Die Vorstellung, möglichst schnell finanziell frei oder unabhängig zu werden, dominiert im Moment einen guten Teil der Finanzdiskussionen im Netz. Einen Weg dahin, der im Moment einen gewissen Hype erlebt, ist der sogenannte Frugalismus oder Minimalismus.
Die grundlegende Idee ist erst einmal relativ sympathisch: sich klarzumachen, auf welchen Konsum man verzichten kann, bewusster zu leben und eine möglichst hohe Sparquote zu erreichen. Von 60 oder gar 80 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens ist da die Rede. Auf diese Weise soll es gelingen, möglichst früh aus dem, was als „Hamsterrad der Erwerbsarbeit“ wahrgenommen wird, auszubrechen und von sogenanntem passiven Einkommen zu leben. Sprich von Mieten, Zinsen oder Dividenden.
Der Ansatz ist erst mal deutlich Erfolg versprechender als die Patentrezepte der „Wie-werde-ich-ganz-schnell-ganz-ganz reich-Literatur“. Denn der Frugalismus geht nicht von völlig überzogenen Renditen, Autosuggestion oder unrealistischen Projekten aus, sondern operiert mit einer radikalen Absenkung des Referenzrahmens, sprich des Lebensstandards. Wer das schön findet, kann das gerne so machen. Denn was ein adäquater Lebensstil (und eine vernünftige Sparquote) ist, darüber driften die Ansichten naturgemäß weit auseinander. Das ist auch erst mal in Ordnung, da gibt es in einem relativ breiten Korridor kein Richtig oder Falsch.
Wo verläuft die Grenze zwischen Sparsamkeit und Geiz?
Trotzdem haben wir bei aller (schein-)philosophischen Überhöhung des Konzepts massive Vorbehalte: Die vermeintliche Loslösung von materiellen Annehmlichkeiten bewirkt am Ende fast zwangsweise das Gegenteil: eine Fixierung auf Geld und Konsum – wenn auch ex negativo. Die Grenze von der Sparsamkeit zum Geiz und moralinsaurer Askese ist da sehr schnell überschritten. Wenn Sie sich für ein frugalistisches Brutalsparen entscheiden, verzichten Sie auf jede Menge Lebensfreude, schlimmer, auf gesellschaftliche Partizipation, kulturelle Erfahrungen und soziale Kontakte. Insgesamt also eine ziemlich traurige Veranstaltung ‒ aber von mir aus. Spätestens dann, wenn Sie Verantwortung für Dritte, Ihren Partner, Kinder oder Ihre Eltern haben, hört der Spaß allerdings auf.
Ist Erwerbsarbeit ein Hamsterrad oder notwendiger Teil eines erfüllten Lebens?
Der Neben dem offensichtlichen Verzicht auf Lebensqualität gibt es noch einen weiteren hochproblematischen Punkt: die Grundannahme, Erwerbsarbeit sei in der Regel etwas Negatives ‒ ein Hamsterrad. Das Leben ist viel zu kurz, um 20 oder 30 Jahre einen Job zu erledigen, der keine Freude bereitet. Das Ganze mit dem Ziel, jeden Cent zu sparen. Nur um dann diesen unerfreulichen Lebensstandard möglichst frühzeitig auch ohne die ungeliebte Arbeit aufrechterhalten zu können. Meiner Meinung nach ist das ein sehr ungünstiger Deal, um Zeit in Geld und Geld zurück in Zeit zu tauschen. Letztlich steht hinter dem Frugalismus derselbe naive Fehlschluss wie hinter der „Wie-werde-ich-ganz-schnell-ganz-ganz reich-Literatur““, nämlich, dass einfach genug Geld zu haben, alle Probleme löst und glücklich macht. Nur halt auf einem niedrigeren Niveau.
Das Leben langfristig auf die Zukunft zu verschieben und die Gegenwart nur zu erdulden, ist kein überzeugender Lebensentwurf. Schon gar nicht, wenn in dieser Zukunft dann weiterhin alles relativ trist aussieht. Müsste die Aufgabenstellung nicht eher lauten, einen erfüllenden Beruf zu finden, der genügend Einkommen für ein angenehmes Leben generiert? Und wenn eine erfüllende Arbeit im Grunde etwas Wunderbares ist – warum sollte man dann überhaupt in Ruhestand gehen – egal ob mit 40, 50 oder 67? Ruhestand, Stillstand ‒ klingt das nicht schon ein bisschen nach dem Ende? Was mache ich dann konkret, um nicht schnell mental abzubauen?
Rechtzeitig Geld in Zeit tauschen
Das heißt explizit nicht, dass es erstrebenswert ist, als Workaholic zu ackern, bis man eines Tages tot umfällt. Im Gegenteil: Wenn Geld gefrorene Zeit ist, muss man mit dem Auftauen dieser Zeit nicht dringend damit warten, bis man irgendwann in Rente geht. Vermutlich ist es viel klüger, relativ früh zu versuchen, ein gutes Stück weniger zu arbeiten, mehr Urlaub zu machen, die Abende mit der Familie zu verbringen, statt auf einen vermeintlich paradiesischen Zustand hin zu schuften, der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Fata Morgana erweist.
Alles Liebe,
Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun
p.s.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch darüber, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatung und in Nikolaus Brauns Finanzratgeber:„Über Geld Nachdenken“.
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