Wagemut

Extreme Expeditionen: Seilschaft ins Unbekannte mit Stefan Glowacz

Der Profikletterer und Abenteurer Stefan Glowacz begibt sich nach seiner Wettkampfkarriere auf extreme Expeditionen, die ihn immer wieder an Grenzen führen. Der Motivationscoach berichtet, wie er seine Touren meistert, weshalb Fehler wertvoll sind und warum die Nationalelf und Führungskräfte auf seine Erfahrungen vertrauen. 

Stefan Glowacz extreme Expeditionen

15.08.2024

Bezwungen! Drei Erstbesteigungen völlig unerforschter Steilwände - das ist Stefan Glowacz' jüngstes Abenteuer. Dafür war er 2023 mit seinem dreiköpfigen Team monatelang in der Türkei, im Iran und in Tadschikistan unterwegs. Klettern ist das ganze Leben des 59-Jährigen. Nachdem er als Zwölfjähriger damit begonnen hatte, feierte er 1985 seinen Sieg beim weltweit ersten Wettkampf im Sportklettern im italienischen Bardonecchia und markierte damit seinen Einstieg in den Profibereich. Immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen begibt sich der Gründer des Kletterausrüsters Red Chili seit mehr als 30 Jahren auf schwierigste Expeditionen – immer aus eigener Kraft und fernab jeglicher Zivilisation. Er sagt von sich selbst, er sei besessen – und genau deshalb so erfolgreich geworden.

Stefan Glowacz

Stefan Glowacz

blickt auf 45 Jahre Klettererfahrung zurück und geht seit 30 Jahren auf Expeditionen

DUP UNTERNEHMER-Magazin: Herr Glowacz, Sie haben viele anspruchsvolle Routen gemeistert. Was ist für Sie die größte Herausforderung bei Ihren Expeditionen?

Stefan Glowacz: Das ist die mentale Auseinandersetzung damit, Rückschläge zu verarbeiten und mich immer aufs Neue zu motivieren. Gepaart mit den körperlichen Anstrengungen. Ein Beispiel: Wir reisen jetzt zu einer kleinen Inuit-Siedlung nach Island, der letzte Zivilisationspunkt. Von dort aus sind wir dann zehn Tage unterwegs mit Schlitten bei minus 25, minus 30 Grad. Biwakieren immer völlig ungeschützt auf dem zugefrorenen Meer. Es gibt Eisbären, es gibt Stürme. Nach langen Strapazen kommen wir vermutlich schon ziemlich angeschlagen an der Wand an. Ich muss dann die Willenskraft und Leidenschaft aufbringen, eine schwierige Wand zu klettern. Immer in diesem menschenfeindlichen Umfeld, wo in bestimmten Situationen keine Fehler passieren dürfen. Es ist kalt, vielleicht regnet es, schlimmer noch: Ein Schneesturm zieht auf. Das bedeutet Abseilen und drei Tage im Zelt warten, um dann wieder einen neuen Versuch zu starten.

Was hat Sie dazu bewogen, nach Ihrer Wettkampfzeit Expeditionen zu unternehmen?

Glowacz: Schon als Kind auf Reisen mit meinen Eltern zu den bizarren Türmen der Dolomiten habe ich stets den Platz am Abgrund gewählt. Genoss den Blick hinab in die Tiefe und dieses Gefühl der Ausgesetztheit. Das Klettern war für mich immer das große Abenteuer. Nach meiner Wettkampfzeit zwischen 1985 und 1993 wollte ich dann diese zwei Themen zueinander führen: den Abenteueraspekt und den Hochleistungssport.

Wie bereiten Sie sich mental auf Ihre Expeditionen vor?

Glowacz: Das ist ein Prozess, der sich über viele Jahre entwickelt hat. Das Wettkampfklettern hat mir sehr dabei geholfen, mich zu konzentrieren. Zudem wurde ich von der Tennisspielerin Martina Navratilova inspi- riert, die in ihrem Buch über die mentale Vorbereitung auf große Wettkämpfe wie Wimbledon schrieb. Sie be- tont, wie wichtig es ist, Extremsituationen zu visualisieren. Bei Expeditionen sammle ich deshalb zuerst sämtliche Informationen, arbeite einen detaillierten Zeit- und Handlungsplan aus, der bis auf den Tag genau geplant ist, und stelle mir das gesamte Szenario vor meinem geistigen Auge vor. Ich fliege los. Okay, wir haben ungefähr 250 Kilo Gepäck dabei. Muss ich das per Frachter runterschicken? Oder: Was bedeutet es, eine Eishöhle bei minus 35 Grad graben zu müssen? Das kann man alles simulieren und Antworten finden, bevor es losgeht. Und auch als Unternehmer habe ich das übernommen, um Risiken abschätzen zu können.

Nutzen Sie bereits KI bei Ihren Expeditionen oder im Unternehmen?

Glowacz: Wir nutzen heute alle verfügbaren Informationsquellen, da praktisch jeder Winkel der Erde digital erfasst wurde, sei es durch Google Earth oder andere Technologien. Durch KI können wir aus den Fehlern anderer lernen und vorhandenes Wissen abgreifen, um uns strategisch besser und präziser vorbereiten zu können als je zuvor – sowohl für unternehmerische Projekte als auch für Expeditionen.

Als Motivationscoach haben Sie vor der WM 2010 eine Ansprache vor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gehalten. Wie können Sie Sportprofis und Unternehmern auf ihrem Weg zum Erfolg helfen?

Glowacz: Der damalige Nationaltrainer Jürgen Klinsmann lud mich ein, um die Nationalelf durch Vorträge zu inspirieren und ihren Horizont zu erweitern. Ich betonte die Parallelen zwischen einer Expedition und dem Turnierverlauf, wo jedes Etappenziel entscheidend ist. Wenn ich eine Weltmeisterschaft in einzelne Etappen herunterbreche und nur die nächste Etappe als großes Ziel sehe, dann steht am Ende als logische Konsequenz der Weltmeistertitel. Die Spieler konnten sich gut mit dieser Herangehensweise identifizieren und sie für sich übernehmen. Und auch Managerinnen und Manager können die Visualisierung nutzen, um schwierige Entscheidungen zu treffen, Risiken zu analysieren und Probleme frühzeitig zu erkennen.

Was treibt Sie an, immer neue Abenteuer zu suchen?

Glowacz: Ich frage mich oft: Warum interessiert mich das? Ich bin extrem ehrgeizig und glaube fest, dass Neugier die Grundlage für alles ist. Ich bin hungrig auf das Unbekannte jenseits des Horizonts – seien es fremde Länder, Kulturen oder Projekte. Und ganz wichtig: Fehler sehe ich nie als Niederlage, sondern als wertvolle Erkenntnisse. Wenn man neue Gebiete betritt, muss man Fehler zulassen können. So bewege ich mich von einer Stufe zur nächsten und finde diesen Prozess unglaublich spannend und inspirierend.