ein Arzt sieht die Daten und Untersuchungsergebnisse eines Patienten durch eine VR-Brille
21.08.2023
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Veränderungen sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Seit Menschengedenken müssen wir uns auf unsere Umwelt einstellen und neuen Gegebenheiten anpassen. Früher waren das meist Veränderungen im Sozial- und Ökosystem oder gesellschaftliche Anpassungsprozesse.

Die Fähigkeit der Adaption war schon immer enorm wichtig für den Fortbestand der Menschheit. Doch mit dem technologischen Fortschritt hat die Veränderungsgeschwindigkeit ein bislang ungeahntes Ausmaß angenommen. Veränderungen kommen heute und in der Zukunft immer schneller auf uns zu. Digitalisierung, Metaversum, Künstliche Intelligenz – all diese technischen Innovationen helfen uns, Dinge viel effizienter und präventiver zu tun, als dies früher je machbar war.

Unmengen an Wissen steht jederzeit ad hoc zur Verfügung

Für die Gesellschaft ermöglichen generative Künstliche Intelligenzen wie beispielsweise ChatGPT und Midjourney ganz neue Perspektiven. Während für einige Dinge früher ein jahrelanges Literatur- oder Kunststudium notwendig war, können Texte oder Bilder heute ganz einfach ohne literarische oder künstlerische Vorkenntnisse erstellt werden.

Auch in der Robotik und in der Medizin werden völlig neue Methoden genutzt, die unsere Arbeit erleichtern und unser Arbeitsvolumen vervielfältigen.

In der Gesundheitsbranche bietet zum Beispiel die Telematikinfrastruktur ganz neue Möglichkeiten. Leistungserbringer kommunizieren mit Patientinnen und Patienten und tauschen Daten untereinander aus. Flächendeckende Transparenz öffnet die Perspektive viel schnellerer und direkterer medizinischer Intervention – und zwar ohne in einer unüberschaubaren Bürokratie zu versinken.

Mit Big Data kann die Gesundheitsbranche zu besseren Entscheidungen gelangen, weil sie in Echtzeit unfassbare Datenmengen durchdringt. Dieses Wissensuniversum war früher undenkbar, steht uns jetzt aber ad hoc 24/7 zur Verfügung.

Schneller Wandel beeinflusst unsere Psyche

Vorteile und Nutzen scheinen unbegrenzt. Jedoch gibt es auch eine Kehrseite: Der technologische Fortschritt führt in vielen Fällen dazu, dass wir uns in komplexe Systeme einarbeiten müssen, die viel schneller agieren als wir es selbst je könnten. Die Umwelt um uns herum wird exponentiell schneller, während wir nicht mehr hinterherkommen. Im vermeintlichen Dschungel der Komplexität fühlen wir uns strapaziert und agieren zu zögerlich.

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Die Folgen dieser rasanten Beschleunigung wirken sich auf unser Gehirn und unsere Psyche aus. Überforderung und Stress sind nur zwei der direkten Resultate dieser Veränderungen. Am Ende dieses Prozesses stehen mentale Lähmungserscheinungen. Wir werden handlungsunfähig und können unsere eigene Zukunft nur noch reaktiv wahrnehmen. Eine bewusste Steuerung ist nicht mehr möglich.

Das offensichtlichste Beispiel dafür ist der demografische Wandel: Wir wissen seit Jahrzehnten von der Größe der Babyboomer-Generation und den nachfolgenden „kleineren“ Generationen. Hunderte Studien belegen, dass die Babyboomer im Alter eine große Lücke im Arbeitsmarkt hinterlassen, das Rentensystem untragbar machen und das Gesundheitssystem überlasten werden. Trotz dieses Wissens haben Entscheidungsträgerinnen und -träger es verpasst zu handeln. Und wir stehen vor großen Verwerfungen.

Unser Mindset ist den schnellen Veränderungen nicht gewachsen

Am Beispiel des Gesundheitswesens lässt sich dies veranschaulichen. Aktuelle Studien belegen, dass wir Deutschen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens im internationalen, selbst im europäischen Vergleich weit hinten liegen. Paradox, mag sich einer denken. Standen doch die Deutschen jahrelang in Sachen Technologie qualitativ mit an der Spitze.

Tatsache ist jedoch, dass unser aktuelles Mindset den schnellen Veränderungen nicht gewachsen ist.

So ist der Aufbau der Telematikinfrastruktur bereits seit Anfang der 2000er-Jahre geplant. Nun bewegen wir uns auf das Ende des Jahres 2023 zu – und dennoch stehen wir erst am Anfang. Streitigkeiten um Finanzierung und Ausgestaltung des E-Rezepts, Opt-in- oder Opt-out-Diskussionen bei der elektronischen Patientenakte (ePA), unzureichende Richtlinien bei der Planung der Digitalen Pflegeanwendungen (DiPAs) et cetera: Die Liste der in Planung befindlichen Elemente der Telematikinfrastruktur ist lang.

Es ist sicher gut für die Patientinnen und Patienten, dass sich endlich etwas tut, und die Hoffnung auf eine verbesserte Versorgung mag ein Lichtblick sein. Aber andere Länder haben es längst geschafft, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben. Der Unterschied zu uns besteht im Mindset.

Wie können wir die Zukunft selbst gestalten?

Während wir Deutschen Planungsweltmeister sind und über jegliche Folgen nachdenken, verlieren wir uns in bürokratischer und datenschutzrechtlicher Bedenkenträgerei. Bis zur eigentlichen Umsetzung vergeht somit zu viel Zeit – und eine ursprünglich gute Idee und Planung ist am Ende veraltet und muss angepasst werden.

Wir dürfen uns nicht von der Zukunft überrennen lassen, sondern müssen sie selbst gestalten und aus ihr lernen. Es gilt unser erfolgreiches, aber überholtes Mindset neu zu programmieren. Mithilfe von Fantasie, Mut, Experimenten und einer belastbaren Zukunftsarchitektur ist das möglich.

Die Künstliche Intelligenz selbst ist das Ergebnis dieser humanen, nach vorne gerichteten Schöpferkraft. Sie dient dazu, unsere Schwächen zu kompensieren und die zunehmende Komplexität für uns zu ordnen. Die Entscheidungen, welche Schlüsse wir daraus ziehen, liegen weiter bei uns. Dazu müssen wir aber den emotionalen und neuronalen Schalter im Kopf umlegen.

Das dazu notwendige Transformationsprogramm ist die Zukunftspsychologie: eine imaginative und präventive Zukunftssimulation, um die Fähigkeit zu erlangen, mit Überforderung, Angst, Überraschungen und Unvorhersehbarkeiten souveräner umzugehen.

Zur Person

Thomas Druyen

Professor Thomas Druyen

ist Direktor des Instituts für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement (IZZ) an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien sowie Präsident der opta data Zukunfts-Stiftung in Essen

Kolumnen, Kommentare und Gastbeiträge auf DUP-magazin.de geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.
21.08.2023
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