Spielzeugsoldaten in grüner Farbe haben sich rund um einen grünen Panzer versammelt.
18.07.2022    Mark Simon Wolf
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Zur Person

Porträt von Christian Walter, CEO und Gründer von SedaiNow.

Christian Walter

ist Gründer und CEO des Berliner Start-ups SedaiNow, einem Anbieter von ESG-Software, die Unternehmen beim nachhaltigen Wirtschaften unterstützt. Walter hat SedaiNow zusammen mit Kaspar Neftel 2022 gegründet

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Porträt von Rüdiger Senft, Mitglied im Advisory Board des Berliner Start-ups SedaiNow und Geschäftsführer der Beratung Sustainability-Advisory.com

Rüdiger Senft

sitzt im Advisory Board des Berliner Start-ups SedaiNow. Zudem ist er  Geschäftsführer der Beratung Sustainability-Advisory.com. Zuvor war er als Banking Advisor bei den Vereinten Nationen tätig und als Head of Sustainability der Commerzbank sieben Jahre lang für deren Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich

Wie verstehen Sie die EU-Taxonomie?

Rüdiger Senft: Die EU-Taxonomie definiert, was grün und was nachhaltig ist. Für Unternehmen ist es eine Systematik, an der sie sich orientieren können, um nachhaltiger zu werden. Für Investorinnen und Investoren dient sie als ein Ratgeber dafür, wo Kapital nachhaltig angelegt werden kann. Das der Taxonomie zugrunde liegende Nachhaltigkeitsversprechen steht für Zukunftsfähigkeit.

Christian Walter: Ich würde noch ergänzen, dass sie durch ihre Transparenz Vergleichbarkeit zwischen den Marktteilnehmenden schafft. Oftmals sind prall gefüllte Fonds für viele Investorinnen und Investoren eine Blackbox. Durch die Taxonomie werden als nachhaltig eingestufte Finanzprodukte transparenter.

Wie bewerten Sie den Schritt des EU-Parlament, das unlängst mit einer großen Mehrheit beschlossen hat, Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie aufzunehmen und sie offiziell als nachhaltig zu labeln?

Senft: Ich kann die Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen, da sie jeglicher Logik entbehrt. Sie verwässert die Taxonomie, die im Kern eigentlich sehr stringent ist. Die Prozesskette bei Atomkraft reicht von der Urangewinnung bis zur ungelösten Endlagerfrage. Hier kann man nur zu dem Urteil gelangen, dass gegen die Systematik der Taxonomie verstoßen wird, allein schon durch die Umweltschädigungen in den Uranminen.

Walter: Und das gilt natürlich im gleichen Maße für Gas, dessen Nutzung nachweislich einen erheblichen CO2-Ausstoß zur Folge hat. Außerdem hat die EU vor dem Hintergrund des Überfalls von Russland auf die Ukraine und dem damit verbundenen, von vielen Seiten geforderten Embargos von Gas aus Russland eine große Chance verschenkt. Hier hätte man sich erstens glaubwürdig positionieren und zweitens einen großen Schritt in Richtung des ehrlichen Bestrebens nach Gasunabhängigkeit tätigen können.

Sind die ESG-Kriterien dadurch noch glaubwürdig?

Walter: Die EU-Kommission verliert als Institution an Glaubwürdigkeit. Allerdings liegt es trotz dieser Irreführung auch bei den Marktteilnehmenden, ihre Aktivitäten zu hinterfragen. Für Unternehmen gilt Eigenverantwortung umso mehr. In Bezug auf Gas unterliegen alle Firmen, die Erdgas für ihre Produktion benötigen, einem materiellen Risiko. Wer sich nicht diversifiziert hat, bekommt schnell ein existenzielles Problem, wenn der Betrieb stillsteht. Dann spielt es auch keine Rolle, ob Gas nun in der Taxonomie berücksichtigt wird oder nicht.

Senft: Dem stimme ich zu. Jede Unternehmensführung muss sich überlegen, wie sie ihre Nachhaltigkeitsagenda umsetzt. Seien es nun die drei ESG-Dimensionen oder die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Jedes Management sollte sich im Klaren darüber sein, welche negativen Auswirkungen seine Geschäfte auf die Umwelt und auf die Gesellschaft haben. Sicher macht das Label „taxonomiekonform“ Atomkraft und Erdgas nicht weniger kontrovers. Lediglich die ursprüngliche Idee der EU-Taxonomie wurde dadurch verwässert.

Was müssen Anlegerinnen und Anleger nun beachten?

Senft: Für Anlegerinnen und Anleger, aber auch für alle anderen Player am Markt wird es deutlich komplizierter. Wer künftig investieren will, aber Erdgas und Atomkraft ablehnt, kann sich nicht mehr an der EU-Taxonomie orientieren. Auf der anderen Seite: Wenn Sie in einen Mischkonzern investieren möchten, müssen Sie sich auch jetzt schon mit den verschiedenen Geschäftszweigen vertraut machen. Nur so können Sie ausschließen, dass sie etwas unterstützen, was nicht Ihren Werten entspricht.

Der Ukrainekrieg hat auch eine Diskussion darüber ausgelöst, ob die Rüstungsindustrie unter die Taxonomie fallen sollte. Das Argument: Ohne eine stabile Landesverteidigung ist keine Nachhaltigkeit möglich. Finden Sie dieses Argument nachvollziehbar?

Senft: Ich bin nicht der Meinung, dass wir Rüstungskonzerne im Rating als nachhaltig deklarieren sollten. Wir müssen uns auch hier die Frage stellen, ob Rüstungskonzerne positiv auf die EU-Agenda für Nachhaltigkeit wirken oder nicht. Denken Sie an Klimaschutz, Gewässerschutz, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft, um nur ein paar Themen zu nennen. Überall lautet die Antwort nein. Rüstungsgüter sind per se nicht nachhaltig.

Walter: Es ist schließlich auch eine Frage der Transparenz. Aktuell hält die Konzerne der Rüstungsbranche auch nichts davon ab, ihre Kriterien für Governance und Soziales so zu überarbeiten und entsprechend anzugleichen, dass sie ESG-konform wären. Und selbst dann wäre es in diesem Bereich eine Frage des moralischen Kompasses: Waffen sind am Ende dafür da, um Menschen in irgendeiner Form Schaden zuzufügen. Aber natürlich ist es wiederum für andere moralisch korrekt, in Waffen oder Rüstungskonzerne zu investieren, weil man sich selbst verteidigen möchte. Unabhängig davon ist es aber nicht ökologisch nachhaltig – egal ob es dem Angriffs- oder dem Verteidigungszweck gilt.

Nachdem das deutsche Parlament Waffenlieferungen genehmigt und ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bewilligt hat, haben sich einige Finanzinstitute in Stellung für Investitionen gebracht. Erleben wir im Finanzsektor künftig eine Renaissance der Rüstungsindustrie?

Senft: Deutschland hat eine der größten Rüstungsindustrien weltweit, sodass dort selbstverständlich lukrative Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten warten. Doch es geht dabei nicht nur um Panzer, sondern auch um Investitionen in den Hightech-Bereich, zum Beispiel Sensortechnik für Aufklärungsdrohnen. Da ist es ganz normal, dass sich entsprechende Player am Markt positionieren.

Walter: Die Diskussion ist niemals nur schwarz-weiß. Wenn wir über Unternehmen sprechen, geht es auch immer um Arbeitsplätze. Oftmals ist ein Kredit dann ein Kriterium, ob 2.000 Leute ihren Arbeitsplatz behalten oder nicht. Diese Abwägung ist im sozialen Aspekt der ESG-Kriterien berücksichtigt.

Verstärkt eine Aufnahme derartiger Branchen in die EU-Taxonomie die Gefahr einer Blase bei ESG-Anlagen?

Senft: Wenn das tatsächlich passiert, taugt die EU-Taxonomie nicht mehr zur Orientierung in Bezug auf Nachhaltigkeit. Dann würden wir wieder dazu übergehen, dass jedes Institut seine eigenen Analystinnen und Analysten beschäftigt, die ihre eigenen Abwägungen treffen.

Walter: Ich glaube auch nicht an eine Blase. Ich denke, dass in fünf Jahren mehr als ein Drittel der weltweiten Investitionen auf ESG-Analysen basieren werden. Das wird ein Hygiene-Faktor für den Markt. Die Bewegung wird kommen und zum Standard werden, nicht nur in Europa. Die UN-Finanzinitiative „Princples for Responsible Investments“, kurz PRI, wächst an Teilnehmern. Der gesamte Kapitalmarkt geht in diese Richtung.

Sind die ESG-Kriterien noch zeitgemäß beziehungsweise benötigen sie eine zugespitzte Überarbeitung?

Walter: Mit der Frage, welche Risiken Unternehmen oder Geschäftsfelder für die Umwelt bedeuten, gehen wir in die richtige Richtung. Und dennoch ist diese Frage oftmals nicht Realität der Unternehmen, weil es kein direktes finanzielles Risiko darstellt. Oder hat es für McDonalds eine große Rolle gespielt, wieviel CO2 sie ausstoßen? Durch Maßnahmen wie das Lieferkettengesetz entwickelt sich aber auch die EU weiter. Und ganz hinten am Horizont ist Impact Investing erkennbar. Die ESG-Aktivitäten der EU schaffen eine Grundlage, um alles weitere künftig zu ermöglichen.

Wenn sich das Schritt für Schritt ausbauen lässt und alle Verordnungen und Regulierungen irgendwann ineinandergreifen, werden wir am Finanzmarkt in puncto Nachhaltigkeit eine Situation haben, die ähnlich oder noch viel stärker sein wird, wie es beim Datenschutz die DSVGO geschaffen hat. Hier gehen Mechanismen allen ein bisschen auf den Keks, aber sie schaffen Transparenz. Und das wird auch auf dem Finanzmarkt kommen. Insofern sind die ESG-Kriterien nur der Anfang. Die junge Generation, die 18- bis 30-Jährigen, werden diese Entwicklung vorantreiben.

Also würden Sie sagen, dass ein regulierter nachhaltiger Finanzmarkt eine Generationenfrage ist?

Walter: Diese Generation setzt sich zumindest mit einem anderen Bewusstsein in puncto Klimaschutz mit dieser Thematik auseinander. Sie fordert Nachhaltigkeit und einen stärkeren Diskurs innerhalb der Gesellschaft. Dieses Engagement und dieser differenzierte Blick auf Fragen der Umwelt, das Sozialwesen und die Verantwortung der Menschen wird der Treiber für Weiterentwicklung sein – auch und besonders für einen nachhaltigen Finanzsektor.

Welche weiteren Treiber für eine Veränderung sehen Sie?

Walter: Das deutsche Wort Nachhaltigkeit wird oft nur auf den grünen Aspekt reduziert. Das englische Wort Sustainability ist umfassender. Es steht im Endeffekt für „operative Exzellenz“ und bezieht sich auf alle Geschäftsfelder eines Unternehmens. Es geht also darum, dass durch Optimierung auch monetäre Gewinne erzielt werden. Die EU-Taxonomie und alle weiteren Regulierungs- oder Orientierungsvorgaben bedeuten, sich in diese Richtung weiterzuentwickeln. Planet, people, profit, also Umwelt, Menschen, Profite – in dieser Reihenfolge spielt sich künftig Nachhaltigkeit ab.

Welche Rolle spielt der Active-Ownership-Ansatz – sprich: die Möglichkeit, über Teilhabe an Unternehmen strategische Entscheidungen direkt zu beeinflussen?

Walter: Das ist ein spannender Ansatz, weil es konträr zu den Exklusionisten steht, die andere oder fachfremde Auffassungen nicht zulassen. Wenn man aber in ein Unternehmen reingeht, um langfristig etwas zu verändern, ist der Active-Ownership-Ansatz der bessere Weg. Das gilt auch für Öl- und Gasunternehmen. Auch wenn diese nicht nachhaltig sind, können wir dort nur etwas verändern, wenn wir sie aktiv zum Teil der Lösung machen. Denn ohne sie können wir derzeit auch noch nicht.

18.07.2022    Mark Simon Wolf
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