Mann schaut in die Ferne
28.09.2021    Martin Hintze
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In Kürze:

  • Der Tiefpunkt bei den Zinsen für Hypothekendarlehen dürfte durchschritten sein. Der Anstieg wird wahrscheinlich moderat ausfallen.
  • Immobilienkäufer sollten längere Laufzeiten für ihre Finanzierung prüfen. Banken bieten mittlerweile auch 20- und 30-jährige Darlehen an.
  • Baufinanzierung ist ein sehr wettbewerbsintensives Geschäftsfeld für Banken. Die Margen sind unter Druck geraten.

 

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Die Gretchenfrage gleich zu Beginn: Wie werden sich die Bauzinsen entwickeln?

Tobias Just: Es gibt eine Reihe von Gründen, die für steigende Zinsen sprechen: die Geldpolitik in den USA, die Inflation, die konjunkturelle Wiederbelebung nach der Coronapandemie. Ich rechne jedoch nicht mit einem hektischen Anstieg der Baufinanzierungsraten. Für eine Anschlussfinanzierung sollte man Zinsänderungen aber auf jeden Fall berücksichtigen.

Thomas Hein: Ich denke, dass wir den Tiefpunkt durchschritten haben. Wir werden einen Zinsanstieg sehen, aber einen moderaten. Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, langsam aus dem Anleihekaufprogramm auszusteigen. Auch die US-Zentralbank Fed wird auf die gestiegene Inflation reagieren. Den Markt wird das aber nicht durcheinanderwirbeln. Die Baufinanzierungszinsen werden vermutlich auf einem niedrigen Niveau bleiben, aber das Tal werden wir in den nächsten drei Jahren nicht mehr sehen.

Am DUP Digital Business Talk nahmen teil:

  • Thomas Hein, Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung, ING Deutschland
  • Professor Dr. Tobias Just, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der IREBS Immobilienakademie und Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg

Moderation: Thomas Eilrich, Chefredakteur DUP UNTERNEHMER

Ist die Inflationsrate also der Indikator, den potenzielle Immobilienerwerber im Blick behalten sollten?

Just: Nein, der Anstieg der Konsumentenpreise hat eher indirekte Folgen. Sehr viel unmittelbarer wirkt der deutliche Anstieg der Material- und Handwerkerkosten, den wir seit dem vergangenen Jahr beobachten. Die steigenden Baukosten sollte man im Blick behalten.

Hein: Dass die Kosten durch gestörte Lieferketten und lange Wartezeiten gestiegen sind, ist momentan Thema Nummer eins in der Baufinanzierungsberatung. Das dürfte auch noch eine Weile so bleiben. Auch der Klimaschutz dürfte das Bauen weiter verteuern. Diese Kostensteigerungen müssen über mehr Eigen- oder mehr Fremdkapital aufgefangen werden.

Welchen Effekt hat die Coronapandemie auf die Baufinanzierung beziehungsweise die Immobilienmärkte?

Hein: In der Beratung haben sich Kunden und Vermittler während des Lockdowns Wege ohne direkten Kontakt gesucht. Die digitalen Kanäle gewannen dadurch stark an Bedeutung, zum Beispiel die Beratung über Videotelefonie. Ein weiterer Pandemieeffekt ist, dass Kunden sich größere Wohnung oder Häuser mit Arbeitszimmern wünschen. Insgesamt können wir feststellen, dass die Nachfrage nach Baufinanzierungen deutlich gestiegen ist.

Just: Bei institutionellen Investoren hat sich die Gewichtung der Immobiliensegmente spürbar verschoben. Hotel und Einzelhandel sind massiv von der Pandemie betroffen. Die Investoren sind auf Wohnen und Logistik umgeschwenkt. Und auf der Seite der finanzierenden Banken ist zu beobachten, dass sich der Wettbewerb noch einmal verstärkt hat. Die Margen in der Baufinanzierung sind unter Druck geraten.

Hein: Ja, in diesem Umfeld sind effiziente Prozesse und schnelles Bearbeiten der Anfragen noch stärker gefordert als vor der Pandemie.

Sind digitale Beratungskanäle inzwischen so wichtig wie ein persönliches Gespräch?

Hein: Als Digitalbank ohne Filialen waren wir bereits bestens vorbereitet und entsprechend seit Beginn der Pandemie wie gewohnt für unsere Kunden da. Aber natürlich hat die Situation auch bei uns für einen zusätzlichen Digitalisierungsschub gesorgt . Wir entwickeln ständig neue Features. Beispielsweise arbeiten wir an einer rein digitalen Antragsstrecke. Vielen Kunden ist aber auch eine persönliche Beratung wichtig Dem wollen wir zum Beispiel durch digitale Videoberatung gerecht werden und testen das gerade. Insgesamt stellen wir fest, dass unsere Kunden heute in der Regel viel besser informiert sind, bevor sie den Kontakt mit uns suchen.

Sollten potenzielle Immobilienkäufer jetzt zugreifen, bevor die Zinsen steigen oder noch abwarten, bis die Kaufpreise ihren Zenit überschritten haben?

Just: Wer eine Immobilie für die eigene Nutzung sucht, muss zunächst das passsende Objekt für seine Bedürfnisse und Wünsche finden. Das ist häufig schwer genug. Schließlich ist es für viele die größte und am aggressivsten finanzierte Investition. Kapitalanleger haben es da etwas leichter. Sie sollten aber in der Lage sein, die Immobilie zu managen. Die Jagd nach den niedrigsten Zinssätzen halte ich für problematisch, schließlich ist es eher eine Verbindung für Jahrzehnte als für Wochen. Immobilienmärkte sind und bleiben zyklisch, deswegen sollten Anleger sehr langfristig denken.

Können Sie einen Homeoffice-Effekt feststellen? Ist das Umland jetzt für Käufer attraktiver als die City?

Hein: Nein, den Effekt können wir noch nicht in der Breite beobachten. Derzeit arbeiten viele Unternehmen noch an neuen Arbeitsmodellen. Sobald sich Standards etabliert haben, sind die Folgen besser absehbar. Generell ist der Immobilienmarkt in Deutschland sehr regional. Die Lage bleibt der entscheidende Faktor.

Just: Eine Studie, die wir für die Hans-Böckler-Stiftung erstellt haben, zeigt: In einigen Regionen sind die Preise in der Peripherie stärker gestiegen als in der jeweiligen Metropole. Auch eine Analyse des Google-Suchumfelds zeigt deutliche Ausschläge bei Begriffen wie „Haus kaufen“, „Garten“ oder „Balkon“. Diese Freiflächen scheinen deutlich wichtiger geworden zu sein.

Welche Zinsbindungsfrist empfehlen Sie im aktuellen Umfeld?

Just: Eine langfristige Finanzierung ist sehr wichtig. Fünfjährige Darlehen lohnen sich nicht, denn die Zinsunterschiede zu längeren Laufzeiten sind überschaubar. Die Käufer sollten sich immer fragen, wie viel zusätzliche Anschlussfinanzierung sie tragen können. Menschen mit überschaubarem Budget sollten lieber länger planen und nicht um den letzten Basispunkt kämpfen, wenn sie dafür die Laufzeit verringern müssen.

Hein: Der niedrigste Zins wird immer gesucht, aber davor kann ich nur warnen. Viel entscheidender ist, ob das Produkt individuell passt, etwa zu den Einkommenserwartungen. Die Tendenz zu längeren Zinsbindungen ist spürbar. Bislang hatten wir maximal Laufzeiten von 20 Jahren im Angebot. Seit kurzem testen wir auch 30-jährige Darlehen. Zudem ist Flexibilität wichtig. Der Tilgungssatz sollte variabel sein, auch Sondertilgungen sind gefragt.

Gehen Käufer bei der Finanzierung aktuell mehr ins Risiko, um bei den gestiegenen Kaufpreisen mithalten zu können?

Hein: Durch den Anstieg der Kaufpreise und auch der Nebenkosten hat sich der prozentuale Eigenkapitalanteil etwas verändert. Er ist im Schnitt leicht gesunken, denn das Eigenkapital kann nicht in dem Maße mitwachsen. Die Gefahr einer Immobilienblase kann ich aber nicht erkennen.

Just: In Städten wie Frankfurt oder München wird inzwischen das 40-Fache der Jahresmiete für Wohnungen gezahlt. Trotzdem halte ich den Begriff Immobilienblase für falsch, denn die meisten Käufe erfolgen nicht spekulativ. Die allermeisten Finanzierungen sind eher konservativ, und die Nachfrage ist intakt. Es handelt sich eher um eine rationale Übertreibung. Anleger sollten vorsichtig sein und nicht hektisch werden. Sie müssen die Objekte gründlicher prüfen als vor wenigen Jahren.

Welche Rolle spielt der Megatrend Nachhaltigkeit für die Immobilienbranche?

Just: Nachhaltigkeit ist ein Game Changer für Immobilien. Ohne die Immobilienwirtschaft werden wir den CO2-Ausstoß nicht ausreichend reduzieren können. Die Politik sollte aber umsichtig agieren und nicht zu schnell oder zu drakonisch regulieren. Zunächst sollten die kostengünstigen Maßnahmen umgesetzt werden. Der Neubau ist schon jetzt ziemlich nahe am technisch möglichen Niveau. Im Bestand sollte der Staat stärker unterstützen.

Hein: Auch für Immobilienbesitzer gilt: Wer nicht in Nachhaltigkeit investiert, dessen Immobilie verliert über die Zeit an Wert. Dabei muss das Gesamtkonzept stimmen. Energieeinsparung, Kosten und Wertsteigerung sollten zusammen betrachtet werden. Das wird in der Beratung einen wesentlichen Stellenwert einnehmen.

28.09.2021    Martin Hintze
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