Mit der New Space Initiative soll die Daten-Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft reduziert werden
31.01.2022    Madeline Sieland
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Wenn Amy Webb sich zu Technologie-Trends äußert, ist ihr Aufmerksamkeit gewiss. Die renommierte Zukunftsforscherin, Gründerin des Future Today Institute, ist jedes Jahr auf der South by Southwest im texanischen Austin einer der Publikumsmagneten. Einen ersten Einblick in die 15. Ausgabe ihres „Tech Trends Report“, den sie traditionell im März in Austin präsentiert, hat sie bereits gegeben.

In ihren Augen eines der wichtigsten Themen 2022: die Aktivitäten diverser Staaten im Weltall. „China wird den Mars erforschen und seine eigene Raumstation fertigstellen. Russland wird wahrscheinlich seine Aktivitäten auf dem Mond verstärken. Die Nasa wird auf Asteroiden landen“, sagt Webb. „Und zum ersten Mal werden mehr Touristen als Regierungsangestellte ins All fliegen.“

Wer hat die Macht über das Internet?

Webb prophezeit zudem, dass das Thema Internet aus dem Weltall eine enorme Relevanz bekommen wird: „2022 soll eine atemberaubende Anzahl an Satelliten ins All starten, unter anderem von Amazon und SpaceX.“

Musk verkündete auf dem Mobile World Congress 2021 in Barcelona, dass die SpaceX-Tochter Starlink bis zu 42.000 Satelliten ins All bringen will. Amazon bekam bereits 2020 von der US-Regierung die Erlaubnis, 3.200 Satelliten in den Weltraum zu entsenden. Beide Unternehmen verfolgen dasselbe Ziel: Dank eines engen Netzes an Mikrosatelliten wollen sie stabiles Internet auch in die entlegensten Ecken dieser Welt zu bringen.

„Es ist also an der Zeit, sich eine unbequeme Frage zu stellen“, sagt Zukunftsforscherin Webb. „Was wäre, wenn die Big-Tech-Unternehmen kostenfreies Internet aus dem All anbieten?“ Und nicht nur die: Die China Satellite Network Group will mehr als 20.000 chinesische Satelliten ins All schießen.

Es mutet wie eine rhetorische Frage an. Denn die Antwort ist simpel: Wer das Internet kontrolliert, kontrolliert auch den Datenfluss – und damit das Voranschreiten der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Denn ob Maschinen in der Smart Factory, der Kühlschrank im Smart Home, der Mähdrescher auf der smarten Farm oder das autonom fahrende Auto: Sie alle brauchen ein schnelles, zuverlässiges Netz, das Daten extrem schnell von A nach B bringt.

Und der Vorteil eines engmaschigen Netzes an Mikrosatelliten liege dahingehend laut Webb auf der Hand: Fällt einer aus, springt ein anderer sofort ein. Der User auf der Erde merkt davon nichts; seine Geräte laufen mit stabiler Netzverbindung reibungslos weiter.

Bei kommerzieller Raumfahrt aufholen

Tausende geplante Satellitenstarts in den USA und China zeigen auch: Die kommerzielle Raumfahrt und vor allem das Thema Big Space Data entwickeln sich zum einem immer wichtiger werdenden Innovations- und Wirtschaftsfaktor. Es ist eine Entwicklung, der sich Deutschland – ein traditionsreiches Industrieland, das sich international gerne mit seinem Ingenieurs-Know-how rühmt – nicht verschließen kann.

„Deutschland und Europa sollten die Fehler der Vergangenheit und die daraus resultierende Daten-Abhängigkeit nicht wiederholen“, mahnt daher Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

„New Space Initiative“ soll Deutschland unabhängig machen

Der BDI hat gemeinsam mit 33 Unternehmen und Verbänden die „New Space Initiative“ gestartet. Mit dabei sind unter anderem der Automobilverband VDA, der Software-Riese SAP, der Versicherer Munich Re, der Raumfahrtkonzern Airbus Defense & Space, die Deutsche Bahn sowie der Mineralölkonzern ExxonMobile. Hinzu kommen New-Space-Start-ups wie Rocket Factory, Reflex Aerospace, Smart Small Satellite Systems und OKAPI:Orbits.

Ziel der Intiative ist es unter anderem, mithilfe eigener Satelliten ein unabhängiges Netzwerk für den Austausch wichtiger Daten aufzubauen. „Die Mitglieder der Initiative eint die Überzeugung, dass New Space unser Land digitaler, grüner und innovativer macht“, sagt Matthias Wachter, Geschäftsführer der Initiative.

Was ist eigentlich New Space?

Der Begriff New Space beschreibt die Verzahnung der kommerziellen Raumfahrt mit der klassischen Wirtschaft. Laut einer Studie der Beratung Capitol Momentum im Auftrag des BDI gibt es in Deutschland 125 New-Space-Firmen – etwa ein Drittel davon ist jünger als fünf Jahre. Und 76 Prozent dieser Unternehmen haben Kunden aus dem Non-Space-Sektor – sprich: deren Kerngeschäft hat eigentlich nichts mit Raumfahrt zu tun.

Dennoch haben unter anderem auch hiesige Versicherer oder Unternehmen der Automobilindustrie verstanden, dass Big Space Data eine zentrale Rolle bei der Entwicklung neuer datengetriebener Geschäftsmodelle spielen wird. Der BDI bezeichnet New Space daher folgerichtig als „Enabler für Zukunftstechnologien“.

Daten aus dem All für besseren Klimaschutz

Und mehr noch: Die kommerzielle Raumfahrt kann zu mehr Nachhaltigkeit sowie Natur- und Klimaschutz beitragen. Denn Satelliten ermöglichen Erdbeobachtung in Echtzeit. So lassen sich beispielsweise Umweltkatastrophen frühzeitig zu erkennen.

Das Münchner Start-up OroraTech beispielsweise hat ein Frühwarnsystem für Wetterextreme entwickelt. Der erste eigene Satellit wurde Mitte Januar ab Bord einer SpaceX-Rakete ins All gebracht. Dieser nur schuhkartongroße Satellit soll aus einer Höhe von 525 Kilometern Wärmebilder erstellen, um Waldbrände zu erkennen. Ziel ist es, durch ein stetig enger werdendes Netz an OroraTech-Satelliten die Zeitspanne zwischen Feuerausbruch und Feueralarm von durchschnittlich zwei Stunden auf wenige Minuten zu reduzieren.

31.01.2022    Madeline Sieland
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