Grafik die einen Wettbewerb in Sachen Digitalisierung symbolisiert
18.01.2021    Miriam Rönnau
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Das vom Bundestag verabschiedete GWB-Digitalisierungsgesetz soll große Internetkonzerne stärker regulieren. So sollen die Chancen für Innovationen und Markt- sowie Datenzugang auch für kleinere Wettbewerber möglich sein. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat den Regelungen bereits auf seiner Website vorgestellt. Darin heißt es unter anderem:

„Die mit der Digitalisierung einhergehende Änderung wirtschaftlicher Machtverhältnisse stellt die Wettbewerbspolitik vor große Herausforderungen. Daten haben eine immer stärkere Bedeutung als Wertschöpfungsfaktor. Infolge starker Netzwerkeffekte sowie großer Skalen- und Verbundvorteile lassen sich vor allem in der Plattformökonomie Marktkonzentrations- und Monopolisierungstendenzen beobachten.“

Um hier entgegenzuwirken, sollen „Regelungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht“ gefunden und durchgesetzt werden. Das sehen die Wettbewerbsregeln konkret vor:

  • Plattformunternehmen mit marktübergreifender Bedeutung zu untersagen, auf der Plattform Angebote von Wettbewerbern und eigene Angebote – etwa bei der Darstellung der Suchergebnisse – ungleich zu behandeln
  • Plattformen zu verpflichten, Behinderungen für den Zugang zu Daten zu unterlassen, damit Nutzer leichter auf andere Plattformen etwa von Neuanbietern wechseln können
  • Schnelleres Eingreifen seitens des Bundeskartellamts
  • Erleichterung für den Mittelstand in Hinblick auf das Recht der Fusionskontrolle, sowohl bei Abverkäufen als auch etwa bei der gemeinsamen Nutzung von Daten oder dem Aufbau von Plattformen

Doch sind damit wirklich schon die Weichen gestellt, um einen chancengleichen Wettbewerb im Datenzeitalter zu realisieren? Wird die Monopolstellung der großen Tech-Giganten genügend eingedämmt und die Innovationskraft des deutschen Mittelstands ausreichend gestärkt? Im DUB Digital Business Talk zeigt sich Viktor Mayer-Schönberger eher skeptisch. Mayer-Schönberger ist Big-Data-Experte und Professor für Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute.

Zur Person

Porträt von Viktor Mayer-Schönberger

Viktor Mayer-Schönberger

ist seit 2010 Professor für Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute. In dieser Funktion berät er Unternehmen, Regierungen und internationale Organisationen und beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Nutzung von Big Data. Seit 2018 ist Mayer-Schönberger Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung

Schon seit einigen Jahren appellieren Sie, die Monopolstellung der Tech-Giganten zu brechen, zuletzt in ihrem Buch „Machtmaschinen: Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen“. Erfüllt das GWB-Digitalisierungsgesetz ihre Forderungen?

Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberger: Das ist erst ein Anfang. Wichtig ist, dass wir den Fokus auf das eigentlich strukturelle Problem legen: den ungleich verteilten Zugang zu Daten. Denn während die großen Player die Möglichkeit haben, viele Daten zu sammeln und daraus Schlüsse zu ziehen, haben Mittelständler hier keine Chance mehr, innovativ zu sein. Das Problem müssen wir an den Wurzeln packen und die GWB-Novelle versucht ein wenig, das auch zu tun. Doch es ist nur ein erster Schritt.

Am DUB Digital Business Talk nahmen teil:

  • Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute.

 

Moderator: Thomas Eilrich, Chefredakteur von DUB UNTERNEHMER

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte die Gesetzes-Novelle bereits 2020 als Meilenstein bezeichnet. Sie sehen es also anders?

Mayer-Schönberger: Es ist kein Meilenstein, aber auch nicht nur ein Feigenblatt. Es geht vor allem um das strukturelle Problem. Wenn wir darüber sprechen, Amazon effektiver zu besteuern, dann ist das aus der Perspektive der Chancengleichheit sinnvoll, löst aber das strukturelle Problem nicht. Es gilt die Vorteile, die diese Tech-Konzerne gegenüber dem Mittelstand haben, einzudämmen. Und dieses strukturelle Problem geht weder die Digitalsteuer vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron an, noch im Kern die GWB-Novelle.

Doch haben sich die großen Player ihre Marktmacht nicht auch mit Innovationen erarbeitet?

Mayer-Schönberger: Viele der Silicon-Valley-Superstars sind sehr gut im Erzählen von Geschichten. Sie sprechen von Genies, die dank unglaublicher Ideen und Einfallsreichtum gepaart mit der Umgebung des Silicon Valley zum Erfolg gekommen sind. Doch die Realität ist eine andere. Diese Unternehmen haben aufgrund von Netzwerk-, Feedback-, und Skaleneffekten, die wir im Digitalen haben, mehr Marktmacht erreicht, als ihnen für ihre Innovationsfähigkeit zusteht. Die Innovationskraft ist in den vergangenen 15 bis 20 Jahren im Silicon Valley gesunken, nicht gestiegen. Wir leben in nur scheinbar innovativen Zeiten, da dort weniger Konkurrenzdruck herrscht. Wo weniger Wettbewerb ist, muss man sich weniger anstrengen.

Was braucht es also noch neben dem GWB-Gesetz?

Meyer-Schönberger: Es ist wichtig, zu verstehen, warum die großen digitalen Plattformen so erfolgreich sind. Zum einen, weil sie als Plattformen viele Daten sammeln können. Zum anderen, weil sie diese Daten auch nutzen und aus der Nutzung einen wirtschaftlichen Mehrwert ziehen. Hier kommen wir zu einem zentralen Problem in Europa. Studien zeigen: 85 Prozent der Daten, die in Europa gesammelt werden, nutzt niemand. Unternehmen bunkern sie im Keller, in der Hoffnung, dass Daten wie das neue Öl wären. Und sie warten, bis der Ölpreis in die Höhe steigt. Doch Daten allein sind nicht das neue Öl, sondern ihr Mehrwert. Wir müssen in Europa überlegen, wie wir regulative Anreize schaffen können. Ziel sollte sein, dass der Mittelstand die Daten, die er hat, auch nutzt.

Ein Mittelständler hat aber nicht zwangsläufig genügend Daten, um daraus auch einen Mehrwert zu generieren ...

Meyer-Schönberger: Deshalb müssen wir dem Mittelstand noch mehr Daten zugänglich machen. Unternehmen mit 200, 500 oder 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben oftmals nicht die ausreichende Skalengröße, um aus den Daten, die ihnen zugänglich sind, Innovationen zu gewinnen. Also sollte man die Daten zusammenlegen und gemeinsam nutzen. Das Spannende am Informationspool ist, dass die Information nicht verbraucht wird, indem jemand anderes sie nutzt. Wenn man also etwa von den großen digitalen Plattformen verlangt, Zugang zu einem Teil ihrer Daten zu gewähren, dann wird ihnen dabei nichts genommen. Sie können ihre Daten weiterverwenden und nutzen. Aber andere haben so die Chance, einen wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen.

Muss Deutschland nicht sprichwörtlich erst vor der eigenen Haustür kehren, wenn man bedenkt, auf welchem Datenschutz die Industrie 4.0 sitzt?

Meyer-Schönberger: Wir müssen an der Wurzel anfangen. Und das heißt: einen breiten Zugang zu Daten ermöglichen und wettbewerbliche Anreize zur Datennutzung schaffen. Das betrifft nicht primär personenbezogene Daten, sondern Sachdaten. Die Google-Tochter Waymo etwa hat Milliarden an Daten gesammelt in Bezug auf selbstfahrende Autos. Teilweise sind das sogar virtuell erstellte Daten, um daraus entsprechende Algorithmen zu entwickeln und Künstliche Intelligenz zu implementieren. Google hat Daten über Straßenbreiten, das Verhalten von Autos, Rädern und Bremsen unter bestimmten Wetterbedingungen und vieles mehr. Für diesen Zugang brauchen wir Regeln.

Wie stehen Sie dann zur europäischen Datenschutzgrundverordnung, kurz DSGVO?

Meyer-Schönberger: In Europa haben wir etwas die Perspektive verloren. Als wir Anfang der 1970er-Jahre den Datenschutz erfunden haben, ging es um zwei Aspekte: um das Ausgleichen von Informations-Ungleichgewichten sowie die Bemächtigung von Einzelnen, ihre personenbezogenen Daten zu schützen. Sie sollen sie nicht mit anderen teilen müssen beziehungsweise sollen sie vorgeben können, mit wem sie diese Daten teilen wollen. Beispiel: Damals hatte man sich etwa darauf geeinigt, dass der hessische Landtag Zugang zu den Daten der hessischen Regierung und der hessischen Verwaltung bekommen muss, wenn man sonst ein Ungleichgewicht der Information zwischen Exekutive und Legislative gehabt hätte. Genau dieses Verständnis ist uns verloren gegangen.

Wenn wir die Perspektive der DSGVO bereits auf staatlicher Ebene in Bezug auf die Zielsetzung verloren haben, wie realistisch sind dann ihre Forderungen, dass Unternehmen ihre Daten teilen?

Meyer-Schönberger: In erster Linie zeigt die DSGVO auch, dass Europa regulieren kann. Das ist erstmal eine gute Basis. Und wenn die Europäische Kommission tatsächlich, wie sie es in der Daten-Strategie schreibt, den Zugang zu den Daten erleichtern und Anreize für die Nutzung schaffen will, dann muss das auch getan werden. Doch auf europäischer Ebene gibt es natürlich viele Abstimmungsprozesse, dementsprechend wird das dauern. Deswegen ist es nicht falsch, auch über nationale Initiative Anreize nachzudenken. Die Niederlande tun das bereits ganz unvoreingenommen. Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat einige erste Ideen entwickelt. Sprich: statt auf Europa zu warten, können Staaten das Thema auch national angehen.

Sie sagten, dass Silicon Valley sei nicht so innovativ, wie oft behauptet. Wenn wir China, USA und Europa gegenüberstellen – wer macht das Technologie-Rennen?

Meyer-Schönberger: Ich glaube an Innovationskraft, Ideenreichtum und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Wir sind ein sehr vielfältiger Kontinent und wir können diese Vielfalt der Sprachen, der Kulturen und der Geschichte auch in gute Ideen ummünzen. Das haben wir im Mittelstand, aber auch bei den Start-ups immer wieder gezeigt. Dazu brauchen wir aber die notwendigen Rahmenbedingungen – also auch hier wieder den Zugang an Informationen. Und natürlich das entsprechende Mindset. Europa hat jetzt eine echte Chance. Denn nicht nur der Staatskapitalismus chinesischer Prägung, sondern auch der Daten-Kapitalismus aus dem Silicon Valley hat seine Innovationskraft weitgehend verloren. Beide Staaten sind langsamer geworden. Und wenn die anderen langsamer werden, müssen wir nur ein bisschen schneller werden – und sie so überholen.

18.01.2021    Miriam Rönnau
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