anzeige unterscheiden. Letztere sind recht selten geworden und hatten ihren Höhepunkt wohl in den 1970er-Jahren. Heute stellen nur noch eher exotische High-End-Marken wie etwa MB&F oder Urwerk solche Uhren her.“

„Gerade eine jüngere Kundschaft schätzt diese Form der Anzeige und die damit verbundene Funktionsvielfalt.“ – Oliver Hoffmann, Auparo

Klassische Quarzuhren mit digitaler Anzeige erfreuen sich in der Tat wieder größerer Beliebtheit; beispielsweise Casio mischt wieder ganz vorn im Markt mit. Der Grund liegt für Hoffmann auf der Hand: „Für viele große Hersteller wie Casio oder Seiko sind sie nicht aus ihrem Portfolio wegzudenken und bilden oft die Einstiegsbasis für weitere Modelle. Aber auch Hersteller, die nicht unbedingt für Digitaluhren bekannt sind, nehmen diese wieder vermehrt ins Programm, zum Beispiel Omega. Da der gesamte Uhrenmarkt immer vielschichtiger wird, werden auch diese Nischen wichtiger werden.“

Es war einmal? Es wird einmal!

Vom Heute den erzählerischen Bogen zum Damals zu schlagen ist ein beliebter und oftmals notwendiger unternehmerischer Kunstgriff. Immerhin wird es immer schwieriger, sich Gehör bei Kundinnen und Kunden zu verschaffen. Da hilft der Verweis auf den Stammbaum, auf die Produkte mit Hintergrund. Kein Wunder also, wenn etwa Girard-Perregaux die „Casquette 2.0“ als retro-futuristisch beschreibt. Tatsächlich wurde die ursprüngliche „Casquette“ – sozusagen die Variante 1.0 – von 1976 bis 1978 hergestellt. Angezeigt werden heute wie damals Stunden, Minuten, Sekunden, Wochentag und Datum. Das neue Uhrwerk bietet jedoch zusätzliche Optionen wie etwa eine Monatsanzeige oder die Chronographenfunktion.

Den gleichen Bogen in die ­Vergangenheit schlägt man mit der „Computron“ bei Bulova – eine Hommage an eine Autofahreruhr aus den 1970er-Jahren. Autofahreruhr, weil das angeschrägte ­Zifferblatt die Möglichkeit bot, die Zeit ab­zulesen, ohne die Hand vom Lenkrad zu nehmen.

Und von Hamilton heißt es zur „PSR“: „1970 revolutionierte Hamilton mit der ‚Pulsar‘ die Zeitmessung. 50 Jahre später feiert die ‚Hamilton PSR‘ die Einführung dieser wegweisenden ersten Digitaluhr der Welt. Heute überführen ein Hybrid-Display und ein Edelstahlgehäuse diese innovative Erfindung in die Zukunft.“ 

Die Vergangenheit also als unternehmerisch bedeutsame Wurzel. Da bleibt die Frage nach der Zukunft: Wird der zweite Frühling der Digitaluhren in einen düsteren Herbst übergehen? Nein. „Digital­uhren werden immer ihren Platz haben – gerade eine jüngere Kundschaft schätzt diese Form der Anzeige und die damit oft verbundene Funktionsvielfalt“, betont Uhrenexperte Hoffmann. „Ich gehe davon aus, dass vor allem junge Marken damit auch wieder gut auf­holen können. Es ist gut möglich, dass die Form- und Farbvielfalt weiter zunimmt.“ Wer will da schon in die 70er zurück…

13.07.2022    Arne Gottschalck
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