Welche Rolle spielen private Investments in nachhaltige Konzepte, um das Ziel der Bundesregierung erreichen zu können, bis 2045 klimaneutral zu sein?
Anton Hofreiter: Gerade im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien spielen private Investitionen – insbesondere auch kommunale Investitionen, die oft mit dem Privaten verknüpft sind – eine überragende Rolle. Denn die Windräder werden ja nicht vom Staat aufgestellt. Auch die Photovoltaikanlagen werden nicht vom Staat auf die Dächer montiert. Genauso gilt das für Wasserstoffnetze. Natürlich brauchen wir zudem öffentliche Investments, aber ein Großteil des Geldes muss aus der Privatwirtschaft kommen. Deswegen müssen wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich die Investitionen lohnen. Und eine der wichtigsten Maßnahmen ist, dass wir die Genehmigungszeiten endlich wieder in einen vernünftigen Bereich bekommen.
Herr Gräfer, Sie möchten als Versicherer gern vermehrt in nachhaltige Assets investieren. Mit welchen Herausforderungen sind Sie dabei konfrontiert?
Martin Gräfer: Der bürokratische Aufwand für Genehmigungen ist sehr hoch. Für eine Windkraftanlage beispielsweise brauchen Sie über 20 Ordner, gefüllt mit umfangreichen Studien und Untersuchungen. Und das deutsche Baurecht ist mit ein Grund, warum so wenig wie nie gebaut wird. Es ist das umfangreichste Baurecht weltweit. Wenn man energiebezogen energetisch bauen möchte, wenn man nachhaltig investieren möchte, dann geht es darum, vernünftig und schnell zu sein. Wir brauchen keine Subventionen, wir brauchen auch keine Rahmenbedingungen, die uns helfen zu investieren. Wir brauchen vor allem Vereinfachung und eine höhere Geschwindigkeit. Das ist nicht Aufgabe einer Regierung allein. Da muss ein Ruck durch die Gesellschaft gehen.
Welche Möglichkeiten bieten Sie Anlegerinnen und Anlegern mit Ihren Produkten?
Gräfer: Wir wollen beispielsweise den Bereich Energiegewinnung für Kunden öffnen, sodass sie in regenerative Anlagen, Sonnen-, Wasser- und Windenergie investieren, was Durchschnittssparer sonst gar nicht können. Über das Instrument der Lebensversicherung, der fondsgebundenen Rentenversicherung geht es. Und man muss dabei nicht auf Rendite verzichten. Wir haben dafür eine eigene Marke gegründet, die Pangaea Life. Unter anderem investieren wir mit einem Sachwerte-Fonds zum Beispiel in Windparks in Norwegen und Dänemark und in Solaranlagen auf der Iberischen Halbinsel. Jeder Kunde kann genau sehen, wie sein Geld nachhaltig investiert wird.
Welche Maßnahmen ergreift die Politik, um es für Anleger attraktiver zu machen, in nachhaltige Projekte zu investieren?
Hofreiter: Eine der ersten Gesetzesinitiativen ist das „Wind an Land“-Gesetz, das schon jetzt in Kraft ist. Aber es gibt weitere Planungsbeschleunigungs- und -vereinfachungsmaßnahmen. Das betrifft zum Beispiel den Naturschutz. Wer eine Windkraftanlage aufstellt, muss im Grunde nachweisen, dass diese nicht einen einzelnen Rotmilan tötet. Damit überfordern wir jeden, der darin investieren will. Wenn man diesen Maßstab zum Beispiel an die Genehmigung von Straßen anlegen würde, dann gäbe es überhaupt keine Straßen mehr. Da zeigt sich, dass im Genehmigungsrecht mit zweierlei Maß gemessen wird. Im Kampf gegen die Klimakrise sind die Standards viel schärfer geworden als in den Bereichen, die uns weniger helfen beim Klimaschutz. Wir müssen wieder das tun, worauf es im Naturschutz ankommt: Populationen erhalten. Aber wir können nicht garantieren, dass nicht ein einzelnes Tier stirbt.
Welche konkreten Vereinfachungen sind für Anlegerinnen und Anleger heute schon spürbar?
Hofreiter: Bürgerenergiegesellschaften müssen sich beispielsweise nicht mehr an aufwendigen Ausschreibungen beteiligen, wenn sie kleinere Solaranlagen oder Windparks bauen. Das hilft den Menschen, aber das hilft uns auch für die Akzeptanz vor Ort. Wenn die Menschen vor Ort wissen, das ist ihr Projekt, gibt es weniger Probleme mit Klagen. Dann wird die Maßnahme vor Ort verteidigt.
Herr Gräfer, nehmen Sie bei Ihren Kunden die Bereitschaft wahr, vermehrt in nachhaltige Produkte investieren zu wollen?
Gräfer: Unsere Kundinnen und Kunden sind absolut bereit. Es ist die erfolgreichste Produktgattung mit einer hohen Nachfrage. Wir brauchen aber auch Investitionen in Technologie. Das ist nicht Aufgabe der Versicherer. Investition in Technologie heißt, effiziente Stromgewinnungssysteme zu bauen. Wir brauchen unbedingt technologischen Fortschritt, wenn es darum geht, nachhaltiger bauen zu können.
Der letzte Aspekt: die Infrastruktur. Wir haben offensichtlich 20 Jahre nicht in die Infrastruktur investiert. Damit meine ich nicht nur Schulen und Kindergärten; ich meine auch das Verkehrswesen, insbesondere die Schiene, sowie Leitungsnetze für Energie – zum Beispiel für den Ausbau der E-Mobilität. Da wurde sehr viel versäumt, und das ist nicht nur eine Frage von Genehmigungsverfahren. Es fehlt mitunter der politische und auch der gesellschaftliche Wille, den Druck auszuüben, den es braucht.
Nachhaltigkeit ist häufig nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Was ist notwendig, um für alle Seiten mehr Transparenz zu schaffen?
Gräfer: Wir brauchen einfache Regeln, wir brauchen praxisnahe Regeln und keine neue Regulierungsflut. Es braucht, glaube ich, mehr demokratisch legitimierte Prozesse, mehr praxisnahe Prozesse und weniger Verordnungen aus Brüssel, die unsere Innovationen bremsen.
Hofreiter: Ich muss die europäische Ebene verteidigen. Die Europäische Kommission nimmt mehr Konsultationen mit Interessenvertretern wahr als viele nationale Regierungen. Aber ganz häufig – das muss man ehrlicherweise sagen – entstehen Regulierungen nicht aufgrund von zu wenigen Debatten, sondern aufgrund von sehr, sehr vielen Einflüssen. Ich glaube, es wäre klug, wenn sich innerhalb der Wirtschaft ein stärkerer Konsens bilden würde. Wollen wir wirklich, dass jeder einzelne Spezialverband seine Interessen untergebracht bekommt? Oder ist es vielleicht für uns besser, wenn wir eine weniger spezifische und einzelfallgerechte, aber für uns alle deutlich einfachere Regelung haben? Das wäre auch eine wichtige Debatte, die nicht nur in Richtung Kommission und nicht nur in Richtung Ministerien zu führen wäre, sondern die sich genauso ganz sicher innerhalb der Verbände zu führen lohnen würde.
Gräfer: Ob das der Grund ist, den Sie gerade geschildert haben, das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass zumindest der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft wirklich komplett hinter der nachhaltigen Transformation steht. Sie haben gerade ein wesentliches Stichwort genannt – und das ist Vereinfachung. Wenn wir Menschen, Konsumenten, insbesondere also Endverbraucher bewegen wollen, dann geht das eben über Einfachheit, Klarheit und Transparenz. Denn nur dann lässt sich tatsächlich viel bewegen.
Ein Thema der sozialen Nachhaltigkeit, das uns alle bewegt, ist die Altersvorsorge. In Zukunft soll auch eine Aktienrente das Rentenniveau sichern. Herr Hofreiter, welche Rolle spielt in diesem Kontext künftig die Verzahnung von staatlichen und privaten Modellen, um eine Altersabsicherung zu gewährleisten?
Hofreiter: Auf der einen Seite muss uns klar sein, dass in unserem System die gesetzliche Rentenversicherung weiter eine ganz zentrale Stütze sein wird. Wir müssen sie so aufstellen, dass sie funktioniert. Der zweite Bereich ist: Wir müssen die betriebliche Altersvorsorge attraktiv halten. Da sind einige Unternehmen in nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten. Und der dritte Bereich ist die private Vorsorge. Ich glaube, es ist wichtig, dass man solche Fehler, wie man sie zum Teil mit der Riester-Rente begangen hat, auf keinen Fall wiederholt. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass die Produkte einen möglichst geringen Verwaltungsaufwand benötigen. Und das heißt, dass ein möglichst hoher Anteil des Geldes am Ende für die Menschen Rendite erwirtschaften muss.
Herr Gräfer, welchen Beitrag kann die Versicherungswirtschaft leisten, um ihren Kunden eine aktienbasierte und gleichzeitig nachhaltige Altersabsicherung zu bieten?
Gräfer: Ich bin tatsächlich Fan der gesetzlichen Rentenversicherung mit ihrem Umlageverfahren. Was man aber nicht vergessen darf: Das ist ein demografisches Thema, das in ganz Europa verbreitet ist, in Deutschland aber besonders. Immer mehr Menschen beziehen sehr lange Rente. Die gesetzliche Rente ist darauf nicht ausgerichtet. Und die gesetzliche Rente kann darauf gar nicht ausgerichtet werden, weil sie im Umlageverfahren darauf angewiesen ist, dass möglichst viele Menschen Beiträge einzahlen.
Das heißt aber nicht, dass sie überflüssig ist, sondern sie ist eine wichtige Basis, die zu reformieren, die zu entwickeln ist. Teile davon in Kapitaldeckungsverfahren zu überführen ist eine gute Idee. Ich halte es aber für kritisch, nur auf dieses Pferd zu setzen. Ich glaube, dass die Riester-Rente eine gute Basis bietet, darauf aufbauend Dinge zu verändern: Weg von der Garantie hin zu mehr Selbstverantwortung auch für die Kunden und die private Altersvorsorge. Die Versicherungswirtschaft kann einen wichtigen Beitrag leisten. Wir zeigen, dass Rendite, Altersvorsorge und Nachhaltigkeit zusammenpassen.
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