Innovation plus Digitalisierung ergibt Nachhaltigkeit
28.04.2021    Madeline Sieland
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Ein gutes Gewissen kostet Geld? Wer sich nachhaltig ernähren und kleiden, klimafreundlich heizen und mobil sein will, zahlt drauf. Zumindest noch. Denn geht es nach Microsoft-Gründer Bill Gates, ist mit diesen Ökozuschlägen – dem „Green Premium“, wie er es nennt – in absehbarer Zeit Schluss. Beziehungsweise muss damit Schluss sein. Denn solange nachhaltige Produkte mehr kosten als nicht-nachhaltige, werden sie im Zweifel auch nicht gekauft – oder nur von einer Minderheit, die sich diese Mehrkosten leisten kann.

Ambitionierte Klimaziele erreichen

Vor diesem Hintergrund fordert Anish K. Taneja, President und CEO der Region Europe North beim Automobilzulieferer Michelin, in der digitalen Talkshow DUP Digital Business Talk: „Wir müssen die Balance finden zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und Produkten, die unsere Kunden auch bezahlen können.“ Denn eine Minderheit wird am Ende nicht ausreichen, um die Erderwärmung – wie 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart – auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch für Gates geht das nicht weit genug: „Wenn wir uns das Ziel setzen, unsere Emissionen nur zu reduzieren, sie aber nicht zu eliminieren, wird das nicht ausreichen – das einzig vernünftige Ziel ist die Null“, schreibt Gates in seinem Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“.

Treibhausgase vollständig eliminieren – das ist ein ambitioniertes Ziel. Aktuell werden weltweit jährlich 51 Milliarden Tonnen Treibhausgase freigesetzt. Von 51 auf null – und das bis 2050. Gates’ Lösung: (digitale) Technologie. „Wir verfügen schon jetzt über einige der Werkzeuge, die wir dafür benötigen – und was jene angeht, über die wir noch nicht verfügen, bin ich optimistisch, dass wir sie erfinden, einsetzen und eine Klimakatastrophe verhindern können, wenn wir nur schnell genug handeln“, schreibt Gates.

Was heißt nachhaltig?

Gemeinhin wird Nachhaltigkeit zwar zuallererst mit Umwelt- und Klimaschutz gleichgesetzt. Doch das ist zu kurz gedacht. „Nachhaltigkeit ist wahnsinnig subjektiv“, sagt Jan Köpper von der GLS Gemeinschaftsbank.

Laut Duden gilt als nachhaltig, was eine „längere Zeit anhaltende Wirkung“ hat. So weit die Theorie. In der Praxis hat der Begriff drei Dimensionen, die der Forstwirt Hans Carl von Carlowitz bereits 1713 prägte. Er sprach im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft vom Dreieck aus ökologischem Gleichgewicht, ökonomischer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit.

Diese drei Dimensionen spiegeln sich auch in den „Sustainable Development Goals“ (SDGs) der Vereinten Nationen (UN) wider. Diese gehen aber noch weit darüber hinaus. 2015 hat die UN 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Alle Staaten, aber auch Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgefordert, ihr Tun und Handeln danach auszurichten. Die Ziele reichen von „Armut in jeder Form und überall beenden“ und „Gesundheit und Wohlergehen sichern“ über „hochwer­tige Bildung weltweit sicherstellen“ und „Gleichstellung von Frauen und Männern“ bis hin zu „nachhaltig produzieren und konsumieren“ sowie „weltweit Klimaschutz umsetzen“. Lokale Initiativen rund um den Globus sollen sicherstellen, dass die 17 UN-Ziele bis 2030 erreicht werden.

Warum jetzt?

Dass der vom Menschen gemachte Klimawandel die größte Bedrohung für den Planeten und alle Lebewesen ist – das ist beileibe keine neue Erkenntnis. Schließlich legte der US-amerikanische Politiker und Umweltschützer Al Gore mit dem Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ bereits 2006 den Finger in die offensichtliche Wunde. Doch warum dauerte es danach noch einmal 15 Jahre, bis das Thema Nachhaltigkeit Mainstream auch in der unternehmerischen Praxis wurde?

Lara Obst ist Gründerin von THE CLIMATE CHOICE. Das Start-up steht im Vergleich zu Gates, der einst den Giganten Microsoft schuf, am anderen Ende des Spektrums der Menschen und Unternehmen, die doch eines vereint: Sie haben Nachhaltigkeit im Fokus. Obst unterstützt Unternehmen dabei, Maßnahmen zu identifizieren und umzusetzen, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern. Beim CLIMATE TRANSFORMATION Summit am 10. und 11. Juni teilen Unternehmensvertreter und Experten ihre Erfahrungen rund um die Klimatransformation.

„Die letzten zwölf Monate waren geprägt durch Krisenmanagement und Anpassung an unsichere Vorgaben“, resümiert Obst. „Doch 2020 war auch das Jahr der Klimatransformation. Über 1.000 internationale Konzerne setzten sich wissenschaftlich basierte Klimaziele.“ Sie sieht vor allem drei Treiber dieser Entwicklung: 

  • die Politik: Das Pariser Abkommen von 2015 hat zu Preisen für Umweltgüter wie CO2 geführt, die zuvor kostenlos waren. Dadurch müssen Unternehmen bei ihrer Nutzung einen Kostenanstieg einkalkulieren. 
  • die Märkte: Klimarelevante Lösungen nehmen zu – sei es im Energie-, Mobilitäts- oder Immobiliensektor. Gleichzeitig verlangen Verbraucherinnen und Verbraucher Nachhaltigkeit und sind bereit, mehr dafür zu bezahlen.
  • die Unternehmen: Die Ratifizierung der Pariser Ziele fiel auf 2020. Dieses nahmen neben Regierungen auch Unternehmen zum Anlass, um ihre Klimastrategie zu überdenken.

Kurzum: Wir verfügen heute schlichtweg über Technologien, die wir vor 15 Jahren noch nicht hatten. Und: Politik, Verbraucher, aber auch Investoren üben Druck auf Unternehmen aus. „Was mich als Investor, aber auch als Unternehmer umtreibt, ist die Idee der Weiterentwicklung des Finanzkapitalismus hin zu einem Impact-Kapitalismus“, sagt beispielhaft Fabian Heilemann. Er ist Partner bei Earlybird, einer der führenden europäischen Venturecapital-Firmen. „Das Unternehmen ist nicht nur dazu da, finanziellen Profit zu maximieren, sondern es muss Gesellschaft und Umwelt ernsthaft als Stakeholder anerkennen.“

Digitalisierung – das Mittel zum Zweck

Dass Nachhaltigkeit und Profit kein Widerspruch sein müssen, zeigt eine Auswertung der „Science Based Targets Initiative“, die unter anderem von der UN und dem WWF getragen wird. Sie hat berechnet, dass durch Maßnahmen für den Klimaschutz die globalen Unternehmensprofite jedes Jahr um 26 Billionen US-Dollar steigen könnten; in den kommenden zwölf Jahren könnten so 65 Millionen neue Jobs entstehen.

Zahlen, die verdeutlichen: Als Unternehmer nachhaltig zu sein, zu denken, zu handeln hat längst nicht mehr primär etwas mit Idealismus und dem Willen zur Weltverbesserung zu tun. Sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen ist unternehmerische Pflicht, zeugt von ökonomischer Vernunft und ebnet den Weg in die Zukunft. Das gilt vor allem dann, wenn Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen.

„Transformation geht nur über den technologischen Fortschritt, nicht über Verbote“, betont beispielsweise Jörg Eigendorf, der Sprecher der Deutschen Bank. Und die Klimaeffekte von digitaler Technologie sind enorm, wie eine Bitkom-Studie zeigt: Mit ihrer Hilfe könnten die CO2-Emissionen in Deutschland bis 2030 um bis zu 151 Megatonnen reduziert werden. Nach heutigem Stand wären das 58 Prozent der Einsparungen, die nötig sind, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht. 

Green oder Blue?

Die einen wollen eine Green Economy, andere plädieren für eine Blue Economy. Gemeint sind zwei Wirtschaftsformen, die eines gemeinsam haben: Nachhaltigkeit steht im Fokus. Doch erreicht werden soll sie auf unterschiedlichen Wegen.

Bei der Green Economy sorgen technologische Innovationen für mehr Nachhaltigkeit; das Wirtschaftssystem selbst wird nicht grundsätzlich verändert.

Bei der Blue Economy ist das etwas anders. Das „Blue“ bezieht sich auf die Farbe der Erde vom Weltall aus betrachtet. Der Begriff wurde von Ecover-CEO Gunter Pauli geprägt. Seiner Ansicht nach reicht es nicht, an der einen oder anderen Stelle Emissionen einzusparen; Wirtschaft muss neu gedacht werden. Dabei nimmt sich Pauli ein Vorbild an der Natur, deren Kreisläufe als effizient gelten, da aus allem der maximale Nutzen gezogen und nichts verschwendet wird. Blue Economy bezeichnet also eine Kreislaufwirtschaft. Es gilt, lokal vorhandene, regenerative Ressourcen über Innovationen effektiv einzusetzen. Das Ziel: Abfall und Emissionen auf null reduzieren.

Bis 2030 sollen die Treibhausgase in der Bundesrepublik um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken; die EU will bis 2050 zudem klimaneutral werden – als erster Kontinent überhaupt. „Der Klimawandel wird für Deutschland eine größere Herausforderung als die Wiedervereinigung“, ist Philipp Schröder, CDU-Bundestagsabgeordneter und Ex-Tesla-Manager, überzeugt. Gemeinsam mit Parteikollegen hat er kürzlich die „KlimaUnion“ gegründet. Das Ziel der Gruppe: die Klimapolitik bei den Christdemokraten vorantreiben, um den notwendigen Wandel mitgestalten zu können. Ein weiteres Zeichen unserer Zeit.

Die Schattenseiten der Digitalisierung

Laut Bitkom-Studie hätte die Digitalisierung die größten Klimaeffekte in der industriellen Fertigung, im Bereich Mobilität und im Energiesektor. „Wir brauchen eine konsequent klimaorientierte Digitalstrategie. Mithilfe digitaler Technologien können wir enorme Mengen CO2 einsparen und gleichzeitig unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und unsere Krisenresilienz steigern“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Technologie gut, alles gut in Sachen Klima? Ganz so einfach ist die Rechnung leider nicht. Denn Digitalisierung hat eine Schattenseite: „Eine Einsparung durch Technologisierung kann an anderer Stelle zu mehr Energieverbrauch führen und somit eine negative Rückkopplung, den Rebound-Effekt, auslösen“, mahnt Alexander Britz, Head of Digital Transformation & AI bei Microsoft. 

Und auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen betont, Digitalisierung biete „viele Chancen beim Klima- und Ressourcenschutz. Doch ohne klare Rahmenbedingungen könne sie auch als ‚Brandbeschleuniger‘ des steigenden Energie- und Ressourcenbedarfs sowie der Treibhausgas-Emissionen wirken.“

Um es kurz zu machen: Alles, was irgendwie digital ist, erzeugt Daten. Diese Daten müssen nicht nur möglichst schnell von A nach B transportiert werden, sie müssen auch irgendwo gespeichert werden. Und beides frisst Energie.

Beim Datentransport ruht viel Hoffnung auf dem neuen Mobilfunkstandard 5G. „Pro übertragenem Datenvolumen werden durch 2G- bis 4G-Mobilfunknetze heute Emissionen von etwa 30,3 g CO2-Äquivalent/GB verursacht. Für 5G-Mobilfunknetze erwarten wir im Jahr 2030 Emissionen von etwa 4,5 g CO2-Äquivalent/GB und somit 85 Prozent weniger als bei den heutigen Mobilfunknetzen“, heißt es in einer Studie der Universität Zürich. 5G kann also maßgeblich zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen. Und noch mehr: Frank Cappel, Regional Vice President EMEA bei Coupa Software, betont im DUP Digital Business Talk, dass 5G ein Game-Changer für Innovationen in unzähligen Bereichen sein könne.

Konzepte für die Zukunft

Die Datenmassen hingegen auch wirklich effizient zu speichern – das ist die größere Herausforderung. Rund 53.000 Data-Center gibt es in Deutschland. Und deren Energiebedarf ist seit 2010 um knapp 60 Prozent gestiegen. Laut Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit liegt der Anteil der Rechenzentren am Stromverbrauch in Deutschland inzwischen bei fast drei Prozent.

Ist Technologie, die laut Bill Gates das Klima retten soll, also eigentlich ein Klimakiller? Die schon erwähnte Bitkom-Studie relativiert das. Ja, insbesondere Herstellung und Betrieb von Endgeräten sowie der Betrieb der Netzinfrastruktur und der Rechenzentren verursachen mittelbar CO2-Emissionen. Je nach Tempo der Digitalisierung werden dadurch 2030 zwischen 16 und 22 Megatonnen CO2 ausgestoßen. Aber: Insgesamt ist das CO2-Einsparpotenzial durch digitale Technologien mehr als sechsmal höher als ihr eigener Ausstoß.

Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch hier Verbesserungspotenzial gibt. Bleiben wir bei den Rechenzentren. Sie verbrauchen zwar Strom, produzieren dafür aber Wärme. Und die wiederum könnte genutzt werden, um Gebäude zu heizen. Analysen zeigen, dass mit der Abwärme aller in Frankfurt am Main angesiedelten Rechenzentren bis 2030 der gesamte Wärmebedarf von Privathaushalten und Bürogebäuden in der Stadt gedeckt werden könnte.

An einem entsprechenden Konzept arbeitet das Borderstep Institut unter anderem mit dem Verband der Internetwirtschaft Eco. Ziel des Projekts DC-HEAT ist es, mittels Künstlicher Intelligenz ideale Standorte für Rechenzentren zu ermitteln, um deren Abwärme optimal in Nah- und Fernwärmenetze einzuspeisen. Das wäre ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft; effizienter ließe sich die einmal eingesetzte Energie wohl kaum nutzen.

Das Energieproblem lösen

Sicher, wirklich nachhaltig ist das natürlich nur, wenn die Energie schon aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird. „Der Grund, warum die Menschen so viel Treibhausgas emittieren, liegt darin, dass unsere jetzigen Energieerzeugungstechnologien – solange wir die langfristigen Schäden ignorieren, die sie anrichten – im Großen und Ganzen die billigsten sind, die uns zur Verfügung stehen“, schreibt Bill Gates in seinem Buch. „Wenn wir also unsere riesige Energiewirtschaft von ‚schmutzigen‘ CO2-emittierenden Technologien auf solche ohne Emissionen umstellen wollen, wird das Geld kosten.“ Und dieses Geld – das ist der schon angesprochene Ökozuschlag.

Ökozuschläge seien „ein fantastisches Kriterium, um Entscheidungen zu treffen. Sie helfen uns, unsere Zeit, Aufmerksamkeit und finanziellen Mittel optimal einzusetzen. Aufgrund unterschiedlicher Zuschläge können wir entscheiden, (…) wo wir technologische Durchbrüche vorantreiben müssen“, so Gates weiter. Er selbst setzt sich für eine Technologie ein, welche die Mehrheit nach dem Erdbeben in Japan 2011 abgeschrieben hatte: Gates plädiert für die Entwicklung kleiner Atomkraftwerke sowie Fusionsreaktoren; beides hält er für sicher und glaubt, dass darüber am ehesten weltweit bezahlbarer Strom produziert werden könnte.

Innovation plus Wille

Noch ist beim Thema Kernfusion allerdings einiges an Entwicklungsarbeit notwendig. Denn bisher gibt es keinen Reaktor, der mehr Energie produziert, als er verbraucht. Zudem ist das Thema Kernenergie hierzulande wohl dauerhaft keines mehr. Und dürfte – mit dem isolierten Blick auf Deutschland – von vielen eher als Rückschritt interpretiert werden.

Darüber hinaus befasst sich Gates mit Kohlendioxid-Rückgewinnung. Denn gelingt es uns nicht, bis 2050 bei null Emissionen anzukommen, können nur noch Maßnahmen helfen, die der Atmosphäre aktiv überschüssiges CO2 entziehen. „Wenn es um den Klimawandel geht, weiß ich natürlich, dass Innovationen nicht das Einzige sind, was wir brauchen. Doch ohne sie können wir die Erde nicht in einem bewohnbaren Zustand erhalten. Technologische Lösungen sind nicht genug, aber sie sind unentbehrlich“, schreibt Gates. 

Deutschland gilt vielerorts eigentlich als Vorzeigekandidat in Sachen Nachhaltigkeit. Ein genauer Blick zeigt jedoch noch viel Luft nach oben. Was ist neben mehr Technologieeinsatz also nötig, damit Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft klimaneutral werden? „Mit punktuellem Verzicht auf Ressourcen und ein bisschen Innovation werden wir diese komplexe Herausforderung nicht in den Griff bekommen“, sagt KPMG-Experte Kai Andrejewski. „Für einen nachhaltigen und innovativen Wandel benötigen wir ein neues Zeitalter der Aufklärung, also ein neues, freies Denken. Entscheidend ist, dass wir die Probleme ganzheitlich denken und kontinuierlich an entsprechenden Lösungsansätzen arbeiten.“

28.04.2021    Madeline Sieland
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