Illustration eines Bildschirm mit einem Roboter der Aufgaben erledigt
12.05.2021    Miriam Rönnau
  • Drucken

1. Wo steht der deutsche Mittelstand beim Thema KI?

„Der Mittelstand sieht KI im Speziellen ebenso wie die Digitalisierung im Allgemeinen bisher ambivalent“, sagt Lutz Meyer, Leiter von Deloitte Private. Deshalb sei Künstliche Intelligenz nicht der ‒ wie häufig prophezeit ‒ „Game-Changer“, der alle Nachholbedarfe in Sachen digitaler Transformation beseitigt. Zudem geht von KI keine große Gefahr aus, wenn zu viel menschliches Denken vermeintlich an die Technologie ausgelagert wird.

Ende 2020 hat die Unternehmensberatung Deloitte für den Lagebericht „Künstliche Intelligenz im Mittelstand“ 307 Entscheider aus mittelständischen Unternehmen befragt. Dabei zeigte sich: Im Kontext der verwendeten Technologien haben regelbasierte Systeme (45 Prozent) sowie Machine Learning (40 Prozent) den höchsten Umsetzungsgrad. Dabei verbinden 38 Prozent der Befragten Künstliche Intelligenz in irgendeiner Art und Weise mit „selbstständigen Entscheidungen“, die durch einen Computer oder eine gelernte Routine getroffen werden.

Doch streng genommen ist das nur ein kleiner Teil der Definition. Was unter der Technologie im weitesten Sinne zu verstehen ist, zeigt der „Tech Trends Report 2021“ vom Future Today Institute:

„Künstliche Intelligenz repräsentiert die dritte Ära der Informatik – allgemein definiert als die Fähigkeit einer Maschine, kognitive Funktionen so gut wie oder besser als der Mensch auszuführen. Zu diesen Funktionen gehören Wahrnehmung, Lernen, logisches Denken, Problemlösung, kontextbezogenes Verstehen, das Ziehen von Schlussfolgerungen und Anfertigen von Vorhersagen sowie Kreativität.“

Im Großen und Ganzen kommt die Deloitte-Studie zu dem Ergebnis: Je höher der Digitalisierungsgrad eines Unternehmens ist, desto wichtiger wird die Relevanz von intelligenten Systemen für den eigenen Betrieb bereits jetzt sowie für die Zukunft eingeschätzt.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass aufgrund der Coronapandemie und dem daraus resultierenden Digitalisierungsschub die Transformation in vielen Firmen noch in diesem Jahr weiter an Fahrt aufnehmen wird.

Daneben hat die Bundesregierung erst im Januar ein für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vielversprechendes Gesetz verabschiedet: das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Hiermit sollen die Spielregeln für Tech-Giganten wie Google, Facebook und Amazon strenger gefasst ‒ und so die Wettbewerbssituation für kleinere Player gestärkt werden. Eine wesentliche Verbesserung für KMU ist etwa die Erleichterung beim Recht der Fusionskontrolle, sowohl bei Abverkäufen als auch bei der gemeinsamen Nutzung von Daten.

1.2 Künstliche Intelligenz im Zusammenspiel mit Nachhaltigkeit

Neben dem grundsätzlichen digitalen Wandel spielt auch das Thema Nachhaltigkeit eine große Rolle. Denn im Zuge des „Green Deal“ will die Europäische Union beide Themen gleichzeitig vorantreiben. „Es ist klar verankert, dass 37 Prozent der Gesamtzuweisungen in den Mitgliedsstaaten in den ökologischen Wandel fließen müssen. Mindestens 20 Prozent müssen zudem den digitalen Wandel befördern“, sagt FDP-Politikerin und Vize-Präsidentin des EU-Parlaments Nicola Beer in einem Interview mit DUP Unternehmer. Gemeint sind die finanziellen Mittel, welche die EU im Rahmen des Corona-Wiederaufbaufonds zur Verfügung stellt.

Auch Alexander Britz plädiert für ein Zusammenspiel von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. „Was kann Künstliche Intelligenz? KI kann Ihnen helfen, unter der Berücksichtigung von verschiedenen Rahmenparametern bei komplexen Prozessen eine Optimierung durchzuführen. Das kann zum Beispiel einem Unternehmen dabei helfen, transparent den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Es kann aber auch helfen, verschiedene Ökosysteme in der Natur zu beschreiben und daraus abzuleiten, wie wir unseren negativen Einfluss minimieren können“, sagt der Head of Digital Business Transformation & AI bei Microsoft Deutschland. „Wenn wir wirklich den Unterschied machen wollen im Bereich Nachhaltigkeit, dann geht das nicht ohne Daten. Um diese großen Datenmengen in irgendeiner Art und Weise beherrschen zu können, kommen ganz schnell Technologien wie Künstliche Intelligenz mit ins Spiel.“

1.3 Wie wird KI von der Bundesregierung gefördert?

Zur Förderung der Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz hat die Bundesregierung bereits 2018 die „Strategie Künstliche Intelligenz“ (KI-Strategie) beschlossen. Für deren Umsetzung stellte die Regierung bis 2025 ursprünglich drei Milliarden Euro bereit. Bei der Fortschreibung der KI-Strategie im Dezember 2020 im Zuge des coronabedingten Konjunktur- beziehungsweise Zukunftspakets wurde die Summe auf fünf Milliarden Euro erhöht. So sollen die Grundlagen für die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Wirtschaft für die Zeit nach der akuten Krise geschaffen werden.

2. Wie nutzen Unternehmen KI?

Laut der Deloitte-Studie sieht der deutsche Mittelstand die meisten Chancen in folgenden Anwendungsbereichen:

  • Automatisierung von Prozessen (77 Prozent)
  • Effizientere Nutzung von Daten (72 Prozent)
  • Beschleunigung von Prozessen (66 Prozent)
  • Entwicklung neuer Geschäftsmodelle (43 Prozent)

Interessant ist hier: Unternehmen mit einem hohen digitalen Reifegrad bewerten die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle als besonders relevant und sehen darin sogar die größte Chance für KI-Anwendungen.

Doch neben den Chancen sehen viele Mittelständler auch Hürden bei der Implementierung:

  • Interne Kompetenzmängel (65 Prozent)
  • Allgemeine Probleme der Strategieimplementierung (52 Prozent)
  • Datenprobleme (52 Prozent)
  • Mängel in der eigenen IT-Infrastruktur (46 Prozent)

Um dies zu ändern, planen Unternehmen folgende Verbesserungen: So möchten 54 Prozent durch Schulungen internes KI-Know-how aufbauen. 50 Prozent erhoffen sich die breitere Implementierung von erfolgreichen Pilotenprojekten. 47 Prozent setzen auf die verstärkte Einbindung externer Kompetenzen und 45 Prozent wollen geschultes Fachpersonal rekrutieren.

Insgesamt betrachtet nutzen die befragten Entscheiderinnen und Entscheider Künstliche Intelligenz eher als Produkt (34 Prozent) oder als Service für Kunden (30 Prozent). Außer in Unternehmen mit einem hohen digitalen Reifegrad hat KI der Deloitte-Studie zufolge bisher keine hohe Bedeutung für Geschäftsmodelle und strategische Ausrichtungen. Lediglich 19 Prozent sehen die Bedeutung derzeit als hoch oder sehr hoch an. Immerhin 59 Prozent glauben, dass die Relevanz der Technologie künftig zunehmen wird.

2.1. Welche Unternehmen entwickeln Künstliche Intelligenz?

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen, die an der Technologie forschen und neue Produkte auf KI-Basis entwickeln. Künstliche Intelligenz löst Geschäftsprobleme, erkennt Betrugsfälle, verbessert Ernteerträge, gestaltet Lieferketten effizienter, empfiehlt Produkte, unterstützt bei der digitalen Kommunikation sowie beim Recruiting und hilft Schriftstellern bei der Arbeit. Die Technologie kann das Anrufvolumen in Kundendienstzentren vorhersagen, Prozesse automatisieren und hat nicht nur vor der offiziellen Entdeckung von Corona erste Warnsignale gesendet, sogar auch bei der Erforschung des Covid-19-Impfstoffs geholfen.

Zu den weltweit bekanntesten Unternehmen, die sich mit Künstlicher Intelligenz befassen, zählen:

  • Alibaba Group
  • Alphabet
  • Amazon
  • Baidu
  • Facebook
  • IBM
  • Microsoft
  • Nvidia
  • OpenAI
  • Tencent

3. Welche Vor- und Nachteile birgt KI für die Wirtschaft?

Höhere Effizienz, weniger repetitive Aufgaben für Angestellte, besserer Kundenservice: Das sind die drei größten Vorteile der Technologie, die für alle Branchen gelten. Meist findet Künstliche Intelligenz aktuell bereits Anwendung bei operativen Aufgaben, um Beschäftigte zu entlasten. Oder aber KI ist Teil innovativer technologischer und prozessualer (Weiter-)Entwicklungen.

Jedoch fürchten auch viele, dass durch den Einsatz von intelligenten Systemen ganze Berufsbilder wegfallen könnten. Die bis dato aktuellsten Zahlen sprechen allerdings eine andere Sprache: Eine Studie des ZEW Mannheim im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zeigt, dass zwischen 2016 und 2018 rund 48.000 Stellen in der deutschen Wirtschaft durch den Einsatz der Technologie entstanden sind.

3.1 Beispiele für den Einsatz von KI

Der „Tech Trends Report 2021“ vom Future Today Institute zeigt, wo die Technologie aktuell Durchbrüche hat. Hier kommen einige Beispiele:

  • Das Mining von großen, unstrukturierten Datensätzen wird vereinfacht. Spezielle Algorithmen, die auf das Erkennen von Schlüsselwörtern trainiert sind, können Informationen schnell sortieren und klassifizieren, um Muster zu erkennen. So kann eine Technologie, die zur Suche nach Hassreden trainiert wurde, entsprechende Akteure in sozialen Netzwerken ausfindig machen. Des Weiteren lassen sich dank Data Mining Trainingsdaten für die Klassifizierung von Finanzkriminalität generieren. Im vergangenen Jahr konnte mithilfe der Technologie die für die Klassifizierung benötigte Zeit von 20 Wochen bei allein arbeitenden menschlichen Analysten auf zwei Wochen reduziert werden.
  • KI kann nun Biomarker messen, die auf den emotionalen Zustand einer Person schließen lassen, wie Aufregung, Traurigkeit oder Benommenheit. Amazons Rekognition API etwa schließt auf die Emotionen einer Person anhand von Gesichtserkennung und körperlicher Erscheinung. Die App Replika nutzt die Technologie, um Sprache und Text auszuwerten, und spiegelt mit der Zeit den Benutzer wider. Affectiva Human Perception AI analysiert komplexe menschliche Zustände mithilfe von Sprachanalysen, Computer Vision und Deep Learning. So setzt die Automobilbranche zum Beispiel die Technologie von Affectiva ein, um den emotionalen Zustand des Fahrers ‒ ist er vielleicht müde oder wütend? ‒ zu analysieren und macht in Echtzeit Vorschläge zur Verbesserung des Fahrverhaltens.
  • Die Forschungsteams von Loving AI und Hansen Technologies bringen Maschinen bedingungslose Liebe, aktives Zuhören und Empathie bei. In Zukunft werden Maschinen dadurch menschliche Emotionen wie Liebe, Glück, Angst und Traurigkeit überzeugend darstellen können. Unter Theory of Mind ist die Fähigkeit zu verstehen, sich den mentalen Zustand anderer vorzustellen. Diese Eigenschaft wurde lange nur dem Menschen und bestimmten Primaten zugeschrieben. Forscher arbeiten daran, Maschinen zu trainieren, um eigene Theory-of-Mind-Modelle zu erstellen. Diese Technologie könnte bestehende KI-Therapieanwendungen wie WoeBot, einen klinischen Therapie-Chatbot, verbessern. Durch die Entwicklung von Maschinen, die mit Empathie und Sorge reagieren, werden digitale Assistenten quasi Teil der Familie und des Freundeskreises. Diese Technologie könnte auch in Krankenhäusern, Schulen und Gefängnissen Einzug nehmen und Patienten, Schülern und Insassen emotionale Unterstützung bieten. Laut dem Gesundheitsdienstleister Cigna hat sich die Rate der Einsamkeit in den USA in den letzten 50 Jahren verdoppelt. Vor zwei Jahren schuf die ehemalige britische Premierministerin Theresa May eine neue Kabinettsposition – den weltweit ersten Minister für Einsamkeit. In der zunehmend vernetzten Welt berichten Menschen, dass sie sich zunehmend isoliert fühlen ‒ insbesondere aufgrund der Coronapandemie hat das im vergangenen Jahr weiter zugenommen.
  • AWS, Alibaba Cloud, Microsofts Azure, Google Cloud und Baidu Cloud rollen neue Angebote für Entwickler aus. Das Ziel: Die Technologie einfacher und erschwinglicher für eine breite Masse zu machen, damit auch möglichst viele Start-ups ihre KI-Ideen auf den Markt bringen können. Mit AWS Lambda können Teams Codes für praktisch jede Art von Anwendung oder Back-End-Service ausführen – ohne Bereitstellung oder Verwaltung von Servern oder praktische Administration. Die Functions-Architektur von Azure unterstützt eine Vielzahl von Programmiersprachen, skaliert nach Bedarf und rechnet nur die aktive Berechnungszeit ab ‒ auch wenn einige Ingenieure und IT-Experten fürchten, dass solche serverlosen Systeme von ihnen verlangen zu viel Kontrolle abzugeben.
12.05.2021    Miriam Rönnau
  • Drucken
Zur Startseite