Foto aus dem Cockpit eines Flugzeugs, vom Piloten ist nur de rechte Hand zu sehen. Zum Start der Maschine wird der Starthebel nach vorn gedrückt, von von scheint Sonne ins Cockpit.
10.07.2023    Christian Buchholz
  • Drucken

Zur Person

Dr. Michal Niggemann Lufthansa Portrait

Dr. Michael Niggemann

ist seit 1. Januar 2020 Mitglied des Vorstands der Deutschen Lufthansa und verantwortlich für den Bereich Personal und Infrastruktur

Die Coronapandemie hat der Luftfahrtbranche schwer zugesetzt. Lufthansa benötigte Staatshilfe, der Personalkörper verkleinerte sich. Dann gab es im vergangenen Jahr die Wende. 2023 stellte der Konzern schon über 8.000 neue Mitarbeitende ein. Tausende weitere Beschäftigte sollen bis Jahresende gefunden werden. In Zeiten des Fachkräftemangels eine riesige Herausforderung, oder?

Dr. Michael Niggemann: Anfangs hatten wir großen Respekt davor. Wir hatten infolge der Coronapandemie und aufgrund unserer Abbauinitiativen deutlich weniger Personal. Als wir dann vor etwas über einem Jahr an den Arbeitsmarkt zurückgekommen sind, war nicht klar, wie sehr unsere Arbeitgebermarke durch die Coronapandemie beeinträchtigt worden ist. Zunächst mussten wir erst einmal wieder ein professionelles Recruiting aufbauen und Recruiter einstellen. Unsere erste Kampagne haben wir intern entsprechend „Lufthansa Group is back“ genannt. Wir wollten mit der Kampagne Aufmerksamkeit erzielen – und das ist uns auch gelungen.

Wir sind inzwischen sehr erfolgreich zurück am Arbeitsmarkt und haben 2022 bereits mehr als 11.000 Kolleginnen und Kollegen eingestellt. In diesem Jahr haben wir schon die Schwelle von 8.000 Einstellungen überschritten – mehr als 1.000 pro Monat – und wollen, 2022 und 2023 zusammengenommen, über 20.000 neue Beschäftigte bei uns begrüßen. Das heißt, dass nach dem Verkauf der Catering-Tochter LSG mehr als jeder fünfte Mitarbeitende neu bei uns sein wird. Die Begeisterung für die Lufthansa Group und unsere Branche ist trotz Pandemie ungebrochen. Aktuell befinden wir uns bereits in der zweiten Welle unseres Employer-Marketings, mit der wir nochmal stärker unsere USPs betonen werden.

Warum wird kurzfristig so viel Personal benötigt und wie ist die langfristige Perspektive für die neuen Beschäftigten im Unternehmen?

Niggemann: Wir hatten während der Pandemie viele Mitarbeitende, die das Unternehmen verlassen haben. Wir haben das aufgrund der Krise und der unsicheren Aussichten auch aktiv so gesteuert. Zusätzlich hat sich der Personalkörper auch durch altersbedingte Abgänge verkleinert. Deshalb haben wir einen großen Nachholbedarf. Auch ist die Nachfrage nach Flugreisen schneller und intensiver zurückgekehrt als unsere Branche es vorhergesehen hat. Menschen wollen wieder reisen. Sie haben erkannt, dass der persönliche Austausch zum Beispiel auch durch Videokonferenzen nicht zu ersetzen ist. Flugverkehr ist gerade für längere Strecken ohne echte Alternative – dafür brauchen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

In welchen Bereichen ist der Bedarf an Fachkräften aktuell besonders groß?

Niggemann: Die größten Gruppen, die wir aktuell einstellen, sind Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, Mechanikerinnen und Mechaniker sowie Stationsmitarbeitende zum Beispiel an den Standorten Frankfurt und München. Beim Personalbedarf ist die Bandbreite sehr groß. Wir brauchen beispielsweise auch IT-Spezialisten, Juristen und etliche andere Professionen.

Haben Sie drei Tipps für andere Unternehmen, wie diese ihre Fachkräfte besser finden können?

Niggemann: Ich glaube, Unternehmen sollten zeigen, wofür sie stehen. Unser Purpose – Menschen, Kulturen und Wirtschaftsräume auf möglichst nachhaltige Weise miteinander zu verbinden – hat eine große Anziehungskraft und ermöglicht eine Differenzierung am Arbeitsmarkt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die richtige Ansprache, also wie ein Unternehmen Bewerbende im Recruitingprozess überzeugt. Drittens helfen Investitionen in das vorhandene Personal. Die eigenen Mitarbeitenden sind wichtige Multiplikatoren. Wer sich bei uns wohlfühlt, wird das auch anderen sagen. Es ist daher besonders wichtig, die sich bereits im Unternehmen befindlichen Kolleginnen und Kollegen HR-seitig optimal zu begleiten und zu entwickeln.

Welche Rolle spielt der demografische Wandel bei der Suche nach Personal?

Niggemann: Die demografische Entwicklung bleibt – zumindest in Europa und insbesondere in Deutschland – eine dauerhafte und immer größere Herausforderung. Ich bin überzeugt: Das Denken in puncto HR und Arbeitgeberattraktivität wird sich dadurch nochmal verändern. Unternehmen sollten sich deshalb sehr genau überlegen, wofür sie stehen und was sie Bewerbenden bieten wollen. Darüber hinaus werden Investitionen in vorhandenes Personal nochmal mehr Bedeutung zukommen, als es vielleicht noch vor ein paar Jahren der Fall war.

Es ist wichtig, den Mitarbeitenden Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten und den internen Arbeitsmarkt auszubauen. Es geht auch um die Fürsorge des Arbeitgebers und die Weiterentwicklung der Kolleginnen und Kollegen, wie zum Beispiel durch Fortbildungsmöglichkeiten oder das Gesundheitsmanagement im Allgemeinen.

Und man kann es auch machen wie Lufthansa Technik (LHT). Dort wurde das Konzept Senior Experts@LHT gestartet, mit dem Ruheständler des Konzernunternehmens auf freiwilliger Basis zurückgeholt werden.

Wie wichtig ist die Arbeitgebermarke für die Personalgewinnung und was tun Sie dafür, diese zu stärken?

Niggemann: Sehr wichtig. Wir nutzen Kampagnen, um unsere Arbeitgebermarke in den Vordergrund zu stellen. Die aktuelle heißt „Fly big“. Darin machen wir deutlich, wofür wir als Arbeitgeber stehen und stehen wollen. Dies wiederum ist abgeleitet aus vielen Exit-Interviews, die wir fortlaufend führen. Als Arbeitgeber wollen wir insgesamt eine gute Beziehungsebene schaffen zwischen den Beschäftigten sowie insbesondere auch zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten.

Darüber hinaus wollen wir innerhalb des Konzerns Entwicklungsmöglichkeiten anbieten. So etwas wird in- und außerhalb des Unternehmens wahrgenommen. Deshalb investieren wir in den gesamten sogenannten Employee-Lifecycle sowie in unsere sogenannte Cultural-Journey. Durch diese wollen wir uns als Unternehmen kulturell nochmal weiterentwickeln.

Wie schaffen Sie es, Tausende neue Mitarbeitende erfolgreich in bestehende Teams, Prozesse und Arbeitsabläufe zu integrieren?

Niggemann: Das ist eine riesige Herausforderung für alle Bereiche. Vor allem der HR-Abteilung kommt am Anfang dabei eine besondere Rolle zu. Es gilt die Prozesse für unsere vielen neuen Kolleginnen und Kollegen entsprechend aufzusetzen. Dafür haben wir eine Taskforce gegründet. Da ist der Recruitingprozess selbst, also die Ansprache der Bewerber. Und es geht um einen schnellen, standardisierten und professionellen Bewerbungsprozess. Dann folgt der Prozess zwischen Unterschrift und Onboarding. Wir haben hierfür sogar eine spezielle Onboarding-App entwickelt.

Für die Integration in bestehende Teams ist außerdem der persönliche Kontakt besonders wichtig. Wir werben deshalb sehr dafür, physisch zusammenzukommen und besondere Gelegenheiten des Austausches zu schaffen, zum Beispiel spezielle Veranstaltungen. Das fördert das Onboarding neuer Kolleginnen und Kollegen, also das Miteinander und die Integration in unsere Unternehmenskultur.

Spielt Künstliche Intelligenz (KI) in Ihrem Unternehmen für das Recruiting bereits eine Rolle?

Niggemann: Wir nutzen digitale Tools, zum Beispiel über unsere Recruiting-Seiten im Internet. KI wird bei uns in der HR in Zukunft sicher eine zunehmend große Rolle spielen – wobei wir natürlich genau prüfen werden, wo und in welchem Umfang wir sie einsetzen werden. Bei einem möglichen Einsatz spielt die Wahrung des Datenschutzes ebenso eine Rolle wie die Qualitätssicherung bei bestimmten Personalauswahlprozessen.

Nachhaltiges Wirtschaften und ein nachhaltiges Unternehmensimage scheinen gerade jüngeren Bewerberinnen und Bewerbern immer wichtiger zu werden. Warum gewinnen Sie junge Talente, obwohl die Luftfahrtbranche im Ruf steht, bislang eingeschränkt nachhaltig zu sein?

Niggemann: Unsere Branche und unser Unternehmen üben nach wie vor eine große Faszination aus – das zeigen unsere Bewerberzahlen sehr deutlich. Immer mehr wollen lieber an Verbesserungen und Lösungen für ein nachhaltigeres Fliegen mitarbeiten, als dem Flugverkehr den Rücken zuzukehren. Unser umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement ist dabei aber weniger ein Thema mit dem wir gezielt Bewerbende von uns überzeugen wollen, sondern mit dem wir schlicht unserer Verantwortung gegenüber der Umwelt gerecht werden wollen.

Anders formuliert: Nachhaltigkeit ist bei uns kein Marketing. Wir wollen Lösungen für mehr Umweltschutz erarbeiten. Wenn Bewerberinnen und Bewerber unser Nachhaltigkeitsmanagement dann als seriös und nicht als Effekthascherei empfinden und sich aus diesem Grund für uns entscheiden, ist das natürlich willkommen.

Als globales Unternehmen ist das Thema Diversität bei der Lufthansa sicherlich allgegenwärtig. Nennen Sie zwei konkrete Beispiele, wo und wie diverse Teams Ihr Unternehmen voranbringen.

Niggemann: Unser Unternehmen stand schon immer und wird auch weiterhin für eine weltoffene Ausrichtung stehen. Das unterstreicht schon unser Purpose, nämlich die Verbindung von Menschen, Kulturen und Volkswirtschaften auf möglichst nachhaltige Art und Weise. Deshalb haben wir viele Teams, die seit Jahren länder- und kulturübergreifend arbeiten und Kundinnen und Kunden ansprechen. Ein Beispiel ist unsere weltweite Vertriebsorganisation, die eng und gut zusammenarbeitet und in etlichen Ländern sitzt und sich aus etlichen Nationen zusammensetzt.

Aber das Thema Diversität wird auch durch unsere Kundinnen und Kunden getrieben. So haben wir zum Beispiel eine Flugbegleiter-Basis in Japan. Uns ist wichtig, dass auf den Flügen mit Ziel Japan auch dort lebende Menschen Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter sind. Und die arbeiten dann auf diesen Flügen natürlich Hand in Hand mit deutschen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Das ist bei uns gelebte Diversität – und schon immer Teil unserer Unternehmens-DNA gewesen.

Welche Rolle spielen bei Ihnen Kommunikation, Transparenz und eine faire Führung für die Motivation und Bindung der Mitarbeitenden?

Niggemann: Das ist uns enorm wichtig. Ich hatte das Beispiel der Exit-Interviews bereits genannt. Diese haben wir gerade während der Pandemiezeit noch konsequenter geführt als es ohnehin bereits der Fall war. Aber wir befragen auch unsere Mitarbeitenden regelmäßig. Personalwechsel gibt es nicht nur aufgrund von Gehalt und Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch wegen der Unternehmens- und Führungskultur. Das beweist, wie wichtig dieses Thema ist. Und deshalb investieren wir auch sehr viel in unsere Leadership-Transformation-Programme, die wir bereits über nahezu alle Hierarchieebenen ausgerollt haben und intensivieren werden.

10.07.2023    Christian Buchholz
  • Drucken
Zur Startseite