eine Astronautin schaut nach oben; dient als Symbolbild für New Space, also die Kommerzialisierung von Raumfahrt
10.08.2023
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Für die meisten Menschen ist Raumfahrt etwas sehr Spannendes, aber eben nicht richtig greifbar. Wir alle kennen zwar die Filme aus Kino und Fernsehen, haben vielleicht früher die Serie „Raumschiff Enterprise“ mit Captain Kirk und Spock gesehen, die faszinierenderweise vieles von dem vorwegnahm, was heute Realität ist. Wir wissen auch, dass eine Menge Satelliten unsere Erde umkreisen. Und wir haben irgendwann die alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Mondlandung gesehen. Aber was heute alles im All passiert – und vor allem, was in naher Zukunft dort möglich sein wird –, das ist für die meisten Menschen vermutlich ebenfalls nur Science-Fiction.

Dabei ist schon unsere gegenwärtige Situation im Weltraum das Gegenteil von Science-Fiction. Viele aufsehenerregende und greifbare Entwicklungen zeichnen sich bereits jetzt ab, die Zukunft der Raumfahrt hat schon begonnen. Wir nennen das: New Space. Und es wird spannender sein als alles, was wir kennen.

Fakt ist: Die nächste technologische Revolution wird über unseren Köpfen stattfinden. Dazu nur ein paar Zahlen: Insgesamt befanden sich im April 2022 knapp 5.500 Satelliten im All; allein der Gesamtumsatz für ihre Herstellung, den Betrieb und die Wartung lag 2021 bei 279 Milliarden US-Dollar. 2030 werden es womöglich 50.000 Satelliten sein.

Die Zukunft gehört den Mini-Satelliten

Warum so viele? Kurz gesagt: Weil New Space, also die Kommerzialisierung von Raumfahrt und ihre Verknüpfung mit der sogenannten Non-Space-Wirtschaft, immer mehr an Bedeutung gewinnt. Gerade für das Hightech- und Industrieland Deutschland. Dazu eine weitere Zahl: Bereits heute haben 76 Prozent der deutschen New-Space-Unternehmen Kunden außerhalb der Raumfahrtindustrie.

Wir werden uns also an den Gedanken gewöhnen müssen, dass die Raumfahrt im Jahr 2030 nicht mehr dieselbe sein wird wie früher, als Raketenstarts noch ganz bemerkenswerte, seltene Ereignisse waren, bei denen riesige Trägerraketen jedes halbe Jahr mal in den Weltraum gestartet sind.

Die Zukunft gehört den vielen kleinen, womöglich nur fünf Kilo schweren Mini-Satelliten, die in großer Zahl und mit wenig Aufwand in den Orbit befördert werden können. Die wir vielleicht in Web-Shops bestellen. Und die, wenn sie Probleme machen, nicht verloren gehen, sondern die wir dann reparieren können. Es wird sogar möglich sein, das Ganze direkt an Ort und Stelle zu erledigen. Schon heute arbeiten staatliche und private Anbieter daran, Satelliten im Weltraum zu warten, sie zu reparieren oder kaputte zu „deorbiten“.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch Next.2030.

Wo steht Deutschland im Jahr 2030? Was muss passieren, damit das einstige Wirtschaftswunderland künftig international wettbewerbsfähig bleibt? Und wo lauern Gefahren auf dem Weg ins Übermorgen? 33 Vordenkerinnen und Vordenker aus Wirtschaft, Politik, Sport und Wissenschaft wagen im Buch „Next.2030“ – herausgegeben von der Professorin und Aufsichtsrätin Ann-Kristin Achleitner sowie von Hagen Rickmann, Geschäftsführer bei der Telekom Deutschland – eine Prognose.

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Wo wir im Alltag auf Technologie im All zurückgreifen

Das geht weit über das hinaus, was viele Menschen heute unter Raumfahrt verstehen. Einer Raumfahrt, die seit langer Zeit eine wichtige und kritische Infrastruktur für unsere Industrie und unser aller Leben ist. Ohne sie hätten wir keine Services wie GPS oder Google Maps. Die Ortung von Schiffen und Flugzeugen wäre unmöglich, autonomes Fahren ein zu großes Risiko. Außerdem könnten wir ohne Satelliten nicht für Highspeed-Internet an jedem Ort der Welt sorgen – ob in der Millionenmetropole oder irgendwo auf dem Land.

Der Weltraum bot schon früh die Möglichkeit zu zahllosen Experimenten, mit Implikationen für verschiedenste Branchen. So reagieren etwa Kristalle, Proteine, Flüssigkeiten und menschliche Genome in der Schwerelosigkeit anders als auf der Erde. Das eröffnet ganz neue Innovationsprozesse für Medikamente und Impfstoffe.

Ein Beispiel: die Krebsforschung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben im Laufe der Zeit die Erkenntnis gewonnen, dass Astronauten seltener an Krebs erkranken. Deshalb werden heute Medikamente entwickelt, die Krebszellen so angreifen, als lebten Patientinnen und Patienten gerade im Weltraum. Die notwendigen Zellkolonien können nicht auf der Erde gezüchtet werden, aber sehr wohl draußen im All.

Ich reise jetzt noch ein Stück weiter zurück in der Zeit: Das „Apollo“-Programm in den 1960er-Jahren machte nicht nur die erste bemannte Landung auf dem Mond möglich – im Nachgang sehen wir auch, wie viele Erfindungen von damals mittlerweile Einzug in unterschiedlichste Branchen und in unsere Gesellschaft gefunden haben. Innovationen, die nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind – etwa Rettungsfolien, Handstaubsauger oder Klettverschlüsse. Auch die Photovoltaik wurde in der Raumfahrt etabliert.

Wir haben gelernt, dass die Entwicklung und Herstellung eines Produkts im Weltraum effizienter sein kann als auf der Erde: Glasfasern etwa, die in der Schwerelosigkeit produziert werden, sind 100-mal leistungsfähiger als herkömmliche. Selbst Wasserrecycling-Technologien gehen auf die Arbeit der Internationalen Raumstation (ISS) zurück.

Globale Erderwärmung aus dem All kontrollieren

Wagen wir jetzt den großen Sprung zurück nach vorn. Ins Jahr 2030. Dann nutzen Telekommunikationsunternehmen, Automobilhersteller oder Versicherer eigene Satellitensysteme, um ihre Projekte umzusetzen. Hier spielen insbesondere die eingangs erwähnten kleinen und mittelgroßen Satelliten, die künftig etwa von einer Isar-Aerospace-Trägerrakete ins All gebracht werden können, eine zentrale Rolle. Wir werden also seltener die riesigen Satelliten von früher sehen, sondern viele, viele kleine, die in niedrigerer Höhe fliegen und quasi ein Netz bilden. Das ist eine der besonderen Veränderungen im Vergleich zu früher: Wir nutzen in der Zukunft vorwiegend sogenannte Kleinsatelliten unter 600 Kilogramm Gewicht.

Das hat viele Vorteile, und wir werden damit eine Menge mehr schaffen als heute. Wir können 2030 aus dem All die globale Erderwärmung noch genauer kontrollieren. Verspricht also ein Land Maßnahmen zur Eindämmung seines CO2-Ausstoßes, sind wir in der Lage, am Bildschirm zu beobachten, ob es sich an sein Versprechen hält. Mithilfe von Satellitensystemen ist es dann möglich, die Luft- und Wasserqualität sowie den Zustand von Böden und Pflanzen zu messen und die Veränderung von Erdoberflächen, Meerespegeln und der Atmosphäre zu beobachten.

Wir können alles überwachen, um entsprechende Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Wir werden die Möglichkeit haben, Wälder zu scannen, um nach dem Ausbruch eines Brandes den Ursprung schnell lokalisieren und entsprechend reagieren zu können. Und bei einer Überschwemmung übermitteln Satellitensysteme in Echtzeit Daten über das Ausmaß der Katastrophe.

Wir haben aber 2030 nicht nur New Space, sondern auch Responsive Space. Also die Möglichkeit, in (militärischen) Krisenzeiten Kleinsatelliten bis 600 Kilogramm Gewicht in kürzester Zeit zu starten. Bislang kann das noch keine Nation. Wir wissen heute leider besser als noch vor einem Jahr, wie wichtig das ist. Responsive Space ist künftig aber auch wichtig, um in kritischen industriellen Situationen, etwa bei Ausfall eines Satelliten, schnell Abhilfe schaffen zu können.

Private Weltraumindustrie bedeutet Tausende neue Arbeitsplätze

Wie schaffen wir das alles? Während heute die meisten Entwicklungsaufträge für Raumfahrtunternehmen in Europa von institutionellen Einrichtungen wie der ESA (European Space Agency) kommen, werden künftig Startdienstanbieter wie Isar Aerospace sowie die Hersteller von Satelliten und Satellitenkonstellationen durch Serviceaufträge aus der Industrie und öffentlichen Institutionen finanziert.

Die private Weltraumindustrie wächst, private Investoren werden vermehrt in junge Unternehmen im Bereich SpaceTech investieren, verwandte Industrien durch Aufträge wachsen und Tausende Arbeitsplätze neu geschaffen – für internationale hervorragend ausgebildete Ingenieure und Techniker. Deutschland wird zu einem Innovations-Hub für Raumfahrt in Europa, Europas Raumfahrtindustrie in der internationalen Bedeutung wachsen und viele globale Kunden anziehen.

Stellen Sie sich dazu ein Telekommunikationsunternehmen vor, das mit kleinen Satelliten ein eigenes Telefonnetz aufbauen will. Oder einen Autohersteller, der ein satellitengestütztes Tool zum autonomen Fahren in Auftrag geben möchte. Im Idealfall vergehen 2030 von der Beauftragung der dafür benötigten Mini-Satelliten bis zum Start der Trägerrakete nur noch ein paar Wochen. Heute dauert es je nach Größe des Satelliten, der gestartet werden soll, ein bis zwei Jahre, um einen Platz zu bekommen. Bei einem aktuellen Preis von rund 6.000 Dollar pro Kilo (SpaceX).

Ich habe „Idealfall“ geschrieben, weil bis dahin viel passieren muss, wenn wir in Europa nicht von den ohnehin führenden Raumfahrtgroßmächten USA, China und Russland uneinholbar abgehängt werden wollen. Aktuell fehlt es an grundlegenden Bestimmungen über die Vergabe von Plätzen in den Orbits. Uneinheitliche Regulierung von Satellitenstarts und Weltraumtechnologie in Europa ist nach wie vor ein großes Hemmnis für Investitionen in diesem Bereich. Wir brauchen einheitliche gesetzliche Rahmenbedingungen, die insbesondere die Haftungsfragen bei Weltraummissionen definieren. Das schafft nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Sicherheit bei Investitionen in die Industrie.

Der Traum vom Leben im All wird bleiben

Und ja, natürlich wird es 2030 weiterhin das geben, was Generationen seit Jahrzehnten beschäftigt und uns immer beschäftigen wird: astronautische Raumfahrt. Wir kennen die Unternehmen, die sie heute anbieten; die private Raumfahrtindustrie nimmt rasant an Fahrt auf. In den USA führen Elon Musks SpaceX oder Jeff Bezos‘ Blue Origin bereits heute Starts im Auftrag privater und öffentlicher Institutionen durch und setzen zunehmend auf Weltraumtourismus. In Europa werden staatliche Institutionen wie die ESA private Startdienstleister für Satelliten durch die Vergabe von Serviceaufträgen als Ankerkunde stärker machen. Nur so kann die Souveränität Europas und der unabhängige Zugang des Kontinents zum Weltraum garantiert werden.

Wir werden also auch künftig Raumstationen bauen. Wir besiedeln eines Tages Mond und Mars, weil wir uns für die Rohstoffvorkommen dort interessieren. Und wir schauen immer weiter, was hinter den unendlichen Weiten kommt.

Aber die Raumfahrt als konkreter, schneller Nutzfaktor unserer Industrie kann/wird schon 2030 Tagesgeschäft sein. So kann die Raumfahrt zum Beispiel Ersatz für den „Lastwagen“ sein, der ein Produkt eben nicht auf der Straße von Norddeutschland nach Italien transportiert, sondern in eine Umlaufbahn – und das mit sauber verbrennenden Treibstoffen, wie Isar Aerospace sie mit der Trägerrakete „Spectrum“ schon heute nutzt: mit Propan und LOX (Flüssigsauerstoff).

Raumfahrt ist dann auch weniger individuell, aber im positiven Sinne. Strukturen und Antriebe von Trägerraketen, also all die spannenden neuen Technologien, können in Zukunft automatisiert und in Serie hergestellt werden – so wie heute die Motoren der Kraftfahrzeugindustrie oder die Antriebe von Flugzeugen.

Eine neue Zeit beginnt. Ich freue mich darauf.

Zur Person

Daniel Metzler von Isar Aerospace

Daniel Metzler

schloss sein Bachelorstudium in Maschinenbau an der TU Wien ab. 2016 kam der Österreicher für das Masterstudium in Luft- und Raumfahrttechnik an die TU München. Mit Josef Fleischmann gründete er 2018 Isar Aerospace. Das Start-up bringt Trägerraketen mit kleinen und mittelgroßen Satelliten in den Orbit

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