Die Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main.
04.10.2021    Arne Gottschalck
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Erinnert sich noch jemand an die „Ever Given“? Das war der Frachter, der den Suezkanal blockierte und damit dafür sorgte, dass internationale Lieferketten gesprengt wurden. Oder an den Fall Evergrande, der erst kürzlich die Angst vor einem Börsenknall in China schürte? Die meisten Anleger offenbar nicht, denn die Börsen stehen immer noch sehr gut da. Lautet die Erklärung „TINA“?

Regiert TINA noch immer?

Hinter dem Schlagwort TINA steckt das Akronym, „There Is No Alternative“, es gibt keine Alternative zu Aktien. Damit wird gern eine etwas flapsige Begründung für den Höhenflug an den Börsen gegeben, trotz der jüngsten Turbulenzen. Ist es so einfach? „Das ist schon ein wesentlicher Faktor“ sagt Manfred Schlumberger, Vorstand und Leiter Portfoliomanagement von StarCapital. „Als ich vor 30 Jahren mit der Geldanlage begonnen habe, gab es für zehnjährige Bundesanleihen noch sieben Prozent Zinsen. Heute? Steht unter dem Strich sogar ein Minus. Und mehr noch: 85 Prozent der US-Hochzinsanleihen sind niedriger als die Inflation verzinst – und das ist schon das höchste Risiko, das man in Sachen Anleihen eingehen kann.“

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Die Macht der Zentralbanken

Wie lange kann das noch so weiter gehen? „Die Notenbanken haben eine unglaubliche Macht über die Märkte gewonnen, die sie vor zwanzig bis dreißig Jahren nicht hatten“, sagt Schlumberger. Bedeutet: Von der Seite der Zentralbanken, der monetären Seite, gebe es keine Bedenken.  „Dummerweise verdüstert sich das Bild auf der fundamentalen Seite. Nächstes Jahr wird die Konjunktur runterkommen, das sehen wir deutlich in China. Die Einkaufsmanagerindizes als Frühindikatoren notieren dort schon unter der Marke von 50.“ Mit einem Wert über 50 signalisiert der Indikator einen Aufwärtstrend, unter 50 eine Schwächung der Wirtschaft. Zu spüren bekommen werde man das vor allem in Europa.

Am DUP Digital Business Talk nahm teil:

  • Manfred Schlumberger, Vorstand und Leiter Portfoliomanagement, Starcapital AG

Moderation: Arne Gottschalck, DUP UNTERNEHMER

Der Unterschied zwischen Preis und Wert

„Preis zahlt man, Wert bekommt man“, sagte sinngemäß Warren Buffett. Ist es noch so einfach? „Der Preis steht drauf, das ist in der Tat einfach“, sagt Schlumberger. „Aber der Wert, das ist die Herausforderung. Wie messe ich den Wert eines Unternehmens – das ist schwieriger geworden im Lauf der Zeit.“ Buchwert, Kurs-Gewinn-Verhältnis? Reicht nicht mehr aus. Heute werde auch die Bilanzqualität gemessen. Und dennoch kämen unterschiedliche Ergebnisse zustande. „Aber das sorgt auch für Bewegung an der Börse.“ Einfach, weil jeder Anleger von seiner Bewertungsmethode überzeugt ist und nur dann zugreift, wenn sie ihm die entsprechenden Signale sendet und der zu zahlende Preis niedriger ist als der Wert des Unternehmens.

Haben die FAANG-Aktien noch Potenzial?

Er gilt als einer der teuersten Sätze der Geldgeschichte: „this time it’s different“, diesmal ist alles anders. Geäußert wird er immer dann, wenn die Börse vermeintlich in eine andere Ära einbiegt. Schlumberger winkt ab: „Das menschliche Verhalten wird sich nicht ändern, wir neigen dazu Trends lange fortzuschreiben und sind dann überrascht, wenn es mal dreht.“ Beispiel FAANG-Aktien, die populären Papiere von Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google, inzwischen Alphabet. „Diese Papiere sind alle schon extrem teuer“, sagt Schlumberger. „Aber wenn ich die Bewertung etwa mit denen in der Tech-Blase vergleiche, war es damals noch viel teurer. Es kann also noch weiter nach oben gehen.“ Bis es irgendwann nicht mehr geht.

Eine Generation ohne „Telekom-Schock“

Profitieren von den steigenden Börsenkursen eigentlich mehr Deutsche – immerhin gibt es Zahlen, die andeuten, dass sich wieder eine deutsche Aktienkultur entwickelt? Telekom und Manfred Krug, anyone? Der Schauspieler hatte Ende der 90er Jahre Reklame für den Börsengang des Unternehmens gemacht und wurde so zum Gesicht einer aufkeimenden Börsenkultur in Deutschland. Und tatsächlich, jetzt gibt es eine „neue Generation ohne den Telekom-Schock“, sagt Schlumberger. Der Schock? War der Kursrutsch der Papiere Anfang der 2000er Jahre, als der Wert der Aktie von 100 auf 10 Euro fiel. Für etliche Börsenexperten ist das eine der Ursachen für die deutsche Börsenabstinenz. „Wenn sich diese Einstellung ändert, finde ich das positiv“, sagt Schlumberger. Sofern die Menschen nicht ins andere Extrem springen und gleich spekulative Geldanlage betreiben. Auch wenn der Gedanke angesichts des TINA-Regimes durchaus verführerisch sein mag.

04.10.2021    Arne Gottschalck
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