trial and Error: Zielscheibe mit Pfeilen drum herum
18.03.2022
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Wir bei Sunday müssen scheitern, um erfolgreich sein zu können. Denn bei uns gibt es eine Faustregel: Bevor ein Spielehit entsteht, landen zwischen 50 und 100 Spiele im Papierkorb. Ich spreche hier nicht nur von Skizzen oder groben Entwürfen, sondern von Games-Ideen, die wir als spielbare Prototypen auf den App-Markt bringen – und ihnen im Zweifel auch wieder den Stecker ziehen. Und das alles unabhängig von all dem Herzblut, der Zeit und dem Geld, das bereits in diese Prototypen geflossen ist. Denn wir haben festgestellt, dass das Motto „Kill your Darlings“ uns und unsere Games besser macht – und damit schlussendlich auch erfolgreicher.

Die digitale Welt lebt das Update-Prinzip, viele Unternehmen noch nicht

Reid Hoffman, Co-Gründer von LinkedIn, hat einmal gesagt: „Wenn dir die erste Version deines Produkts nicht peinlich ist, hast du es zu spät an den Start gebracht.“ Darin steckt viel Wahres. Denn wir leben in einer Zeit, in der Produkte sich permanent weiterentwickeln. Jedes Update auf unserem Computer oder Smartphone kündigt genau das an – eine (Weiter-)Entwicklung, im Idealfall eine Verbesserung.

LinkedIn ist heute ein anderes Netzwerk als vor drei oder fünf Jahren. Doch damit es so sein kann, wie es heute ist, mussten Erfahrungen gesammelt werden. Dafür ist es aber wichtig, früh eine Idee in der „echten Welt“ zu testen und die Performance zu analysieren.

Mit dieser konstanten Unfertigkeit muss man sich jedoch auch gedanklich anfreunden. Ein „Permanent Beta“-Mindset zu haben – also zu denken, dass ein Produkt nie wirklich final ist –, ist notwendig, um mit einer unperfekten Idee an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn nicht der fehlerfreie Prozess ist das Entscheidende, sondern das erfolgreiche Ergebnis.

Wäre unser Game „Cat Escape“ mehr als 60 Millionen Mal heruntergeladen worden, hätten wir im Vorfeld nicht rund 100 andere Game-Ideen verworfen? Nein, denn all die anderen Prototypen haben wir analysiert und aus ihrem Scheitern Schlussforderungen gezogen, die schlussendlich zu „Cat Escape“ geführt haben. Entsprechend ist das Scheitern für uns kein Selbstzweck, sondern der einzig mögliche Weg zum Erfolg. Es ist ein Spiegelbild eines maximal kompetitiven Markts und anspruchsvoller User.

Trial and Error bedeutet Geschwindigkeit statt Perfektionismus

Wir basteln nicht monatelang an einem Game, bis es von einer kleinen Gruppe – nämlich unserem Team – als (vermeintlich) perfekt wahrgenommen wird. Stattdessen bringen wir es schnell heraus und holen von vielen Menschen Feedback ein. Ob wir ein Spiel verwerfen oder nicht, hängt also letztlich von der Meinung der Konsumentinnen und Konsumenten ab. Dieses Feedback ist in unserem Fall vor allem quantitativ, liegt also in Form von Daten vor: Wie viele Downloads gibt es? Wo steigen Leute aus dem Game aus? Welche Änderung lässt sie dann länger spielen? Und wie lange bleiben sie dann dabei?

Durch das iterative Prinzip des Ausprobierens, Analysierens und Weitermachens entsteht eine hohe Geschwindigkeit in der Produktentwicklung, die in der Gamesbranche notwendig ist, um immer wieder neue Impulse setzen zu können. Fail fast – and try again: Das ist das Motto.

Alle Branchen können Trial and Error adaptieren

Dabei könnte das Prinzip aber noch deutlich breiter eingesetzt werden als nur in den klassischen Digitalbranchen. Im E-Commerce etwa wird oft mit A/B-Tests in Apps und Online-Shops gearbeitet. Es werden unterschiedlichen Kundinnen und Kunden zwei Varianten der Website gezeigt, um zu beobachten, wie sie reagieren. Klicken sie auf den roten „In den Warenkorb“-Button eher als auf den blauen? Dieses Prinzip lässt sich auch deutlich größer denken – eben in Prototypen oder ganzen Geschäftsmodellen.

Das Trial-and-Error-Prinzip sorgt für viel mehr Geschwindigkeit und somit Veränderung, lässt sich aber mit dem Mindset in größeren Unternehmen mit hierarchischen Strukturen oft nur schwer abbilden. Digital Units, die als nahezu autarke Einheiten funktionieren, sind daher eine gute Lösung. Sie können sich auf ein bestimmtes Themenspektrum und ausgewählte Fragestellungen fokussieren und diese erfolgreich umsetzen, ohne gleich das komplette Unternehmen zu disruptieren.

Dennoch ist es wichtig, in allen Management-Positionen das Verhältnis zu Fehlern und dem Scheitern zu überdenken. Denn wenn wir als Nation wirtschaftlich weiterhin erfolgreich sein wollen, müssen wir Innovationen schaffen – und diese gelingen nicht mehr mit vordefinierten Lastenheften, sondern mit datenbasiertem Feedback der User. Wir jedenfalls haben uns gefreut, 2021 rund 200-mal gescheitert zu sein, dafür aber mit „Cat Escape“ und „Fall Break“ zwei Spielehits gelandet zu haben. Unser Ziel für 2022 lautet daher: Noch öfter scheitern.

Zur Person

Christoph Sachsenhausen

ist Geschäftsführer von Sunday, einem Games-Hersteller mit Sitz in Hamburg und Berlin. Der Fokus des Unternehmens liegt auf kurzweiligen Smartphone-Spielen, sogenannten Hyper-Casual-Games. Sunday ist Teil der AppLike Group, die zu Bertelsmann gehört

18.03.2022
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