03.03.2020    Jan Lehmhaus
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Nun ist wirklich alles aus dem Takt, nichts mehr wie früher. Und das in einer Branche, deren Unternehmen sich über ihre Traditionen definieren. Die über viele Jahre so satt waren, dass sich ihre Manager kaum Gedanken darüber machten, Althergebrachtes zu ändern. Zu den festen Einrichtungen gehörten die Schweizer Frühjahrsmessen als Ordertermin und Treffpunkt von Industrie, Fachhändlern und Presse. Das Gefüge ist ins Wanken geraten.

„Wir müssen als Uhrenhersteller heute umdenken“, sagt Stéphane Waser, Geschäftsführer von Maurice Lacroix, „die Welt hat sich durch die Digitalisierung und Social Media gründlich verändert.“ Viele Hersteller nutzen neue Vertriebskanäle – und machen sich zunehmend von den Messegesellschaften unabhängig, die lange nach Belieben regieren und kassieren konnten. Generationen von Juwelieren kauften einmal im Jahr in Basel ihre Ware ein, Uhren und Schmuck. Die Produzenten erwarben bei den dort ausstellen – den Maschinenbauern und Zulieferern, was sie für 
ihr wachsendes Geschäft benötigten. Der 1991 abgespaltene Genfer Salon für Feinuhrmacherei SIHH schloss zeitlich an die Baselworld an. In sieben bis zehn Tagen bekamen Einkäufer und Medienvertreter so alles zu sehen, was uhrmacherisch relevant war.

Dann jedoch rückte 2009 der Genfer Termin in den Januar, der für die Baselworld in den März. Nun mussten die Einkäufer zweimal in die Schweiz; ein enormer Mehraufwand – nicht nur für Besucher aus dem Hauptabsatzmarkt Asien. Die Baselworld aber setzte weiter auf Wachstum und vor allem auf Uhren. So blieben zuerst die Technik- und die Schmuckhersteller fort. Viele Unternehmen beklagten sich über zu hohe Preise und zu geringe Einflussmöglichkeiten. Dass die Zahl der Aussteller dann innerhalb weniger Jahre um mehr als die Hälfte einbrach, hatte aber nicht nur mit deren Unzufriedenheit zu tun.

Messe 4.0?

Längst hatten viele Marken mit dem Online-Vertrieb ihrer Produkte begonnen und bekamen über Social Media mehr Kontakt zu den Konsumenten, als es auf der Messe mit den horrenden Eintrittspreisen jemals möglich war. 2019 fehlte mit der Swatch Group auch der größte Baselworld-Kunde: Die traditionellen Ordermessen brauche man in schnelllebigen Zeiten nicht mehr, gab Konzernchef Nick Hayek bekannt. Die Gruppe lud stattdessen zu eigenen Veranstaltungen, zeigte viele Neuheiten zunächst den Juwelieren und ließ die Presse erst mit der Verfügbarkeit im Handel berichten. Breitling präsentiert sich inzwischen auf internationalen „Summits“ und wird in diesem Jahr ebenfalls nicht mehr in Basel vertreten sein.

Zwar bleiben in der großen Halle 1 Big Player wie Rolex, Patek Philippe und Chopard. Auch LVMH ist mit Bulgari, TAG Heuer und Zenith noch vor Ort. Aber vielen Juwelieren erscheint der Besuch der Baselworld nicht mehr attraktiv. Und deren Fortbleiben bekommen dann auch kleinere Marken zu spüren.

Seit 2019 bemüht sich mit Michel Loris-Melikoff eine neue Messeleitung um den Turnaround. Er will der Baselworld einen neuen Charakter geben. „In diesem Jahr setzen wir unsere ganze Energie darauf, die Baselworld von einer Order- zu einer Erlebnisplattform zu machen, mit neuen Formaten wie Ausstellungen, CEO-Gesprächsrunden und Pop-up-Events. Wir wollen die digitale Welt mit dem Live-Erlebnis verbinden, unsere Community in ein dauerhaft aktives soziales Netzwerk einbinden.“ Natürlich brauche ein solcher Prozess Jahre, räumt Loris-Melikoff ein. Und mit der Rückgewinnung verlorener Aussteller war er bisher vor allem bei den Stein- und Perlenhändlern erfolgreich: „Hier haben wir Zuwächse von 50 Prozent, sind die weltweit wichtigste Messe in diesem Segment.“

Weil aber auch die Uhrenhersteller zurückkommen sollen, gehörte zu den ersten Maßnahmen die zeitliche Koordination mit dem Genfer Salon, der sich ebenfalls neu orientiert und einen neuen Namen gegeben hat: Watches and Wonders heißt das Event nun. Auch dort sind mit Audemars Piguet, Richard Mille oder Greubel Forsey Marken gegangen, die nicht mehr auf das klassische Messemodell setzen, die ihre noble Ware über ihre Boutiquen vertreiben oder den Kontakt zu den Kunden auf anderen Wegen pflegen. Die beiden Schweizer Messen treten jetzt als Doppelpack Ende April, Anfang Mai auf – und für manche zu spät: Mit Verweis auf den Termin kündigte Seiko in Basel, organisierte für den März eine Hausmesse in Tokio – zeitgleich mit der inzwischen wegen der Corona-Epidemie abgesagten Swatch-Group-Veranstaltung in Zürich. Einfacher wird die Messeplanung so nicht.

Plattform für das ganze Jahr

In der großen zeitlichen Lücke zwischen Weihnachtsgeschäft und Frühjahrsmessen gewinnen zudem neue Events an Bedeutung, wie die Dubai Watch Week. Und in Deutschland ist bereits seit dem vergangenen Jahr eine Messe wieder wichtig, die manchem schon als abgeschrieben galt: die Inhorgenta in München. Unter anderem ist die Citizen Group mit Frederique Constant und Alpina nach Jahren wieder dabei, ebenso Casio und mit Parmigiani auch eine SIHH-Marke.

Messechef Klaus Dittrich räumt ein, dass dieser Erfolg auch durch die Abgänge bei den Wettbewerbern begünstigt wurde. „Aber vor allem geht er auf unsere Kundennähe zurück. Und wir halten eine klare Linie, wechseln nicht ständig die Konzepte. Dazu gehört, dass uns der Schmuck immer wichtig war und nicht etwa zweitrangig.“ Langfristig reiche es aber nicht mehr aus, drei bis fünf Tage Messe zu machen. Er will mehr bieten: „eine Ganzjahresplattform, wie wir sie für die Sportartikelmesse Ispo schon entwickelt haben“. Allerdings: „Die Digitalisierung steht bei den Juwelieren noch am Anfang. Umso mehr unterstützen wir diese Entwicklung durch Vorträge und Fortbildungsprogramme.“ Die Marken, die 2019 zur Inhorgenta zurückkehrten und dort auch in diesem Jahr ausstellen, richten sich in der neuen Messelandschaft ganz unterschiedlich aus.

„Die großen Veränderungen zeichneten sich auf der Baselworld schon über Jahre ab“, sagt Manfred Brassler von MeisterSinger. Deshalb habe man 2019 auch in München ausgestellt. „Wir empfangen dort wieder unsere Vertriebspartner; sie können die fertigen Produkte begutachten und müssen mit der Bestellung 
nicht bis Mai warten. Basel liegt für den dynamischen Start ins Jahr einfach zu spät. Außerdem kommen inzwischen auch die deutsche Fachpresse und einige internationale Blogger zur Inhorgenta.“ In Basel stellt die Firma aber weiterhin aus: „Wir machen 75 Prozent unseres Geschäfts im Ausland. Da hat Basel noch die größere Ausstrahlung und Bedeutung, also sind wir für unsere internationalen Kunden dort präsent.“

Gehen oder Bleiben?

Thilo Mühle hingegen, CEO von Mühle Glashütte, hat sich von Basel abgewandt: „Zu der Entscheidung hat einiges beigetragen: der späte Termin genauso 
wie die mangelnde Attraktivität wegen der abnehmenden Zahl großer Marken – und auch der Erfolg unseres Inhorgenta-Auftritts im vergangenen Jahr.“ Die Kosten für sein Unternehmen, dessen Hauptmarkt Deutschland ist, seien in München nicht einmal halb so hoch wie in Basel. „In weitere Märkte, die uns wichtig sind, investieren wir gezielt, fahren dorthin und treffen Partner wie Presse bei Events. Das Cometogether ist unverzichtbar. Aber wir machen keine Road-show. Als Familienunternehmen sind unsere Veranstaltungen viel privater und persönlicher.“ Maurice Lacroix kehrt nun nach Basel zurück.

Allerdings ist die Messe nur eine Station auf dem markeneigenen Plan: „Statt einen einzigen Kommunikationsschwerpunkt zu setzen, stellen wir vier- bis fünfmal im Jahr aus. So wie in der Modebranche: vier Saisons plus Fashion Weeks. Wir gehen auf eine Road-show, sind in Paris, in München, mehrfach in Asien und eben auch auf der Baselworld“, so Geschäftsführer Waser. Einen aufwendigen Stand wolle man aber nicht mehr betreiben. „Jetzt folgt man unseren Wünschen, deshalb kommen wir auch zur Baselworld.“

Die zukünftige Rolle der klassischen Ordermessen – zwischen zentralem Jahres-Event und Nice-to-have – ist noch völlig unentschieden. Mühle fährt nicht mehr als Aussteller zur Baselworld, aber als Besucher – die Entwicklung begutachten. Vorausgesetzt, die Show findet statt: Zu Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, ob womöglich auch Watches and Wonders und Baselworld wegen der Corona-Epidemie abgesagt werden. Das brächte die Branche dann für mehr als ein Jahr völlig aus dem Takt.

03.03.2020    Jan Lehmhaus
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