Der ETF-Boom nimmt kein Ende: Vor 15 Jahren verwalteten passive Indexfonds – auch Exchange Traded Funds oder kurz ETF genannt – in Deutschland noch die überschaubare Summe von 18 Milliarden Euro. In diesem Jahr könnte das ETF-Vermögen auf 190 Milliarden Euro steigen, prognostiziert der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI). Im selben Zeitraum ist die Zahl der passiven Fonds weltweit von 729 auf 7.609 gestiegen. Ein echter Siegeszug also.
ETF-Zuflüsse auf Rekordjagd
Allein im ersten Halbjahr investierten Anleger laut ETF-Anbieter Amundi weltweit 588,6 Milliarden Euro in Indexfonds. Das entspricht beinahe der Summe der vergangenen sechs Jahre und knapp 90 Prozent der Zuflüsse des gesamten Jahres 2020. Wenn es so weiter geht, dürfte 2021 mehr Geld in ETF fließen als in den vorherigen 20 Jahren zusammen, prognostizieren Analysten der Bank of America.
Aus Sicht der Anleger ist für jeden Geschmack etwas dabei: Mit nur wenigen Klicks können sie sich bei Online- oder Neobrokern etwa alle Unternehmen aus dem deutschen Leitindex Dax ins Depot legen, den amerikanischen Dow Jones oder den japanischen Nikkei-Index. Auch spezielle Themen-ETF aus den Bereichen Künstliche Intelligenz, BioTech oder – aktuell besonders gefragt – Nachhaltigkeit lassen sich problemlos finden. „Ein breit gestreutes ETF-Portfolio empfehlen wir den meisten unserer Kunden als Basis-Investment“, sagt Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer der digitalen Geldanlage quirion.
Die fünf wichtigsten Nachteile des MSCI World
Besonders beliebt unter Börseneinsteigern: ETF auf den MSCI World. Er bildet die Wertentwicklung von derzeit 1.559 börsennotierten Unternehmen aus 23 Industriestaaten ab und ist damit für viele quasi ein Allheilmittel. Doch wird der Index diesem Anspruch gerecht? „Anleger sollten regelmäßig schauen, ob ihre Indices eine Unwucht aufweisen“, rät Schmidt. Denn das ist bei näherer Betrachtung auch beim MSCI World der Fall.
Das sind die fünf relevantesten Nachteile, die Anleger im Blick haben sollten:
- Sehr starke Gewichtung von US-Aktien: Der MSCI World ist – laut Factsheet von Ende Juli – zu knapp 68 Prozent in den Vereinigten Staaten investiert. Kritikern ist das zu viel. „In den USA findet sich eine hohe Konzentration stark wachsender und höchst innovativer Unternehmen. Kein Wunder also, dass sehr viel Kapital nach Übersee strömt und für eine hohe Marktkapitalisierung im globalen Vergleich sorgt. Ein Zwei-Drittel-Gewicht, wie wir es im MSCI World vorfinden, ist aber einfach zu viel des Guten“, sagt Schmidt.
- Schwellenländer bleiben außen vor: Was wäre die Weltwirtschaft ohne China, Taiwan, Südkorea, Indien oder Russland? Diese Schwellenländer werden durch den MSCI World nicht repräsentiert, obwohl sie eine immer größere Rolle spielen. Er enthält zwar etwa 1.600 Aktien aus 23 Ländern, aber eben nur aus den Industrienationen.
- Große Abhängigkeit von Technologieaktien: Eine weitere Unwucht sehen Skeptiker darin, dass acht der zehn größten Positionen im Index (Apple, Microsoft, Amazon, Facebook, Alphabet A- und C-Aktien, Tesla, Nvidia) aus dem Technologiebereich stammen. Sie allein machen bereits 16 Prozent des Gesamtgewichts des Fonds aus. „Damit ist der MSCI World im Prinzip eine Art Wette auf eine auch weiterhin starke Performance solcher Werte. Wenn der Wind hier einmal stärker dreht – was über kurz oder lang der Fall sein dürfte –, dann sind Anleger mit dem MSCI World zu großen Risiken ausgesetzt“, sagt Schmidt. Insgesamt ist der Sektor Technologie mit knapp 23 Prozent gewichtet. Es folgen Finanzdienstleister und der Gesundheitsbereich mit jeweils etwa 13 Prozent.
- Keine Nebenwerte: Nicht im Index enthalten sind dagegen die Nebenwerte, also Aktien mit geringer Marktkapitalisierung. Damit lassen sich Anleger aber auch Renditechancen entgehen. Gut abgedeckt sind dagegen die Standardwerte.
- Wichtige Aktiensegmente werden nicht berücksichtigt: Für ein optimales Rendite-Risiko-Profil reichen Blue Chips allein jedoch nicht aus. Dafür seien Aktienmarktsegmente wie Value (unterbewertete Aktien mit hoher Substanz), Niedrigvolatilität (Aktien mit in der Vergangenheit relativ niedrigen Schwankungen) und Momentum (Aktien mit in der Vergangenheit relativ starker Kursdynamik) nötig, argumentiert Schmidt. Diese sind jedoch im MSCI World im Vergleich zum globalen Gesamtmarkt nur unzureichend berücksichtigt.
Unter dem Strich lässt sich die Kritik so zusammenfassen: „Der Index, der am 31. Dezember 1969 mit 100 Basispunkten startete, ist schlichtweg nicht als allgemeine Grundlage für das Vermögensmanagement konstruiert worden, wird heute aber oft als solche verkauft. Und das ist aus Anlegersicht irreführend“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Quirin Privatbank. „Man kann den Weltaktienmarkt schlichtweg nicht mit einem einzelnen Produkt kaufen.“
Die Alternativen zum MSCI World
Gebe es denn Alternativen? Für eine optimale Depotzusammenstellung sollten Anleger auf mehrere Indices und eine möglichst breite Streuung setzen. Eine Option ist ein sogenanntes Marktportfolio, das einen möglichst großen Teil der globalen Marktkapitalisierung abdeckt. „Wir investieren kostengünstig über ETF in weltweit mehr als 12.000 Unternehmen. Damit decken wir knapp 99 Prozent der globalen Marktkapitalisierung ab; der MSCI World schafft das nur zu rund 75 Prozent“, sagt Schmidt.