Manufaktur von Glashütte Original: Mann mit Lupe und Pinzette stellt eine Uhr her.
13.12.2023    Jan Lehmhaus
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Die Feinuhrmacherei gedeiht schon immer bestens in abgelegenen Städtchen in unwirtlichen Mittelgebirgen. Wichtig ist dazu eine wohlhabende Metropole, nicht allzu weit entfernt, in der die delikaten Produkte der Uhrmacher angekauft werden. Glashütte im Erzgebirge, abgeschieden, aber nicht weit vom barocken Dresden, hatte die besten Voraussetzungen, als dort vor gut 175 Jahren mit dem Uhrenbau begonnen wurde. Die Manufaktur Glashütte Original steht ganz in dieser Tradition – und sucht zugleich nach dem besten Weg in die Zukunft.

Provenienz hilft im Ausland

Der wichtigste Markt des zur Swatch Group gehörenden Unternehmens ist Deutschland. Aber auch das China-Geschäft wächst deutlich. CEO Roland von Keith weiß, was für den Erfolg im Ausland wesentlich ist: „Das Thema der Provenienz gewinnt auf den internationalen Märkten weiter an Bedeutung.“ Dabei helfe die im vergangenen Jahr eingeführte „Glashütteverordnung“ spürbar. Sie schützt die Herkunftsbezeichnung Glashütte, macht dafür unter anderem eine Wertschöpfung von mindestens 50 Prozent am Ort zur Auflage. „Und mit 95 Prozent liegen wir deutlich über anderen Herstellern hier im Ort“, so von Keith.

Zur Wertschöpfung trägt wesentlich der enorme handwerkliche Aufwand bei, mit dem die Uhren bei Glashütte Original gefertigt werden. Es bedarf einer Menge Erfahrung, um zum Beispiel bloß nach Augenmaß einen perfekten Wölkchenschliff auf die Platine zu setzen. Dasselbe gilt für die kreativen Handgravuren, bei denen jeder Experte seinen individuellen Stil zeigt. Bei einigen Modellen wie der neuen „Senator Chronometer“ erhält das Zifferblatt durch die uralte Technik der Anreibeversilberung seinen matten Glanz. Und allein das Setzen winziger Unruhschrauben, deren komplexe Struktur nur unter dem Mikroskop erkennbar ist, verlangt höchste Geschicklichkeit und Konzentration.

Die jungen Generationen im Blick

Dabei verlässt sich die Manufaktur längst nicht mehr nur auf traditionelle Handwerks- und Finissierungstechniken. Schon die perspektivische Hochhaus-Struktur auf der letzten „PanoInvers“ erschloss den Gestaltern ganz neue Möglichkeiten und brachte Glashütte Original große Aufmerksamkeit. Die limitierte Edition der „Senator Chronometer Tourbillon“ trägt neben klassischen Schliffen eine feine Lasergravur und setzt genau kalkulierte Spiegelungen für Effekte ein, die es im Uhrendesign bislang so nicht gab.

CEO von Keith schaut bei solchen Entwicklungsschritten auch auf eine neue Generation von Käufern. Die handwerkliche Herstellung eines so hochwertigen Gegenstands bleibe nämlich auch für diese ein Thema, das sie zum Produkt führe, hat er beobachtet: „Gerade weil sie so auf Handys und ihren Social-Media-Stream konzentriert sind. Wir können da etwas anderes vermitteln, zeigen eine Alternative, etwas ganz Reales.“ Natürlich ist Glashütte Original auch auf allen digitalen Kanälen aktiv – und immer wieder überrascht davon, dass gerade junge Kunden für Zuwachs bei den Katalogbestellungen sorgen. „Wir rechnen nicht damit, dass Zwanzigjährige eine erste Glashütte Original erwerben“, räumt von Keith ein, „aber wir können sie vorbereiten. Dreißig Jahre wären ein gutes Zielalter für den Erstkauf.“

Längst beschränkt sich die Kollektion nicht mehr auf Würdig-Traditionelles. Gerade die Retro-Modelle sind nicht museal, sondern übersetzen die Modernität vergangener Jahrzehnte in die Gegenwart. Die „SeaQ“-Taucheruhren greifen das sachliche Design der 1960er-Jahre wieder auf. Und wohl kaum ein deutscher Uhrenhersteller hat so viel Farbe gewagt wie Glashütte Original bei seiner „Seventies“-Serie.

Modelle wie die „Senator Chronometer Tourbillon“ stehen aber genauso für die technische Exzellenz der Manufaktur. Auch Mikromechanik lässt sich weiterentwickeln, noch effizienter, noch genauer und komfortabler machen. Zwei Patente hält das Haus für die Kombination eines Fliegenden Tourbillons mit Sekundenstopp, Nullstellung und Minutenrastung zur exakten Zeiteinstellung. Das siebenköpfige Konstruktionsteam folgt dabei auch neuen Anforderungen an die Fähigkeiten eines wertvollen Zeitmessers. Komplexe Uhrwerke in möglichst flachen Gehäusen unterzubringen ist eine traditionelle Tugend. Dass sie aber am besten auch noch wasserdicht sein sollen, sei wohl ein Resultat der jüngsten Taucheruhren-Welle, heißt es im Haus.

Neue Werkstoffe und Verarbeitungstechniken machen jedoch möglich, was vor wenigen Jahren noch nicht denkbar war. „Was die Kunden wollen, erfahren wir in den Boutiquen genauso wie auf Social-Media-Kanälen“, sagt von Keith, „auch vom Vertrieb, wenn der von seinen Events berichtet. Die Ur-‚SeaQ‘ beispielsweise war in unserem Museumsbestand. Der Hinweis darauf kam von Sammlern.“ Wichtig sei, dass sich bei der Entwicklungsarbeit auch die Jüngeren mit ihren Ideen einbringen. „Das verbindet die Tradition mit der Zukunft. Dafür braucht es dann gar keine Vorgabe der Geschäftsführung.“

Reale Alternative zu virtuellen Jobs

Allein, die jungen Leute zu finden und für eine Ausbildung in der Uhrmacherei zu gewinnen, das wird in Zeiten dramatischen Nachwuchsmangels auch für ein renommiertes Haus wie Glashütte Original zur großen Aufgabe. Dabei will von Keith die handwerkliche Ausbildung ähnlich vermitteln wie die Produkte: „Als reale Alternative zu virtuellen Jobs. Wir haben bei uns im Haus neben dem modernen Maschinenpark Drehbänke wie vor 150 Jahren.“ Und es gehe darum, die jungen Menschen an das Unternehmen zu binden. „Sie dürfen ihre Entwicklung hier wesentlich mitbestimmen.“

Begleitet wird das durch einen weiteren Generationswechsel, den an der Uhrmacherschule von Glashütte. Außerdem sei man auch gar nicht allein auf junge Leute fokussiert, freue sich genauso über die Bewerbung von Quereinsteigern und Rückkehrern. Roland von Keith weiß: „Das spricht sich ja herum, dass es offenbar gut ist, bei uns zu arbeiten.“ Und wie befriedigend es sein kann, an abgelegenen Orten wertvolle Uhren für die ganze Welt zu bauen.

Zur Person

Portraitfoto Roland von Keith, CEO Glashütte Original

Roland von Keith

ist seit 2018 CEO von Glashütte Original. Der gelernte Uhrmachermeister war zuvor Geschäftsführer der Swatch Group Deutschland

13.12.2023    Jan Lehmhaus
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