Rund 115 Millionen Euro zahlt der FC Chelsea für Fußballstar Romelu Lukaku. Angemessen oder nicht? Kommt drauf an. Vergleicht man die Ablösesumme mit dem Gehalt des Greenkeepers: ein Irrwitz. Sieht man das Geld aber als Investment, das Erträge abwerfen soll, fällt das Urteil anders aus. Etwa wenn Lukaku dem Verein hilft, erneut die Champions League zu gewinnen. Das spült Geld in die Kassen. Dazu die Trikotverkäufe, neue Fans. Kann also etwas Teures trotz allem preiswert sein? Diese Frage stellen sich auch Anleger.
An der Börse geht es darum, einen Gegenwert für den aktuellen Kurs zu bekommen. In der Regel besteht der Gegenwert in Kurssteigerungen und Dividendenzahlungen. Diese sind möglich, wenn ein Unternehmen Gewinne erwirtschaften kann. Kein Wunder also, wenn die vermutlich bekannteste Bewertung von Aktien den Kurs mit dem Gewinn in Relation setzt – das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Wenn niedrige Kurse hohen Gewinnen gegenüberstehen, ist das KGV niedrig und die Aktie günstig bewertet. Und im umgekehrten Fall ist das Wertpapier eben teuer.
Sind Aktien alternativlos?
Der MSCI World lag zuletzt bei einem KGV von gut 27, Mitte 2018 waren es noch etwas über 19. Teurer als sonst: ja – aber tatsächlich auch zu teuer? Denn was wäre, wenn die Gewinne weiter wüchsen, das Unternehmen also auch künftig stetig Geld verdiente? Genau danach scheint es derzeit auszusehen. „Zwar erklommen viele Indizes neue Rekordstände“, schreibt etwa die Fondsgesellschaft DWS in ihrem „CIO View Quarterly“. „Doch stiegen auch die Gewinne stärker als erwartet.“ Für die kommenden Monate geht das Haus von noch immer im Schnitt zweistelligen Gewinnwachstumsraten aus.
Die Bank Alpinum hält in einem Bericht nüchtern fest: „Unternehmen, die mit einem guten Produktangebot im Markt breit diversifiziert sind und gute jährliche Gewinne einfahren, bleiben gute Unternehmen – auch wenn der Aktienkurs kurzfristig deutlich fällt oder aber ein Quartalsresultat nicht ganz den Erwartungen entspricht.“ Überschrift dieser Einschätzung? „Aktien bleiben trotz hoher Kurse alternativlos“. TINA lautet das Akronym – „There is no alternative“. Oder inzwischen auch TRINA. Das Steht für „There really is no alternative“. Oder gar „There really is no alternative at all“, abgekürzt TRINAA. So weit die Anlagepraxis.
Auch in der Wissenschaft sind die Börsennotierungen ein Thema. „Sowohl die Kurse als auch die Gewinne weisen Besonderheiten auf, die einen einfachen historischen Vergleich und somit eine Beurteilung erschweren“, sagt Michael H. Grote, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. Erstens ist das Zinsniveau im historischen Vergleich sehr niedrig. Niedrige Zinsen bedeuten aber, dass die zukünftigen Gewinne von Unternehmen auch nur in kleinem Maße abgezinst werden und somit die aktuellen Kurse automatisch hoch sind. Damit hängt im Moment viel von den Zentralbanken ab: Wenn diese eine striktere Geldpolitik signalisieren, wird das negative Auswirkungen auf die Aktienkurse haben. Und zweitens sind die Gewinne der Unternehmen durch die Coronakrise im Durchschnitt vergleichsweise niedrig. Für die Unternehmensbewertung viel wichtiger sind die langfristig möglichen Gewinne.
Wert – nur welcher?
Viele Experten ziehen deshalb modifizierte Kennzahlen zurate. Beispielsweise das Shiller-KGV, benannt nach dem Nobelpreisträger Robert J. Shiller. Dieses KGV basiert nicht auf dem aktuellen Unternehmensgewinn, sondern dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Der Gewinn wird so um Ausreißer nach oben oder unten bereinigt. Das Shiller-KGV zeigt derzeit eher höhere Bewertungen an. Doch Shiller selbst räumt ein, dass es bei der Geldanlage immer auch um die Alternativen geht – vor allem um Zinspapiere. Mit anderen Worten: TINA rules! Aktien sind trotz hoher Bewertungen alternativlos – zumindest statistisch betrachtet.
Für die Unternehmensbewertung viel wichtiger sind die langfristig möglichen Gewinne.
Professor Michael H. Grote, Frankfurt School of Finance & Management
Einen anderen Ansatz verfolgt das dynamische KGV. Dynamisch, weil damit das statische KGV mit dem geschätzten Gewinnwachstum vom kommenden zum übernächsten Geschäftsjahr in Relation gesetzt wird. Gewissermaßen lässt sich so abklopfen, ob ein hohes KGV auch tatsächlich durch eine attraktive Gewinnentwicklung gedeckt ist.
In manchen Fällen tun es auch die bloßen Abwandlungen des KGV nicht mehr. Etwa bei den High-Growth-Papieren. Dahinter verbergen sich vor allem Unternehmen, die hohe Wachstumssprünge zumindest einplanen – etwa Tech-Firmen mit einem neuen Ansatz. Dieser kostet am Anfang Geld, kann dem Unternehmen aber mittelfristig einen erheblichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen, der sich auch in den Bilanzen positiv niederschlagen dürfte. Ein Beispiel: Software zu entwickeln ist zunächst teuer. Es geht darum, eine Idee in die Tat umzusetzen, sie zu programmieren und zu testen, immer wieder. Aber wenn der Verkauf erst einmal läuft, stehen kaum weitere Kosten an. Und jeder Verkauf steigert den Gewinn.
Nun mag das KGV solcher Unternehmen hoch sein. Doch angesichts ihrer Wachstumschancen ist das nicht ausschlaggebend, weshalb Tech-Investoren wie der Digital Leaders Fund stattdessen zusätzlich Kennzahlen wie die „Rule of 40“ zur Bewertung nutzen. Dieser Regel zufolge müssen die Wachstumsrate des Umsatzes und die Gewinnmarge zusammen mindestens 40 Prozent ergeben. Man könnte sagen, bestimmte Papiere sind aus gutem Grund teuer. Hauptsache, dieser Grund ist gut genug. Das Fondshaus M&G schreibt daher mit Blick auf Growth-Aktien sinngemäß: Die Bewertungen sind nur durch das Nullzins-Umfeld gerechtfertigt.
Der Preis ist, was du bezahlst. Der Wert ist, was du kriegst.
Warren Buffett, Star-Investor
Gold mit Prämienkosten
Die Frage des Preises stellt sich aber nicht nur bei Aktien, sondern ebenso bei Gold. Immerhin begann das seinen Höhenflug, nachdem der Preis für die Feinunze zwischen 1990 und 2005 stetig um die 300 Dollar schwankte. Inzwischen hat Gold längst die Schwelle zu 1.600 Dollar überschritten. Ist Gold damit zu teuer, weil vielleicht keine weiteren Aufwärtsbewegungen möglich sind? Wenn man es als Investment betrachtet, vielleicht. Allerdings muss das nicht die einzig mögliche Sichtweise sein. Eugen Weinberg etwa, Leiter des Rohstoff-Researchs der Commerzbank, betrachtet das Edelmetall auch als Versicherung. Eine Versicherung zum Beispiel gegen einen massiven Kursrutsch. Und der Preis sind die Prämien, die man eben zu zahlen hat. Für Privatanleger eine wichtige Lektion: Allein der Blick auf den Preis hilft nicht dabei, eine Investitionsentscheidung zu treffen – aber er ist Teil des Entscheidungsprozesses.
Auf die Fußballwelt übertragen bedeutet das vor allem: Die Ablösesummen erreichen vielleicht neue Rekordhöhen. Aber dem stehen etwa Einnahmen aus Fernsehgeldern gegenüber oder aus Trikotverkäufen. Nach Corona möglicherweise wieder steigend. 115 Millionen Euro für Lukaku? Können damit eben doch preiswert sein.