Zwei türkise Megafon und ein Querbalken, die ein Prozentzeichen ergeben als symbolische Darstellung für die Zinswende
21.02.2024    Andreas Busch
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Der Dax tauchte im Oktober vergangenen Jahres in den 14.000-Punkte-Bereich ab – so mancher Aktienfan schrieb 2023 daraufhin bereits ab. Das war voreilig. In einer rasanten Aufholjagd knackte das wichtigste deutsche Börsenbarometer im Dezember die 17.000-Punkte-Marke: Allzeithoch. Um etwa 20 Prozent legte der Dax im vergangenen Jahr insgesamt zu.

Ausgelöst hatten den Aufwärtstrend Äußerungen von US-Notenbankern, die mögliche Leitzinsänderungen in diesem Jahr andeuteten. Solche Maßnahmen gelten in aller Regel als Doping für die Aktienkurse. Doch waren und sind die Hoffnungen angesichts der hartnäckigen Inflation berechtigt? Und wie positionieren sich Anlegerinnen und Anleger? Robert Halver, Managing Director und Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, zeigt sich optimistisch. Allerdings erwartet er erste Schritte der Europäischen Zentralbank (EZB) erst „ab Mai“. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING für Deutschland und Österreich, sieht Zinssenkungen noch später kommen: „Es wird wohl bis zum Frühsommer dauern, bis sich die US-Wirtschaft so verschlechtert hat, dass die Fed mit Leitzinssenkungen reagiert.“

Zur Person

Robert Halver

ist Managing Director und Leiter Kapitalmarktanalyse bei dem Wertpapier- und Banking-Spezialisten Baader Bank

Zur Person

Carsten Brzeski

ist Chefvolkswirt der ING für Deutschland und Österreich

Gibt es begründete Zweifel, dass die US-Notenbank Fed früh in diesem Jahr die Leitzinsen senken wird?

Robert Halver: Nein. Ein Hinausschieben der Zinssenkungen ist zwar nicht auszuschließen. Doch lassen die verhaltene Weltkonjunktur und die nicht müde werdende Neuverschuldung vermuten, dass aufgeschoben nicht nur nicht aufgehoben heißt, sondern dass die Zinssenkungen eher das bis dato vom Markt eingepreiste Ausmaß noch überschreiten könnten. Vergessen wir nie das Glaubensbekenntnis der Finanzmärkte, das uns seit 2008 nicht im Stich lässt: Wo die Not am größten, ist die Geldpolitik am nächsten.

Carsten Brzeski: Ohne eine starke Abkühlung deramerikanischen Konjunktur gibt es für die Fed keinenGrund, den Leitzins zu senken. Zu dieser Abkühlung wird es kommen, aber nicht so schnell, wie die Märkte erwarten. Es wird wohl bis zum Frühsommer dauern, bis sich die US-Wirtschaft so verschlechtert hat, dass die Fed mit Leitzinssenkungen reagiert.

Wird die Europäische Zentralbank, kurz EZB, eher zögerlich agieren und ihr Zinsniveau beibehalten – oder angesichts der hartnäckigen Inflation möglicherweise sogar anheben?

Halver: Dass die EZB potenzielle Inflationsgefahren betont, ist zunächst vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sie viel zu spät in den Kampf für Preisstabilität eingetreten ist. Es geht ihr um Glaubwürdigkeit. Daneben ist eine Zwischenbeschleunigung der Inflation durchaus möglich, da etwa die Energiepreisbremsen in einigen Euro-Staaten Anfang 2024 ausgelaufen sind. Am Trend sinkender Preissteigerungen ändert sich jedoch nichts. Ermutigend ist, dass die Kerninflation in Amerika und in Europa nachgibt. Von daher gibt es keine weiteren Zinsanhebungen mehr. Natürlich fällt der Blick auch auf die wirtschaftlichen Rahmendaten. Zehn Zinserhöhungen in relativ kurzer Zeit und Liquiditätsabschöpfungen haben die Finanzierungskosten stark steigen lassen. Das gedämpfte Kreditwachstum in der Eurozone zeigt, dass die „geldpolitische Transmission“ die Konjunktur und damit auch die Preisdynamik bremst. Bei Betrachtung der gesenkten Wachstumsprojektionen der EZB verlieren die Argumente für restriktive Zinspolitik endgültig an Kraft. Die erste Zinssenkung von insgesamt 150 Basispunkten in diesem Jahr erfolgt wahrscheinlich ab Mai.

Brzeski: So anders ist die Situation für die EZB gar nicht. Die Wirtschaft der Eurozone ist schon jetzt deutlich schwächer als die der USA. Sobald sich die Inflation in der Region bei zwei bis drei Prozent festgesetzt hat, kann auch die EZB die Zinsen senken. Etwas nach der Fed. Es werden allerdings nur wenige und sehr vorsichtige Schritte sein. Der Schreck, dass man die Inflation zu lange unterschätzt hatte, sitzt bei der EZB noch immer tief.

Aktien gelten als zinssensibel – je nach Branche mehr oder weniger stark. Welches Aktiensegment würde unter einer späteren Zinswende am meisten leiden, welches möglicherweise profitieren?

Brzeski: Die Branchen, die in den vergangenen Wochen aufgrund der Zinssenkungsspekulationen am meisten profitiert haben, könnten von einer späteren Zinswende am stärksten getroffen werden.

Halver: Den Zinsknüppel aus dem Sack spüren zuallererst die zinssensitiven Hightech-Werte. Sie würden unter einem später einsetzenden Zinssenkungszyklus zwar leiden, aber dann auch am meisten profitieren. In der Zwischenzeit sind die defensiven Branchen gefragt. Dazu gehören Pharma und Energieversorger.

In welchen Assetklassen sollten sich jene Anlegende bevorzugt positionieren, die mit einer Trendumkehr bei den Leitzinsen rechnen?

Halver: Technologieaktien sind so etwas wie ein Seismograf der Zinsen respektive der Renditen am Anleihemarkt. Gehen die Zinsen runter, gehen Technologieaktien rauf. Die
Zinssenkungsfan tasie am Jahresende 2023 hat dies überdeutlich gezeigt. Doch sollten auch die exportsensitiven und konjunkturzyklischen Titel Beachtung finden. Denn Zinssenkungen setzen Wachstums kräfte frei. Die weitgehenden Bemühungen der Chinesen um Wirtschaftsstabilisierung tragen ebenfalls bereits erste Früchte in Form verbesserter Frühindikatoren. Im Übrigen sind diese Titel immer noch günstig zu haben. Und wie schön, wenn sich neben Tech-Werten mit Blick auf deren auch konjunkturunabhängig starke Geschäftsmodelle ebenso zyklische Werte gesellen, die Alternativen bieten beziehungsweise die Marktbreite der Aktienmärkte stabilisieren.

Können Anleger mit einem Engagement in Gold beide Szenarien abdecken?

Halver: Gold lebt dann gern auf, wenn die Zinsen gesenkt werden, denn dann machen sich seine Opportunitätskosten in Form nicht vorhandener laufender Erträge weniger negativ bemerkbar. Zudem schwächt sich der US-Dollar ab, wenn die US-Notenbank die Zinsen senkt. Und Dollar und Gold stehen in entgegengesetztem Verhältnis. Unabhängig davon beweist Gold aber auch in Zeiten des Wartens auf Zinserleichterungen Qualitäten. Die Welt ist kein friedlicher Platz mehr, und das Edelmetall gilt als sicherer Hafen. Überhaupt, die Notenbanken kaufen immer weiter Gold. Und was ihnen recht ist, sollte den Anlegern billig sein.

21.02.2024    Andreas Busch
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