In Kürze:
- Unternehmen sollten nicht nur ihre Produkte bis zur Perfektion entwickeln, sondern auch zukunftsweisende Geschäftsmodelle kreieren.
- Um ambitionierte Klimaziele zu erreichen, sollten Politik und Wirtschaft nicht nur auf E-Mobilität setzen, sondern technologieoffen agieren.
- Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain oder Virtual Reality werden ihr volles Potenzial erst in einigen Jahren entfalten.
Es ist eine vielsagende Adresse: „An der Goldgrube 12“ in Mainz residiert nicht irgendein Mittelständler, sondern der mittlerweile weltbekannte Impfstoffhersteller Biontech. Zusammen mit dem US-Pharmariesen Pfizer hat das Unternehmen Ende vergangenen Jahres die weltweit erste Zulassung für einen Covid-19-Impfstoff erhalten. Dank der mRNA-Technologie wurde das Vakzin Made in Germany in Rekordzeit entwickelt und gilt heute als der Goldstandard unter dem Impfstoffen. Allein im ersten Quartal 2021 verdreifachte sich der Gewinn der Mainzer auf 1,1 Milliarden Euro.
Milliarden von Impfdosen sollen die Pandemie erfolgreich bekämpfen – ein echter „Game Changer“. Und obendrein ein offensichtlich sehr gut funktionierendes Geschäftsmodell, eben eine Goldgrube. Doch zu selten kommen in Deutschland beide Komponenten zusammen, warnen Experten.
Neue Denkweise in den Führungsetagen
„Bei den Geschäftsmodellen ist Deutschland relativ schlecht aufgestellt“, kritisiert Dr. Alexander Trommen, CEO der Tech-Schmiede Appsfactory beim DUP Digital Business Talk. „Wir haben etwa 2000 Weltmarktführer in Deutschland. Viele konzentrieren sich momentan darauf, ihre Produkte zu digitalisieren. Sie benötigen aber zudem ein Geschäftsmodell, das auch in Zeiten großer Marktverwerfungen funktioniert“, sagt Sebastian Karger, Geschäftsführer der Digitalisierungsberatung Liquam.
Es ist ein Vorwurf, den sich Unternehmen hierzulande schon länger anhören müssen. „Jahrzehntelang haben deutsche Autohersteller den Otto-Motor perfektioniert und andere Antriebe vergessen“, sagt Karger. Beim Thema E-Autos hatten Tesla & Co. daher die Nase vorn. Die Aufholjagd aber, ist in vollem Gange – etwa bei Volkswagen. Und das hat einen Grund: „In den Führungsetagen hat ein Umdenken stattgefunden. Vor zwei, drei Jahren war das Mindset noch ganz anders“, ist Karger überzeugt.
Die Neuorientierung ist auch dringend notwendig, denn an Herausforderungen mangelt es nicht. Eine der größten ist die Bekämpfung des Klimawandels. „Wenn wir die ambitionierten Klimaziele der Bundesregierung erreichen wollen, ist eine wahnsinnige Transformation nötig“, sagt Adrian Willig, Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Mobilität (IWO), einer Einrichtung der deutschen Mineralölwirtschaft. Er fordert mehr Offenheit für alternative Technologien. „Beim Thema Mobilität sollte man keine Option von vornherein ausschließen. Nur mit batterieelektrischen Antrieben wird es nicht funktionieren.“ Zumal mit der heutigen Akkutechnologie keine schweren Lasten über große Distanzen transportiert werden könnten.
Eine OP am offenen Herzen
Um den CO2-Ausstoß im Luft- und Schwerlastverkehr sowie in der Schifffahrt zu verringern, seien Alternativen wie grüner Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe zentral, so Willig. Doch dafür gebe es jedoch nicht die passenden Rahmenbedingungen. Seine Generalkritik: „Wir sind Weltmeister darin zu debattieren, was alles nicht sein darf. Dabei ist die Transformation eine OP am offenen Herzen. Beim Wasserstoff beispielsweise droht Deutschland den Anschluss an China zu verlieren“, kritisiert Willig.
Optimistisch stimmen ihn branchenübergreifende Allianzen, etwa wenn ein Energieunternehmen einen Anbieter von Ladesäulen für E-Autos übernimmt. Solche neuen Kollaborationen können das Tempo von Innovationen hierzulande erhöhen. Eine wichtige Voraussetzung, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. „Deutsche Unternehmen müssen die hohe Geschwindigkeit, mit der sich Technologien entwickeln, mitgehen“, sagt Unternehmensberater Karger. Als Beispiele nennt er Künstliche Intelligenz (KI) und die Blockchain. „Beide Technologien haben einen unheimlich starken Impact, auch wenn oftmals noch die konkreten Anwendungsbeispiele fehlen.“
KI ist im Medienmarkt der Game Changer schlechthin
Für die Medienbranche könnte der Einsatz von KI eine neue Ära einläuten. „KI ist im Medienmarkt der Game Changer schlechthin. Dank Robo- und Datenjournalismus beispielsweise in der Sport- oder Lokalberichterstattung, wenn es um das repetieren von Daten geht, können nicht nur die Kosten gesenkt, sondern auch die Angebote stärker auf die Konsumenten gemünzt werden“, erklärt Trommen. Bis Virtual oder Augmented Reality sich im Massenmarkt durchsetzen, dürfte es nach Einschätzung des Experten aber noch etwa zehn Jahre dauern. „Die Hardware ist einfach noch nicht so weit“, sagt Trommen.