Wie haben wir früher unseren großen Weltatlas geliebt. Er hat uns während unserer gesamten Schulzeit begleitet und war immer ein Helfer auf der imaginären Reise durch die Welt. In Zukunft soll der "Krankenhausatlas" unser zuverlässiger Begleiter für unsere Gesundheit werden. Das ist zumindest das Ziel des Krankenhaustransparenzgesetzes, das im vergangenen Oktober im Bundestag verabschiedet wurde und das zum 1. April 2024 umgesetzt wird.
Die Krankenhäuser füllen den Atlas in Zukunft regelmäßig mit folgenden Informationen:
- Behandlungen und Operationen: Wie viele Menschen behandelt das Krankenhaus und wie viele Operationen führt es durch?
- Komplikationen bei Eingriffen: Die Leserinnen und Leser erfahren, wie sicher bestimmte medizinische Eingriffe sind. Dies gibt ihnen eine Vorstellung von möglichen Risiken und hilft, informierte Entscheidungen zu treffen.
- Personal im Krankenhaus: Wie viele Ärzte, Pflegekräfte und Fachärzte arbeiten dort?
- Zertifizierungen: Welche Qualitätszertifikate hat das Krankenhaus? Das hilft, zu verstehen, ob das Krankenhaus bestimmte Standards erfüllt und welche Fachgebiete besonders gut abgedeckt sind.
- Versorgungsstufen des Krankenhauses: Jedes Krankenhaus wird in verschiedene Kategorien eingeteilt, von Grundversorgung bis hin zu hochspezialisierten Zentren. Das zeigt, in welchen medizinischen Bereichen das Krankenhaus besonders stark ist.
Diese Transparenz gibt Patientinnen und Patienten Entscheidungshilfen und schafft Anreize für Krankenhäuser, ihre Leistungen zu verbessern.
Für mehr Transparenz: Prozesse müssen vereinfacht werden
Allerdings ist der Weg zur Veröffentlichung lang. Die Daten werden zunächst beim Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) gemeldet. Dann gehen sie an das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Erst im Anschluss erfolgt eine Rückmeldung an das Bundesministerium für Gesundheit zur Veröffentlichung.
Fakt ist: Wir brauchen mehr Informationen über die einzelnen Einrichtungen im Gesundheitswesen. Insbesondere wenn wir vor schwierigen Entscheidungen wie einer bevorstehenden Operation stehen. Doch ob das neue Gesetz wirklich brauchbare Abhilfe schaffen kann?
Dazu ein Perspektivwechsel: Wir haben einen dramatischen Arbeitskräftemangel, der sich durch die demographische Entwicklung verschärfen wird. Einer der größten Zeitfresser ist die Bürokratie. Schon jetzt verbringt medizinisches Fachpersonal mehr als 30 Prozent seiner Arbeitszeit mit bürokratischen Aufgaben. Deshalb stößt das Gesetz auf viel Widerstand beim Personal und wirft die Frage auf: Ist das Krankenhaustransparenzgesetz nicht bloß unnötiger Mehraufwand?
Was den Nutzen anbelangt, sind Zweifel angebracht: Denn die in dem neuen Krankenhausatlas erhobenen Daten werden erst mit ein bis zwei Jahren Verzögerung veröffentlicht.
Sind dann die Ärztinnen und Ärzte, die für den guten Ruf gesorgt haben, überhaupt noch an der Klinik tätig oder bereits woanders? Vielleicht hat sich ein Krankenhaus durch die Einführung neuer Standards innerhalb von zwei Jahren überaus positiv entwickelt? Das kann man im Atlas nicht erkennen. Denn die Daten sind bereits veraltet, wenn sie veröffentlicht werden.
Krankenhaustransparenzgesetz: Die Digitalisierung als Chance
Bleibt die Frage, warum es in Zeiten der Digitalisierung, in denen Daten in Millisekunden übertragen werden können, keine Möglichkeit gibt, diese Daten in einem deutlich aktuelleren Zustand zu liefern? Hinzu kommt: Es gibt schon seit Jahren Portale, die Qualitätsberichte veröffentlichen.
Von der Weißen Liste über die Kliniksuchen der Krankenkassen bis zum Klinikradar: Diese Portale erreichen heute bereits jeweils einige Millionen Nutzerinnen und Nutzer. In den Klinikradar fließen verschiedenste Datenquellen ein und helfen bei der ganzheitlichen Behandlung von Krankheitsbildern.
Warum baut die Bundesregierung also von Null an ein neues Portal auf und nutzt nicht die bestehenden Portale? Wir sind bei der Digitalisierung im europäischen Vergleich weit abgehängt. Das eRezept haben wir als 18. Land im europäischen Raum eingeführt.
Die elektronische Patientenakte als Meilenstein
Die elektronische Patientenakte dokumentiert ebenfalls Deutschlands Trägheit: Sie soll im Jahr 2025 endlich eingeführt werden. Ein Meilenstein für die moderne Gesundheitsversorgung. Das Projekt wurde bereits 2002 beschlossen und ist immer noch nicht funktionsfähig. Wäre die Investition nicht an dieser Stelle sinnvoller, um eine gute Umsetzung zu gewährleisten und auch hier die Bevölkerung frühzeitig, umfassend und vor allem motivierend darüber zu informieren?
Um nicht missverstanden zu werden: Aussagekräftige, verständliche und aktuelle Daten, die sich von den bisher veröffentlichten Informationen abheben, würden einen echten Mehrwert schaffen und einen Nutzen der Digitalen Medizin zeigen. Doch ist es wirklich eine gute Idee, mit dem „Krankenhausatlas“ digitale Lösungen mit viel Geld nach vorne zu bringen, die nicht über vorhandene Lösungen auf dem Markt hinausgehen?
Wir sind überzeugt: Das Krankenhaustransparenzgesetz ist ein Mammutprojekt mit ungewisser Erfolgsaussicht, weil derzeit bei allen Beteiligten die Einsicht und Bereitschaft fehlen, engagiert daran mitzuarbeiten.
Unseren Geografie-Lehrerinnen und -Lehrern ist es ihrerzeit gelungen, uns den großen Weltatlas als ein Tor in die große weite Welt zu vermitteln. Genau das muss jetzt auch geschehen. Die Lieferanten der Daten, die Krankenhäuser, die Betreiber bestehender Portale und vor allem die Anwender müssen dafür sorgen, dass die Informationen anwenderfreundlich aufbereitet werden. Denn nichts ist nutzloser als ein gut gemeinter schön anzuschauender Atlas, der in einer dunklen Ecke verstaubt.