Das Unvorstellbare ist Realität geworden: Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht vor den russischen Truppen. Die Eskalationsspirale dreht sich immer weiter. Russlands Präsident Wladimir Putin versetzte gar seine „Abschreckungskräfte“ in Alarmbereitschaft, die auch über Atomwaffen verfügen.
Ukraine-Krieg sorgt für Marktverwerfungen
Auf der anderen Seite verhängt die Weltgemeinschaft immer härtere Sanktionen. Der internationale Handel mit Russland ist größtenteils zum Erliegen gekommen. An den Finanzmärkten blieb die Panik bislang aus, dennoch geben Aktien auf breiter Front nach. Die Nervosität der Börsianer ist hoch.
„Kaufen, wenn die Kanonen donnern. Verkaufen, wenn die Violinen spielen“, ist eine der bekanntesten Börsenweisheiten. Sie wird dem Bankier Carl Mayer von Rothschild zugeschrieben, der diesen Spruch Anfang des 19. Jahrhundert geprägt haben soll. Gemeint ist das antizyklische Investieren: Gekauft wird, wenn Panik an den Börsen herrscht und die Kurse im Keller sind. Und andersherum gilt es genau dann zu verkaufen, wenn die Euphorie an den Märkten überschwappt.
Jetzt erst recht ins Depot schauen
Doch ist es moralisch überhaupt vertretbar, auf das Depot zu schauen, wenn nicht einmal zwei Flugstunden entfernt unschuldige Menschen sterben? „Krieg als Gewinnchance? Das ist natürlich zynisch“, schreibt die Wirtschaftsethikerin Dorothea Baur in einem Beitrag für die Finanzplattform „elleXX“. Doch aus ihrer Sicht ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um sich mit seinen Investments auseinanderzusetzen. Passen sie noch zu den eigenen ideellen Werten?
Wer etwa auf nachhaltige Geldanlagen setzt – die sich großer Beliebtheit erfreuen – kann davon ausgehen, dass mit den Ersparnissen keine Streumunition oder Minen produziert werden. „Der Ausschluss von Waffen aus dem Portfolio ist der kleinste gemeinsame Nenner der gesamten ESG-Szene“, so Baur. Das gelte für aktive wie passive Investments.
MSCI World enthält keine russischen Aktien
Und bei den ebenfalls sehr beliebten ETF auf den weltweit investierenden MSCI World Index sind nach Angaben der Ratingagentur Scope keine russischen Aktien enthalten. „Im breiter aufgestellten MSCI All Country World Index ist die Russland-Quote mit 0,4 Prozent sehr gering. Selbst im MSCI Emerging Markets Index spielt Russland mit einem Anteil von 3,2 Prozent nur eine geringe Rolle“, sagt Barbara Claus von Scope Analysis. Rüstungsunternehmen können dagegen enthalten sein.
Auch abseits der moralischen Frage, ist es zweifelhaft, ob sich die Börsenweisheit „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“ auszahlt. Schließlich ist es selbst für institutionelle Investoren kaum abzusehen, wann die Aktienkurse ihren Tiefpunkt erreicht haben. Denn „ins fallende Messer greifen“ – noch so ein Spruch vom Börsen-Stammtisch – möchte niemand.
Der Vermögensverwalter HQ Trust hat etwas genauer hingesehen und die Kursentwicklung des deutschen Leitindex Dax seit 1970 analysiert. Die „donnernden Kanonen“ hat das Family Office dabei als Kursschwankungen (Volatilität) der vergangenen 20 Handelstage definiert, das „fallende Messer“ als Momentum, also den Ertrag der vergangenen 20 Handelstage.
„Auf längere Sicht war das fallende Messer mit stark fallendem Momentum für Anleger kein guter Einstiegszeitpunkt: Der Minderertrag lag im Schnitt bei 224 Basispunkten“, sagt Sven Lehman, Fondsmanager bei HQ Trust. „Deutlich besser sah es in der Historie aus, wenn die Volatilität niedrig und das Momentum positiv war: In diesen Fällen konnten Anleger im Schnitt eine Überrendite von mehr als 300 Basispunkten erzielen.“
Hohes geopolitisches Risiko bringt keine hohe Rendite
Auch zu der Frage, ob sich ein Einstieg dort lohnt, wo die Kanonen donnern, hat Lehman eine eindeutige Antwort: „In Länder mit einem hohen geopolitischen Risiko zu investieren, wird nicht mit einer überdurchschnittlichen Rendite belohnt.“ Im Gegenteil: Die beste Performance erzielen Länder mit einem niedrigen Risiko. Für die Analyse hat HQ Trust die Kursentwicklung in 38 Staaten seit 1994 untersucht.
Das Fazit für Anleger: Ruhe bewahren. Oder wie es der Fondsverband BVI ausdrückt: „Beim Sparen ist Gelassenheit auch in Krisenzeiten wichtig.“ Wer mit einem Sparplan monatlich Geld in weltweit investierende Fonds steckt, hat seit 1996 – und damit trotz Irak-Krieg 2003 und Corona-Kurseinbruch im März 2020 – ein Plus nach Kosten von 6,9 Prozent pro Jahr verbuchen können.