Investments in Bitcoin & Co. können zu Kryptosucht führen
23.05.2022    Madeline Sieland
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Von Kryptowährungen hält EZB-Präsidentin Christine Lagarde gar nichts. In einem Interview mit einem niederländischen Fernsehsender sagte sie kürzlich, Kryptowährungen seien „wertlos und sollten reguliert werden, damit die Bürger davor beschützt werden, mit ihrer Altersvorsorge damit zu spekulieren.“ Denn sie sei beunruhigt, da viele ihrer Meinung nach „kein Verständnis für die Risiken haben und alles verlieren.“

Auch die Finanzaufsichtsbehörde Bafin warnt: „Wenn Sie in Coins oder Token investieren, gehen Sie sehr hohe Risiken ein und verlieren möglicherweise Ihr gesamtes eingesetztes Geld.“

Kryptohandel war zuletzt verlustreich

Und mit Blick auf die aktuellen Kursturbulenzen bei Kryptowährungen sind solche Warnungen alles andere als abwegig.

Der Bitcoin wurde zu Jahresbeginn für rund 47.300 Dollar gehandelt – zuletzt waren es nur noch rund 29.900 Dollar. Ethereum ist im gleichen Zeitraum von 3.700 Dollar auf 2.000 Dollar abgestürzt. Und auch Cardano verlor innerhalb der letzten vier Wochen knapp ein Drittel an Wert.

Der Absturz folgt einen großen Hype. Denn fast drei Jahre lang galt für Kryptowährungen vor allem eines: Ihr Wert stieg und stieg und stieg. Bitcoin legte von Anfang 2019 bis November 2021 von 3.000 auf 57.000 Euro zu; Ethereum von 100 auf 4.000 Euro.

Kryptohandel kann krank machen

Die Verdienstmöglichkeiten beim Kryptohandel waren extrem gut. Dadurch hatte der Markt eine hohe Anziehungskraft: Laut einer Civiscience-Studie haben vier Prozent der US-Amerikaner 2021 ihren Job gekündigt, um nur noch von Kryptoinvestments zu leben.

„Einige unserer Patienten haben dreistellige Millionenbeträge mit Krypto verdient – sind aber dabei in eine Abhängigkeit von diesem permanenten Thrill geraten, der ihr Privatleben quasi zerstört hat“, sagt Abdullah Boulad. Er ist Gründer und Geschäftsführer von THE BALANCE, einer privaten Rehaklinik auf Mallorca. Spezialisiert ist diese auf die Behandlung von Süchten und psychischen Erkrankungen.

Unter den Patienten waren auch bereits Personen mit Kryptosucht. Boulad schätzt, dass circa zehn Prozent der Trader irgendwann psychologische Schwierigkeiten bekommen; rund ein Prozent gleitet in eine pathologische Sucht ab.

Kryptohandel führt zum Dopaminrausch – wie Alkoholsucht

Um zu verstehen, warum Kryptohandel süchtig machen kann, muss man die beiden zentralen Eigenschaften des Kryptomarkts kennen:

  • Bitcoin & Co. werden permanent gehandelt, denn anders als die klassischen Börsen schließen Kryptobörsen nie. Die Kurse verändern sich daher 24/7.
  • Die Kurse sind sehr volatil; man kann innerhalb weniger Stunden viel gewinnen, aber auch viel verlieren.

Beides veranlasst Anleger dazu, die Kurse ständig zu überwachen.

Macht ein Anleger Gewinne, wird im Gehirn Dopamin ausgeschüttet – ähnlich wie bei Alkoholikern. Es ist dieser Dopaminrausch, der zu Euphorie führt und Alkoholiker dazu veranlasst, immer mehr zu trinken. Beim Kryptohandel ist es die durch Dopamin ausgelöste Euphorie in Verbindung mit riesigen Erträgen und dem Gefühl des Gewinnens, was eine Sucht auslöst.

Auf der anderen Seite sind fallende Kurse bei Tradern körperlich und psychisch mit dem Entzug von Alkoholikern und Drogensüchtigen vergleichbar. Um diesem Tief zu entgehen, investieren Trader noch mehr, hoffen auf Gewinne – und geraten so in einen Teufelskreis der Abhängigkeit.

Wie erkennt man Kryptosucht?

Neben THE BALANCE behandelt auch das Castle Craig Hospital in Schottland Menschen mit Kryptosucht. Es handelt sich dabei um eine Verhaltenssucht – ähnlich wie beim Glücksspiel. Auf der Website der Klinik werden unter anderem folgende Punkte genannt, an denen sich eine Kryptosucht erkennen lässt:

  • Betroffene verbringen ihre gesamte Zeit mit Trading; Familie, Freunde, Job und einst geliebte Freizeitbeschäftigungen rücken in den Hintergrund.
  • Sie haben finanzielle Probleme.
  • Sie versuchen ihre Verluste durch noch höhere Ausgaben beim Trading auszugleichen.
  • Sie leihen sich ständig Geld von Familie und Freunden oder stehlen, um ihre Sucht zu finanzieren.
  • Sie glauben, dass sie bald einen großen Gewinn machen werden.
  • Sie verpfänden ihr Hab und Gut, um sich Geld zu beschaffen.
  • Sie belügen Freunde und Familie über das Ausmaß ihrer Verluste.
  • Sie leiden unter Stimmungsschwankungen, Depressionen und Hoffnungslosigkeit.
  • Sie denken ständig über die nächste Investition nach.
  • Sie werden unruhig, reizbar oder erleiden Panikattacken, wenn sie versuchen, ihre Ausgaben zu reduzieren oder mit dem Kryptohandel aufzuhören.
  • Sie leugnen das Problem.

Kryptosucht – eine Sucht wie jede andere?

„Kryptosucht unterscheidet sich kaum von den anderen Süchten, mit denen wir sonst zu tun haben“, sagt THE-BALANCE-Chef Boulad. „Nur trifft sie häufig eine andere Schicht Menschen: jung, gebildet, ambitioniert und davor mit beiden Beinen im Leben stehend.“

Bei der Behandlung folge man meist den klassischen, altbewährten Wegen, sagt Boulad: „Eine kognitive Verhaltenstherapie, gekoppelt mit dem Zwölf-Schritte-Programm, das man auch aus der Therapie von Alkoholsucht kennt. Der schwierigste Teil ist hier eigentlich der erste Schritt: sich selbst eingestehen, dass man wirklich ein Problem hat – gerade wenn man finanziell in der Vergangenheit sehr erfolgreich war.“

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23.05.2022    Madeline Sieland
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