Früherkennung

Wie Präventivmedizin das Gesundheitssystem revolutionieren kann

Die Früherkennung ist eines der Hot Topics von Wissenschaft und (Versicherungs-)Wirtschaft. Bessere Heilungschancen und eine geringere Belastung des Gesundheitssystems nützen am Ende allen. Warum also nicht den Weg zum Ziel gemeinsam gehen, fragt sich auch Folke Tedsen von der HanseMerkur.

16.10.2023

Ohne Risiko geht es nicht. Mal ist es marginal, mal enorm – und meist irgendwo dazwischen. Dann muss abgewogen werden. Welcher Weg bietet mehr Chancen? Und welcher schadet am Ende eher? Aber mit dem Risiko ist es wie mit den meisten Herausforderungen: Gemeinsam lässt es sich besser tragen.

Eben darum ging es auch auf dem diesjährigen BIG BANG HEALTH-Festival in Essen. Folke Tedsen, Leiter Leistungs- und Gesundheitsmanagement beim Hamburger Privatversicherer HanseMerkur, und Professor Ken Herrmann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Nuklearmedizin am Uniklinikum Essen, diskutierten hier in einem Panel-Talk über die Anfänge der Digitalisierung im Versicherungswesen, das enorme Potenzial von E-Health-Start-ups – und den Traum vom Fliegen.

Präventivmedizin als Innovationstreiber

Die HanseMerkur versteht sich als Treiber von Innovationen – im Sinne der eigenen Versicherten und auch des Gesundheitswesens allgemein. So hat sich Folke Tedsen als Mentor für E-Health-Start-ups bei der Gesundheitswirtschaft Hamburg ein breites Netzwerk außerhalb der klassischen Leistungserbringenden aufgebaut und treibt aktiv neue Entwicklungen voran.

Er plädiert für eine bessere Gründungskultur für Health-Start-ups und vor allem für deren kooperative Integration durch etablierte Akteure im Gesundheitswesen. „Innovation in der Medizin ist in Deutschland ein sehr mühsames Thema – dabei muss man das heute auf einer anderen Ebene diskutieren“, betonte Tedsen im Gespräch auf der Bühne im Essener Colosseum Theater.

Ein konkretes Beispiel: Ritmo. Das tragbare Mini-EKG wurde vom Hamburger Start-up dpv-analytics entwickelt. Der etwa notizzettelgroße digitale Mikrosensor zeichnet über einen Zeitraum von bis zu 72 Stunden die Herzaktivitäten auf. Ein klarer Vorteil gegenüber bisher verwendeten Technologien, die auf 24 Stunden limitiert sind und mit ihrer Oberkörper-Vollverkabelung sowie dem unhandlichen Messgerät den normalen Tagesablauf stark beeinträchtigen.

Durch die umfassende Beobachtung kann selbst kürzestes Vorhofflimmern – eines der häufigsten Schlaganfall-Vorzeichen – erfasst werden. Ein enormer Fortschritt bei der Prävention der Herz-Kreislauf-Erkrankung, von der laut Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe jedes Jahr etwa 270.000 Menschen betroffen sind.

Chancen und Risiken abwägen

Die HanseMerkur hat dieses Potenzial der Präventivmedizin erkannt und als erstes Gesundheitsunternehmen einen Kooperationsvertrag mit dpv-analytics abgeschlossen und Ritmo in den Leistungskatalog aufgenommen. „Unser Ziel war es, möglichst schnell möglichst vielen Menschen Zugang zu dieser potenziell lebensrettenden Technologie zu verschaffen“, so Tedsen.

Aber birgt nicht alles Neue auch ein gewisses Risiko? „Sicherlich, das hat immer zwei Seiten. Wir müssen uns fragen, was besser ist: Noch Jahre warten, bis sämtliche langwierigen Prüfprozesse durchlaufen sind? Oder selbst aktiv werden und den Menschen schon jetzt eine bessere Genesungschance geben? Das ist eine bewusste Entscheidung – und ich bin dafür, diese Chancen zu nutzen. Ich finde, da müssen wir uns als Deutschland auch ein bisschen neu positionieren.“

Präventivmedizin und Krankheitsfrüherkennung sind mittlerweile deutlich stärkere Treiber für Innovationen als die reine Symptombehandlung. Denn mit dem technologischen Wandel steigt auch die Erwartungshaltung: Die Menschen wollen mehr Selbstbestimmungsrecht, mehr Mitsprache und ihre Gesundheit zunehmend selbst in die Hand nehmen. Aber auch für das Gesundheitssystem ist es sinnvoll, früh zu reagieren, damit Akutfälle gar nicht erst entstehen und die Genesungschance steigt.

Den ersten Schritt in Richtung Digitalisierung wagen

„Der Traum von der Früherkennung ist ein bisschen wie der Traum vom Fliegen“, zieht Nuklearmediziner Ken Herrmann im Panel-Talk den Vergleich. „Da wird nicht nur an einer Stelle gearbeitet und geforscht, sondern an verschiedenen weltweit. Die ersten Versuche sind dabei nicht automatisch erfolgreich, aber sie sind oftmals ein Schritt nach vorn – und irgendwann fliegen dann doch alle.“

Er plädiert für einen offenen Austausch. Und dafür, neue Ansätze der Präventivmedizin nicht gleich im Keim zu ersticken. „Das ist eben noch kein Transatlantikflug. Vielleicht auch noch kein Flug London – Madrid. Denn es ist noch einiges zu tun. Aber ich als Wissenschaftler bin offen für derartige auch von der Wirtschaft unterstützte Teststarts, um Evidenz zu generieren, da Evidenz meiner Meinung nach der einzig richtige Weg ist, um es irgendwann nonstop bis nach Sydney zu schaffen.“

Wie wichtig dieser erste Schritt ist, zeigt auch die Digitalisierung im Hause HanseMerkur. „Eine der Kernaufgaben einer privaten Krankenversicherung ist es zunächst einmal, Leistungen zu erstatten“, so Tedsen. „Das war vor einigen Jahren quasi unsere Startbahn für das Thema Digitalisierung.“

Etablierte Abläufe wurden überarbeitet, Unterlagen gescannt, Daten digital strukturiert. Der gesamte Prozess wurde effizienter. Für die Versicherten bedeutet das vor allem eine schnellere Erstattung. Die bundesweit erste Rechnungs-App folgte und machte es noch einfacher, Unterlagen einzureichen. „Das war die Erfindung der Rechnungs-App, wie sie heute fast jedes Unternehmen hat“, so Tedsen. Der Jungfernflug war geglückt.

Folke Tedsen

ist Leiter für Leistungs- und Gesundheitsmanagement bei der HanseMerkur und Mitglied der Leistungskommission des PKV-Verbands, Vorstand der PKV-Landesausschüsse Hamburg und Schleswig-Holstein sowie Mentor für E-Health-Start-ups

Professor Ken Herrmann

ist seit 2016 Ärztlicher Direktor der Klinik für Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Essen. Die UCLA ernannte ihn 2015 zum Associate Professor und Director of Translational Research der Ahmanson Translational Imaging Division