Gastbeitrag

Dominanz der großen Plattformen

Wir gefährden die Vielfalt im E-Commerce!

Apple hat ein Datenschutz-Erdbeben ausgelöst: Das mobile Tracking durch Apps kann ganz leicht ausgestellt werden – und die Mehrheit tut das. Für viele Onlinehändler hat das jedoch dramatische Folgen, wie der Server-Ausfall bei Facebook eindrucksvoll gezeigt hat. 

15.10.2021

Viele Apple-User haben es bereits mitbekommen: Seit dem 27. April 2021 haben sie mit dem Update auf das neue Betriebssystem iOS 14.5 die Möglichkeit, sich aktiv gegen das mobile Tracking auszusprechen. Wer also von Dritten zu Werbezwecken nicht mehr getrackt werden möchte, kann dies auf dem iPhone seitdem aktiv verhindern. Apple hatte mit diesem Schritt ein waschechtes Datenschutz-Erdbeben ausgelöst. Denn: Wie zu erwarten war, haben dieses neue Angebot viele iPhone-Nutzerinnen und -Nutzer mit Kusshand angenommen. Das haben unter anderem der aktuelle MOLOCO-Report und weitere Expertenquellen gezeigt. „Kein Tracking mehr von Werbetreibenden? Ja, bitte!”, so die Mehrheit.

Auf den ersten Blick klingt diese Entwicklung natürlich wunderbar, immerhin können die Menschen so genau bestimmen und überblicken, wer ihre Daten bekommt und wie nutzen darf. Allerdings hat dies einen Effekt, der für viele Onlinehändler dramatisch ist: Denn wer sich nicht tracken lässt, ist für Werbetreibende nicht wie gewohnt erreichbar. Das führt wiederum dazu, dass die Preise für die Akquise neuer und trackbarer Kundinnen und Kunden (CPA) um mehr als 200 Prozent gestiegen sind. Und hier sind wir beim springenden Punkt, denn diese höheren Akquisitionskosten werden Angebotsvielfalt und damit den Wettbewerb bedrohen und so Folgen für uns alle haben.

Viele Händler werden wirtschaftlich leiden

Denn gerade für solche Onlinehändler, deren Geschäftsmodell auf die regelmäßige Akquise neuer, zahlender Kundinnen und Kunden ausgerichtet ist, machen sich die gestiegenen Kosten in den Kassen bemerkbar. Diese „Eintagsfliegen” rechnen sich plötzlich nicht mehr, denn Kundinnen und Kunden, die durch Targeting im (virtuellen) Shop landen, sind plötzlich nicht mehr rentabel.

Dadurch schrumpfen die Margen – viele Unternehmen werden von jetzt an wirtschaftlich erheblich zu leiden haben. In meinen Augen ist das alarmierend! Kurzfristig natürlich aus menschlicher Sicht, weil an den Brands zahlreiche persönliche Existenzen hängen. Etwas langfristiger aber sehe ich eine ganz andere Bedrohung: Unser E-Commerce-Ökosystem steht durch die aktuellen Entwicklungen kurz vor einem ganz grundlegenden Umbruch. Statt vieler kleiner Anbieter, die für ein vielfältiges Angebot sorgen, werden wir bald eine Monokultur der großen Plattformen sehen. Denn es ist wie in der Natur: Große Bäume haben Stürme schon immer besser überstanden als zarte Pflänzchen.

Die Lösung für dieses Schlamassel kann aus meiner Sicht nur eine einzige sein: ein größerer Fokus auf das Bestandskundenmarketing. Heißt: Langfristige Kundenbeziehungen aufbauen, statt für viel Geld immer wieder neue Kundinnen und Kunden an Land zu ziehen, die nach einem Kauf nie wieder zurückkehren. Nur mit eben diesen langfristigen Kundenbeziehungen erhalten wir die Vielfalt im E-Commerce-Ökosystem und sorgen dafür, dass die Big Player der Plattformökonomie nicht noch mächtiger werden.

Facebook-Ausfall zeigt die Relevanz auf

Welchen Einfluss die großen Plattformen mittlerweile haben, hatte erst vor wenigen Tagen der stundenlange Ausfall von Facebook, Instagram und Whatsapp gezeigt. Viele Unternehmen sind abhängig von diesen Plattformen und pflegen keine eigenen, werthaltigen Kundenbeziehungen. Ihr Geschäft hat während des Ausfalls extrem gelitten – und lief erst dann wieder an, als Facebook seine Server im Griff hatte. Wer im Gegensatz dazu die Kundinnen und Kunden auch auf anderem Wege erreicht, der konnte sich nicht nur entspannt zurücklegen und dem unruhigen Treiben zusehen, sondern bestenfalls auch noch von der Situation profitieren.

Der Aufbau und die Pflege eigener werthaltiger Kundenbeziehungen muss dringend in den Fokus vieler Unternehmen rücken! Technische Unterstützung, um die Daten genau dieser potenziell treuen Stammkunden zu verarbeiten, gibt es. Sicherlich müssen sich auch Marketer zum Teil neu orientieren und lernen, die Potenziale der Bestandskundinnen und -kunden zu nutzen.

Wer sich diesem Umdenken verschließt, wird sehr bald am unteren Ende des Geldbeutels ankommen.

Dr. Markus Wübben

Der Autor des Gastbeitrags ist Co-Gründer und CMO von CrossEngage sowie Spezialist für datengetriebenes Marketing. Vor der Gründung von CrossEngage im Jahr 2015 entwickelte der promovierte Informatiker u.a. bei Rocket Internet eine Lösung für Multichannel-Kampagnen, die bei mehr als 70 Unternehmen in 20 Ländern eingesetzt wurde.