Wohnungsmarkt

„Der Immobilienboom wird 2024 enden“

In den vergangenen zwölf Jahren kannten die Preise für Wohnimmobilien in deutschen Städten nur eine Richtung: nach oben. Doch damit wird in absehbarer Zeit Schluss sein, sagt Ökonom Jochen Möbert von der Deutschen Bank. Dazu müssten nicht einmal die Zinsen steigen. 

16.09.2021

Jochen Möbert hat das große Bild im Blick: Der Makroökonom von Deutsche Bank Research beschäftigt sich mit wirtschaftlichen Zyklen, den Finanzmärkten und dem Außenhandel. Zum Wohnungsmarkt hat er eine Meinung, die aufhorchen lässt – und die nicht von allen Experten geteilt wird.

Jochen Möbert

ist Makroökonom und Analyst bei Deutsche Bank Research. Seine Themen sind Immobilien, Finanzmärkte sowie der Außenhandel.

Im März haben Sie die These aufgestellt, dass der Hauspreiszyklus in Deutschland 2024 enden könnte. Mit anderen Worten: Die Immobilienblase wird platzen. Bleiben Sie dabei?

Jochen Möbert: Ja, wir halten an der Prognose fest, dass der Preisgipfel in den nächsten Jahren erreicht wird. Die wichtigste Botschaft lautet: Diese Dekade wird völlig anders verlaufen als die letzte. Der Zyklus wird enden. Die neue Bundesregierung wird mit ihrem Regierungsprogramm Anhaltspunkte dafür liefern, ob es eher früher oder eher später passiert.

Inwiefern wird diese Dekade anders als die vorherige?

Möbert: Wenn wir die Preisentwicklung am Wohnimmobilienmarkt und die Engpässe nochmal eine ganze Dekade vor uns herschieben würden, dann bekämen wir die größte Hauspreisblase aller OECD-Staaten. Das hätte für das nächste Jahrzehnt, also 2030 bis 2039 dramatische Folgen: Wir wären nicht nur mit einer schrumpfenden Bevölkerung konfrontiert, sondern auch mit den Folgen einer riesigen Hauspreisblase. Bundesweit lag der Preisanstieg in der vergangenen Dekade inflationsbereinigt bei 50 Prozent. Wenn man die Inflation dazurechnet waren es fast 70 Prozent. Wenn noch einmal 70 Prozent dazukämen, hätte Deutschland eines der höchsten Preisniveaus der Welt. Das zeigt: Der Boom muss irgendwann enden.

Die Bundesbank spricht von Überbewertungen in Metropolen von 15 bis 30 Prozent. Müssen wir uns auf Preisrückgänge in dieser Größenordnung einstellen?

Möbert: Wir gehen eher von kurzen, kleineren Preisrückgängen aus und erwarten eine dreijährige Bereinigungsphase mit einem Preisrückgang von fünf Prozent. Gegen größere Einbrüche sprechen die weiterhin hohe Nachfrage durch Zuwanderung. Sobald durch Neubau Leerstände generiert werden, dürfte auch die Bautätigkeit wieder zurückgehen. Einen zweistelligen Anteil von ungenutzten Wohnungen wie nach der Wiedervereinigung in manchen Städten Ostdeutschlands erwarten wir nicht.

Für jemanden, der in den großen Städten momentan eine Wohnung oder ein Haus sucht, klingen Leerstände wie ein Begriff aus einer anderen Welt. Ist es wirklich realistisch, dass es schon 2024 ein Überangebot geben wird?

Möbert: Wir glauben schon. Allerdings eher nicht in allen Metropolen, sondern in vielen C- und D-Standorten. Von den insgesamt 126 Städten, die wir untersucht haben, wird die fundamentale Angebotsknappheit in nur 20 Städten nicht so schnell abgebaut sein, sondern eher bis zum Ende des Jahrzehnts. Hinzu kommt das Thema Bewertungen. Dank der gesunkenen Zinsen hat es sich in den vergangenen zwölf Jahren für Investoren gelohnt, immer höhere Preise zu zahlen. In den nächsten Jahren werden wir in den Metropolen aber ein Niveau erreichen, das nicht mehr attraktiv sein wird. Internationale und institutionelle Investoren werden dann auf andere Städte, Lände oder Assetklassen ausweichen. Deswegen wird es in den Metropolen trotz Angebotsknappheit zu einem Ende des Preisbooms kommen.

Laut Ihrer Analyse werden die Preise in Bremen und Hamburg noch vor 2024 sinken. Warum?

Möbert: Dort ist die Angebots-Nachfrage-Relation sehr positiv für die Mieter. Beide Städte bauen relativ viel und haben relativ wenig Zuzug im Vergleich zu anderen Metropolen. In Hamburg beobachten wir ein interessantes Phänomen: In den vergangenen Jahren sind die Mieten langsamer gestiegen, doch zuletzt haben sie kräftig zugelegt. Vielleicht haben die Hamburger Vermieter jetzt noch ihre Chance genutzt, bevor sie Konkurrenz durch verstärkten Neubau bekommen. Wenn mehr als 10.000 Wohnungen im Jahr gebaut werden, bricht der Zyklus und der Leerstand steigt. Wir sind nicht mehr weit von sinkenden Preisen entfernt.

Und wie wird sich die Lage in anderen Städten entwickeln?

Möbert: Berlin sehen wir auf dem Weg zur globalen Metropole. Deswegen könnte der Zyklus dort noch sehr viel länger anhalten. Im internationalen Vergleich der Wohnungspreise liegt Berlin auf Platz 59. Da ist noch viel Luft nach oben. Die Forschungslandschaft ist exzellent, die Start-up-Kultur einzigartig. Die ganze Stadt ist im Aufbruch. Wenn das nicht kippt, wird Berlin noch attraktiver. Die Kaufpreise werden also sehr wahrscheinlich weiter steigen. Bei den Mieten könnte wir eine Pause sehen, weil es politische und gesellschaftliche Spannungen gibt.

Und München?

Möbert: München ist die viertteuerste Stadt der Welt und würde zur teuersten in Europa werden, wenn die Preise weiter anziehen. Der Gipfel dürfte dort also eher früher als später erreicht sein.

Welchen Einfluss spielen gesetzliche Vorgaben, etwa zum Klimaschutz?

Möbert: Fest steht: Durch den Klimaschutz werden enorme Kosten auf die Gesellschaft zukommen. Die Aufteilung auf Mieter und Vermieter ist noch nicht klar. Man kann aber davon ausgehen, dass es auch die Investoren treffen wird. Die Bruttomietrenditen von 3,5 bis 4 Prozent, die man bundesweit im Schnitt erzielen kann, werden durch klimapolitische Belastungen weiter zurückgehen. Auch deswegen wird es unattraktiver in den deutschen Markt zu investieren.

Über einen Faktor haben wir noch nicht gesprochen: die Zinsen. Erwarten Sie einen Zinsschock?

Möbert: Ein Zinsschock ist ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Denn das hieße ja, dass die Zentralbanken die Zügel locker lassen können und die hohen Verschuldungsniveaus in vielen Euroländern beseitigt sind. Dennoch könnten höhere Inflationsraten die Kapitalmarktzinsen anziehen lassen. Sowohl klimapolitische Impulse, Lohndruck durch Fachkräftemangel und weitere Folgen der älterwerdenden Gesellschaft als auch geopolitische Entwicklungen sprechen tendenziell für höhere Inflationsraten im Laufe des Jahrzehntes. Und damit auch für höhere Kapitalmarktzinsen. Zudem erreichen die Marktpreise am Wohnungsmarkt aus unserer Sicht in den nächsten Jahren faire Bewertungsniveaus. Folglich könnten Investoren deutlich sensibler auf Zinsänderungen reagieren – auch ohne Zinsschock.