In Kürze:
- Immer mehr Banken geben die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken an ihre Kunden weiter – in Form von Strafzinsen. Sparbuch und Tagesgeldkonto haben für eine auskömmliche Altersvorsorge endgültig ausgesorgt.
- Am Aktienmarkt drohen Kursverluste – und doch führt beim Vermögensaufbau kein Weg an den Dividendenpapieren vorbei. Das damit verbundene Anlagerisiko lässt sich durch geschickte Strategien kontrollieren.
- Auch die selbstgenutzte Immobilie, das Eigenheim im Speckgürtel oder die Eigentumswohnung nahe der City, sind ein Baustein für die Altersvorsorge. Wer darüber hinaus in Immobilien investieren will, sollte vor einem Einstieg aber genau hinsehen.
Eines ist sicher: In Zeiten einer alternden Bevölkerung reicht die gesetzliche Rente nicht für einen auskömmlichen Lebensabend aus. Sparen für die Altersvorsorge wird so zur Pflicht. „Die Leute werden älter, es soll nicht weniger Rente geben und es wird nicht mehr eingezahlt – das geht eben nicht auf“, rechnet Professor Martin Weber von der Universität Mannheim im Video-Call im Rahmen der DUP Finance Week vor. Doch Zinsen – die gibt es nicht mehr, schon für einige Zeit nicht und höchstwahrscheinlich noch für eine ganze Weile. Die ultralockere Geldpolitik der großen Notenbanken mit Leitzins null und Anleihekäufen in Billionenhöhe sei „eine Droge, von welcher der Markt schwer runterkommt“, sagt Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei der Investmentgesellschaft Fidelity. Die Zinsen wieder anzuheben berge daher eine „große Gefahr“. Bei Beachtung einiger Aspekte können Anleger dennoch ein Vermögen für den Ruhestand aufbauen. Die wichtigsten Tipps der Experten:
Wie investiere ich am besten?
Die Geldanlage ist für Privatpersonen einfacher geworden – zumindest technisch. Da sind sich die Profis einig und verweisen zum Beispiel auf die ETF-Revolution der vergangenen Jahre. Diese Form von börsengehandelten Fonds bildet einen Aktien- oder Anleihenindex ab, die Kosten sind weitaus geringer als bei einem klassischen, von Fondsmanagern betreuten Anlageprodukt. Dennoch hätten auch herkömmliche Fonds ihre Berechtigung, betont Fidelity-Experte Roemheld. Auch bei ETFs müssten Anleger eine Auswahl treffen und „viel Zeit investieren“, sagt er. „Manche Menschen empfinden das als Belastung, für sie sind andere mögliche Anlageinstrumente viel besser.“ Das sieht auch Stefan Heringer von der Deutsche Wertpapiertreuhand DWPT / Neunundvierzig Honorarberatung, so: „Die Vielfalt macht es nicht leichter, viele werden von den ETF-Möglichkeiten erschlagen.“
In einem weiteren Punkt besteht Einigkeit: „Das wichtigste ist der lange Atem“, stellt Dr. Manfred Schlumberger, Vorstand der StarCapital AG, fest. Dazu könne in Phasen wie im Corona-Crash 2020 beitragen, „dass man manche Zeitungen oder Zeitschriften nicht liest“, so Schlumberger. Das heiße aber nicht, sich gar nicht mit dem Portfolio zu beschäftigen. Für Dr. Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank, haben alte Börsenweisheiten wie die von Anlegerlegende André Kostolanyi – „irgendetwas kaufen und ewig liegen lassen“ – ausgedient. Als Grund führt Stephan „dramatische Strukturbrüche“ an, die dies nicht mehr zuließen. Denn Entwicklungen wie „Klimawandel, Ungleichheit und neue technische Möglichkeiten“ durch die Digitalisierung, zum Beispiel der ultraschnelle Mobilfunkstandard 5G, die Vernetzung von Maschinen im Internet der Dinge oder 3-D-Druck sorgten für Verwerfungen in vielen Branchen, warnt Stephan.
Honorarberater Heringer rät ebenfalls zu einer „gewissen buddhistischen Gelassenheit“, was das Portfolio angeht. Trotzdem müssten Anleger immer wieder „nachjustieren“, zum Beispiel im Rahmen eines Re-Balancing. Dabei werden die Anteile etwa von renditeträchtigen Aktien und stabilitätsversprechenden Anleihen regelmäßig der Wertentwicklung dieser Portfoliobausteine angepasst: „Damit läuft das Risiko nicht aus dem Ruder“, erklärt Heringer mit Blick auf die jüngste Marktentwicklung. Aktien haben sich deutlich mehr verteuert als Anleihen, sodass ihr rechnerischer Anteil an vielen Portfolios gestiegen ist. Und wie oft sollten Depotinhaber ihr Risikoprofil durch ein Re-Balancing glattstellen? Betriebswirtschaftsprofessor Weber: „Einmal im Jahr reicht, wenn man nervös ist, zweimal.“
Weber ist ein Befürworter von Anlegen per Sparplan, bei dem monatlich für eine vorab festgelegte Summe bestimmte Wertpapiere automatisch erworben werden. Die „starke Sache“ dabei: „Man wird zum Sparen gezwungen.“ Anleger kämen so nicht in die Verlegenheit, statt auf die Altersvorsorge doch lieber auf Konsum zu setzen. Das sieht Chefanlagestratege Stephan ähnlich. Seine Regel für den Vermögensaufbau: „Anfangen zu sparen, kontinuierlich dabeibleiben – und keine Angst haben, wenn es mal nach unten geht.“
Welches ist der wichtigste Baustein für mein Portfolio?
„An Aktien führt im Moment wahrscheinlich kaum ein Weg vorbei“, sagt Deutsche-Bank-Experte Stephan – und weiß sich dabei mit den anderen Fachleuten einig. Schlumberger von StarCapital betont, dass es für einen Einstieg nicht zu spät sei: Die Kurse seien aktuell zwar „nicht mehr niedrig – aber bei weitem nicht mit dem vergleichbar, was wir im Jahr 2000 gesehen haben“. Seine Prognose: „Die Gewinnsteigerungen der Unternehmen werden relativ hoch bleiben.“ Daher seien Investoren auch bereit, höhere Aktienbewertungen in Kauf zu nehmen, die man zum Beispiel am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) festmacht. Für Professor Weber von der Universität Mannheim sieht ein Musterportfolio so aus: „60 Prozent Aktien weltweit, 25 Prozent europäische Rentenpapiere und 15 Prozent Rohstoffe.“ Anleger sollten das Re-Balancing nicht vergessen, mahnt er. Eine generelle Einschränkung nennt Honorarberater Heringer: Man sollte „nur Geld am Kapitalmarkt investieren, das man auf absehbare Zeit nicht benötigt“.
Wo lauern unerwartete Risiken?
Die Nullzinspolitik der Notenbanken habe die Renditen von Anleihen „überschaubar“ werden lassen, sagt Experte Heringer. Zusammen mit den billionenschweren Ankäufen von Rentenpapieren durch die Zentralbanken sind die Preise stark gestiegen, die Verzinsungen im Gegenzug für viele Laufzeiten klar unter die Nulllinie gerutscht. Anleihen könnten daher allenfalls noch als Stabilisator im Depot wirken, sagt Heringer. Er warnt: „Im Bereich der langlaufenden Anleihen schlummern Risiken.“ Die Renditen könnten sich eigentlich nur noch in eine Richtung bewegen: „nach oben“. Somit drohten Kursverluste. Heringers Fazit: „Statt risikoloser Zins ist das mittlerweile zinsloses Risiko.“ Auch Chefanlagestratege Stephan erwartet, dass bei Anleihen „eine wirklich schwierige Zeit auf uns zukommt“ – auch wegen der neu aufflackernden Inflation, welche die realen Renditen weiter schmälert. Für Stephan folgt daraus: „Früher hat man Aktien gehandelt und Anleihen gehalten – heute muss man es wahrscheinlich fast umgekehrt machen.“
Auch Schlumberger glaubt nicht, dass die Notenbanken in absehbarer Zeit ihren Nullzinskurs aufgeben werden – schließlich helfe dieser, die Staatsverschuldung zumindest einigermaßen im Griff zu halten. Für Schlumberger ist das ein Argument für Edelmetalle im Depot: „Sie machen als Beimischung auf jeden Fall Sinn.“ Auch hier gilt für ihn aber das Prinzip der Streuung über Gold hinaus – es dürfe auch Palladium oder Silber sein.
Was ist mit Immobilien?
Fidelity-Experte Roemheld hält eine selbstgenutzte Immobilie wie ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung für „sehr sinnvoll“. Ein Vorteil für ihn: „Die Frage, wie sich der Immobilienmarkt weiterentwickeln wird, stellt sich nicht, wenn man in einer eigengenutzten Immobilie wohnt.“ Auch BWL-Professor Weber spricht sich für die selbstgenutzte Immobilien aus: „Sie wollen ja irgendwo wohnen.“ Daher sind Eigenheim oder Eigentumswohnung für ihn „die Asset-Klasse, die Sie zusätzlich nehmen sollten“ – auch wenn es sich streng wissenschaftlich gesehen um ein Konsumgut und keine Investition handele.
Auch Schlumberger von StarCapital spricht im Zusammenhang mit dem eigenen Heim von einem „Luxusgut“. Das sei in Ordnung, wenn man es sich leisten könne. Darüber hinaus ist er zurückhaltend bei Investments in diesem Bereich, etwa über Immobilienfonds: „Ich weiß nicht, ob ich jetzt unbedingt in Geschäftsimmobilien investieren muss“, sagt Schlumberger mit Blick auf Bürogebäude, die angesichts der größeren Bedeutung von Homeoffice Attraktivität eingebüßt hätten. Auch die Mietrenditen seien wegen hoher Kaufpreise überschaubar – „da wäre ich vorsichtiger.“ Einig sind sich die Experten aber, dass es durchaus Chancen im Immobilienbereich gebe, zum Beispiel in der Lagerlogistik. Anleger müssten allerdings genau prüfen, in was sie investierten – ähnlich wie bei Aktien.
Brauche ich in Zeiten von Strafzinsen überhaupt noch Barbestände?
„Auf jeden Fall“ spricht sich StarCapital-Experte Schlumberger für „ein bisschen atmende Liquidität“ aus. „Cash ist ein Risikopuffer und eine Kriegskasse“, sagt er. Letztere sollten Anleger vorhalten, um Chancen für einen Einstieg in den Aktienmarkt nutzen zu können. Das bedeutet aber im Umkehrschluss: „Wenn ich die Nerven dazu nicht habe, dann brauche ich auch keine Kriegskasse.“ Deutsche-Bank-Stratege Stephan sieht das ähnlich. Barmittel zu halten, koste zwar Geld: „Das ist dieser Tage so.“ Er erwartet jedoch, dass sich die Kursbewegungen bei Aktien wieder verstärken könnten – und bei höherer Volatilität „sollte man Cash zur Verfügung haben, um entsprechend reagieren zu können“. Ohne diese Reserve sei eine Anlagestrategie eben „keine Strategie und man ist gefesselt in den Anlagen, die man gerade hat. Und kann nur noch zugucken.“