Ein Portrait von Bert Rürup
15.06.2019    Markus Deselaers
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Das deutsche Rentensystem ist einmal mehr in der öffentlichen Diskussion. So schlägt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine „Respektrente“ für einkommensschwache Rentner vor, die 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt und weniger als 80 Prozent des Durchschnittseinkommens bezogen haben. Das wird von Gewerkschaften und Sozialverbänden begrüßt – aber auch von vielen Seiten kritisiert, da Steuergelder diesen Zuschuss finanzieren sollen. Und egal, wie diese jüngste Debatte ausgeht: Sie hat ein viel größeres Projekt, nämlich die Gesamtreform der gesetzlichen Rente, etwas aus dem Blick geraten lassen. Zeit für eine sachliche Betrachtung der Fakten – mit dem Experten Bert Rürup.

Zur Person

Porträt von Bert Rürup

Bert Rürup

Der emeritierte Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der TU Darmstadt und ehemalige Wirtschaftsweise leitet das Handelsblatt Research Institute und ist Chefökonom des „Handelsblatt“. Nach ihm ist die „Rürup-Rente“ (Basisrente) benannt

DUB UNTERNEHMER-Magazin: Die SPD will das Rentenniveau bis 2040 sichern. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert sogar eine Erhöhung der gesetzlichen Rente. Wie beurteilt der Ökonom dies?

Bert Rürup: Jede Rentenreform ist letztlich ein Verteilungskompromiss. Eine Beitragssatzerhöhung belastet die Erwerbstätigen, eine Senkung des Rentenniveaus trifft die heutigen und künftigen Rentenempfänger, eine Anhebung des gesetzlichen Renten­alters die künftigen Rentner und Rentnerinnen, und eine Erhöhung des Steuerzuschusses geht zulasten aller Steuerzahler. Ökonomen sind Spezialisten für Prognosen und Simulationsrechnungen, aber sie haben keine besondere Kompetenz, Verteilungsfragen zu beantworten – auch wenn einige meiner Kollegen das nicht wahrhaben wollen. Diese Fragen müssen von der demokratisch legitimierten Politik beantwortet werden – die sich allerdings dann dazu auch unangenehme Rückfragen gefallen lassen muss.

„Bis 2040 könnten die Steuerzuschüsse auf 500 Milliarden Euro steigen.“

Wie sieht denn der Kostenrahmen aus, über den wir bei den Rentenplänen sprechen?

Rürup: Ohne eine Festschreibung würde das ­Rentenniveau bis zum Jahr 2040 um etwa sechs Prozentpunkte auf rund 42 Prozent sinken. Nach einer Faustregel kostet ein Niveaupunkt einen halben Beitragssatzpunkt. Ein Rentenniveau von 48 Prozent würde daher für sich genommen eine Beitragssatzanhebung um etwa drei Prozentpunkte erfordern. Da man aber unter dem Stichwort „Doppelte Haltelinie“ den Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen lassen will, müssten die Steuerzuschüsse im Zeitverlauf massiv ausgeweitet werden. Vorgelegte Berechnungen beziffern die für den Zeitraum bis zum Jahr 2040 dazu erforderlichen zusätzlichen Steuerzuschüsse in der Summe auf fast 500 Milliarden Euro, von denen 50 Milliarden Euro im Jahr im Jahr 2040 fällig wären.

Und das Geld muss zunächst erwirtschaftet werden.

Rürup: Ja. Deshalb kann es keine sicheren Renten geben, denn alle Renteneinkommen müssen in der Zukunft erwirtschaftet werden. Umlagefinanzierte Rentensysteme sind daher immer mit Lohnsummenrisiken behaftet, die aus der Entwicklung des Arbeitsmarkts, der Entgeltentwicklung und der Demografie resultieren. Und kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme sind mit Kapitalmarkt- und Wechselkursrisiken konfrontiert. Darum ist es unstrittig, dass aus Gründen der Risikodiversifizierung Altersvorsorgesysteme, die auf eine Mischung von umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Renten setzen, die beste Alternative sind.

Wäre eine Pflicht zur privaten und betrieblichen Altersvorsorge der richtige Weg?

Rürup: Sollen kapitalgedeckte Renten der Ergänzung der staatlichen Renten dienen, ist Freiwilligkeit angesagt. Wenn damit aber – wie es 2001 mit den Riester-Renten ursprünglich geplant war – Leistungsrücknahmen bei der gesetzlichen Rente im Interesse eines unveränderten Gesamtversorgungsniveaus ersetzt werden sollen, müssen sie obligatorisch sein. Denn nur dann ist gewährleistet, dass die Versichertenkollektive beider Systeme identisch sind, was für einen Ersatz der Leistungsrücknahmen bei den gesetzlichen Renten zwingend erforderlich ist. Eine Kompromisslösung – zum Beispiel im bAV-Bereich –wäre eine Opting-out-Regel: Es wird eine Entgelt­umwandlung tarifvertraglich vereinbart, aber jeder Beschäftigte kann widersprechen.

Die Lebenserwartung steigt stetig. Lässt sich mit der privaten Altersvorsorge das sogenannte Lang­lebigkeitsrisiko verlässlich abdecken?

Rürup: Selbstverständlich. Allerdings lässt sich dieses Langlebigkeitsrisiko umso besser absichern, je größer das Versichertenkollektiv ist. Denn mit zunehmender Größe der Gruppe der Versicherten kann man die für die Prämienkalkulation wichtige durchschnittliche Lebenserwartung innerhalb des versichertenkollektivs genauer ermitteln. Da jede Rentenversicherung letztlich eine Wette auf den eigenen Todeszeitpunkt beinhaltet, sind freiwillige Rentenversicherungen im Vergleich zu obligatorischen Systemen teurer. Freiwillig versichert man sich eher, wenn man erwartet, lange zu leben. Im Versicherungsjargon spricht man dann von Selbstselektionseffekten, die es bei obligatorischen Systemen nicht gibt.

Ketzerisch gefragt: Kann man für langfristiges Ansparen in Zeiten gestiegener Unsicherheit überhaupt noch sinnvoll plädieren?

Rürup: Selbstverständlich. Je länger der Zeithorizont, desto größer wird die individuelle Risikotrag­fähigkeit. Die zum Jahresende 2018 zu ­verzeichnende Unsicherheitsphase an den Finanzmärkten hat sich noch nicht ganz gelegt. Aber: Je länger die Ansparphase, desto eher lassen sich temporäre Rückschläge an den Kapitalmärkten und Börsen verkraften.

Und was halten Sie von der „Respektrente“?

Rürup: Altersarmut ist noch kein großes gesellschaftliches Problem. Das wird sich aber ändern. Denn vor allem in den neuen Bundesländern kommen zunehmend Menschen ins Rentenalter, die als Folge der deutschen Vereinigung massive Brüche in ihren Erwerbsbiografien hinnehmen mussten. Außerdem hat sich in der Vergangenheit ein Niedriglohnsektor etabliert. Daher stellt sich die Frage, ob man immer mehr Rentnerinnen und Rentner zu den Fürsorge­ämtern schicken will. Um genau dies zu verhindern, ist die Idee grundsätzlich richtig. Sie orientiert sich im Übrigen an dem, was in 29 von 36 OECD-Ländern seit Langem Praxis ist. Die Akzeptanz einer Grundrente ohne vorgeschaltete Bedürftigkeitsprüfung wäre sicher höher, wenn die potenziellen Bezieherinnen und Bezieher nachweisen sollten, dass sie die geforderten 35 Jahre vorwiegend vollzeitig beschäftigt waren oder sich zumindest darum bemüht haben.

15.06.2019    Markus Deselaers
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