Illustration von Männern die ein Prozentzeichen ansehen
21.05.2021    Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun
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Nachdem seit Jahren der brave deutsche Sparer (und vorsichtige Unternehmer) mit sinkenden Zinsen auf sein Guthaben drangsaliert wurden, kommt es seit einigen Monaten noch schlimmer. Was vor einigen Jahren noch undenkbar war, ist heute Realität. Auf Kontoguthaben verlangen Banken mittlerweile ab gewissen Summen fast flächendeckend Negativzinsen – euphemistisch wird von Verwahrentgelt gesprochen. Die Medien überschlagen sich mit Meldungen und Kommentaren über diese historisch einmalige Situation, bei der Sparer keinerlei Erträge mehr bekommen und enteignet werden.

Negative Realzinsen sind nichts Neues

Nostalgie bezüglich höherer Zinsen ist ziemlich unangebracht: Wenn eine Anlage keine Risiken beinhaltet, erhält der Anleger auch keine Risikoprämie. Negative Realzinsen, also ein Kaufkraftverlust nach Inflation, Kosten und Steuern, sind bei risikolosen Anlagen etwas ganz Normales und über lange historische Zeiträume in gut der Hälfte aller Jahre zu beobachten. 1975 lag der durchschnittliche Sparzins bei 4,4 Prozent, die Inflation bei 5,9 Prozent und der Spitzensteuersatz bei 56 Prozent.

Also: (4,4 % * 0,44) – 5,9 % = -3,964 %

Kolumne Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Der Anleger hatte nach Steuern fast 4 Prozent Kaufkraftverlust zu ertragen – jedes Jahr! Wenn Sie sich den Zeitraum von 1959 bis 2016 ansehen, dann müssen Sie von einem sehr moderaten Steuersatz von 20 Prozent ausgehen sowie von Kosten, die nicht höher als 0,3 Prozent waren. Nur so konnten Sie mit deutschen Geldmarktanlagen im Schnitt wenigstens 1,0 Prozent pro Jahr erzielen. Bösartig formuliert: Goldene Zinserträge waren nur in Tateneinheit mit Steuerhinterziehung möglich. Gute alte Zeit sieht anders aus.

Das ist im Übrigen auch nicht verwunderlich. Die Rendite für ein Investment wird einem nicht geschenkt und fällt auch nicht vom Himmel, sondern ist eine Prämie für eingegangenes Risiko. Wenn ich nicht bereit bin, ein Risiko zu tragen, kann ich auch keine Rendite erzielen.

Der einzige Unterschied zu früher ist, dass man sich diese Tatsache im jetzigen Umfeld nicht mehr schönrechnen kann.

Bankguthaben als Alternative bei Negativzinsen?

Vor diesem Hintergrund ist das Sparverhalten in Deutschland geradezu abenteuerlich. Studien zufolge liegen gut 40 Prozent des liquiden Vermögens auf Tages- und Festgeldkonten brach, obwohl Bankguthaben alles andere als risikofrei sind. Hier sollte man eher von zinslosem Risiko als von risikolosem Zins sprechen. Dieser Anteil ist in den letzten Jahren prozentual sogar noch gestiegen – trotz immer weiter gesunkener Zinsen.

Weitere 30 Prozent sind in kapitalbildenden Versicherungen investiert, die – um es vorsichtig auszudrücken – nur bedingt geeignet sind, um Vermögen aufzubauen. Eine Versicherung ist kein rationales Sparprodukt. Dafür ist sie viel zu unflexibel, viel zu teuer und hat eine viel zu niedrige Aktienquote. Und fangen Sie jetzt bitte nicht mit fondsgebundenen Rentenversicherungen oder (imaginären) Steuervorteilen als Argument an – diesen Unsinn werden wir uns mal in einer eigenen Kolumne ansehen.

Illustration Stefan Heringer und Dr. Nikolaus Braun

Dr. Nikolaus Braun und Stefan Heringer sind die Gründer der Neunundvierzig Honorarberatung. Ihre Kernkompetenz ist die langfristige Begleitung Ihrer Mandanten rund um die Frage wie Vermögen Lebensqualität schaffen kann. Als Vermögensverwalter der Deutschen Wertpapiertreuhand stehen Sie für finanzwissenschaftlich informierte Anlagestrategien. Braun ist zudem Autor des Finanzratgebers „Über Geld Nachdenken“.

Die unterschätzte Gefahr der Inflation

Für den Sparer ist absolute Planungssicherheit das alles entscheidende Kriterium. Er will auf die Nachkommastelle exakt kalkulieren, wie hoch sein Guthaben am Jahresende ist. Seine Angst vor Schwankungen am Kapitalmarkt ist offenbar so hoch, dass er sein Erspartes lieber kampflos der Inflation aussetzt. Die meisten Menschen unterschätzen deren langfristigen Effekt massiv. Die aktuelle Inflationsrate von 2 Prozent dauerhaft unterstellt, sinkt bei einem Kapitalstock von 1 Million Euro innerhalb von zehn Jahren die Kaufkraft auf 820.000 Euro, in 20 Jahren ist Ihr Vermögen nach heutigem Maßstab nur noch 673.000 Euro wert. Tröstlich für den neurotisch risikoaversen deutschen Sparer ist einzig, dass das Ganze wenigstens völlig risikolos passiert. Der Kaufkraftverlust durch die Inflation ist eine nackte Tatsache.

Der Ausweg wäre relativ einfach. Man muss sich vom Sparer zum Investor entwickeln. Was unterscheidet die beiden?

Ein rationaler Investor ist sich bewusst, dass es ohne das Eingehen rationaler Risiken unmöglich ist, Kapital real zu erhalten, geschweige denn zu vermehren. Er tauscht die Planungssicherheit auf sichere Zinsen gegen eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit auf langfristig deutlich höhere Erträge. Die damit einhergehenden Schwankungen muss er ertragen ‒ in der Gewissheit, dass ein marktwirtschaftlich geprägtes System dem Investor eine Rendite schuldet, die sich früher oder später manifestieren wird.

Wie Unternehmen investieren sollten

Aus Unternehmersicht ist die Sachlage natürlich etwas differenzierter als bei Privatanlegern. Eine vernünftige Liquiditätsreserve kann durchaus sinnvoll sein, um auch einmal schwierige Zeiten finanziell abfedern zu können. Das letzte Jahr mit den heftigen Verwerfungen im Zuge der Corona-Krise war ein gutes Beispiel dafür. Gut beraten war derjenige, der vorsichtig agiert hat und entsprechende Reserven im Unternehmen hatte. Darüber hinaus kann Liquidität Ihnen auch immer helfen, um unternehmerische Opportunitäten nutzen zu können.

Was wir aber aus Gesprächen mit Unternehmern auch immer wieder hören, ist der entwaffnende Satz: „Das Geld liegt noch in der Firma, weil mir nichts Besseres eingefallen ist.“ Selbst erfolgreiche Unternehmer kommen oft gar nicht auf die Idee, das Kapital zu entnehmen und privat am Kapitalmarkt zu investieren oder alternativ Anlagevermögen in der Firma aufzubauen.

Es wäre für unsere alternde Gesellschaft, in der private Vorsorge immer wichtiger wird, ein Segen, wenn mehr Menschen ihre Art zu sparen kritisch hinterfragen und beginnen würden, strategisch langfristig zu investieren. Dies gilt in gleichem Maße für kapitalmarktscheue Unternehmer, die Risiken und Segnungen der Marktwirtschaft für ihr Unternehmen täglich nutzen, aber die ‒ letztlich viel geringeren Risiken ‒ des Kapitalmarkts immer noch fälschlicherweise als eine Art Casinobesuch ansehen.

Alles Liebe,

Ihr Stefan Heringer und Nikolaus Braun

p.s.: Mehr zum Thema rationale Anlagestrategien, Strategien zum Vermögensaufbau, aber auch darüber, wie Ihr Umgang mit Geld Sie glücklicher machen kann, finden Sie im Blog der Neunundvierzig Honorarberatung und in Nikolaus Brauns Finanzratgeber:„Über Geld Nachdenken“.

 

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