Wie lange werde ich leben? Wer das wissen will, sollte seine Telomere untersuchen lassen. Dabei handelt es sich um die Sequenzen am Ende der Chromosomen. Und je länger die Telomere sind, desto länger ist die Lebensspanne. Für diese Entdeckung haben Elizabeth Blackburn, Carol W. Greider und Jack Szostak 2009 den Nobelpreis für Medizin bekommen. Wissenschaftler in Utah fanden inzwischen zudem heraus, dass Telomere von Frauen um 3,5 Prozent länger sind als die von Männern. Eine Entdeckung, die das generell höhere Durchschnittsalter von Frauen erklären könnte.
Hauptsache, die Gene sind gut?
Gute Gene – sind die etwa vor allem der Grund, weshalb Menschen wie Rolling-Stones-Frontmann Mick Jagger auf der Bühne mit 78 Jahren noch so fit wirken wie 30-Jährige? Jagger ist eine Ikone des Rock – Symbol niemals versiegender Energie und Vitalität. Sein Vater übrigens wurde 93 Jahre alt. Doch: Ganz so einfach ist es sicher nicht, solch ein Alter zu erreichen. Denn aus Studien, die die Lebensdauer eineiiger Zwillinge untersucht haben, weiß die Wissenschaft: Gene entscheiden nur zu etwa 25 Prozent über das Lebensalter.
Die gute Nachricht aber ist: „Wir können einiges tun, um verschiedene Aspekte der Alterung zu verlangsamen, aufzuhalten und sogar umzukehren“, sagt David A. Sinclair. Der Autor des Bestsellers „Das Ende des Alterns. Die revolutionäre Medizin von morgen“ ist Professor für Genetik in Harvard und einer der führenden Langlebigkeitsforscher der Welt.
Denn der Lebensstil beeinflusst die Länge der Telomere. Ein hoher Vitamin-D-Spiegel etwa unterbindet deren Abbau. Unter anderem psychischer und oxidativer Stress, eine übermäßige Adrenalinausschüttung, ein zu hoher LDL-Cholesterinspiegel und Entzündungsprozesse im Körper dagegen verkürzen die Telomere. Und kürzere Telomere – das belegt die sogenannte Bruneck-Studie – gehen mit einem erhöhten Schlaganfall-, Herzinfarkt- und Krebsrisiko einher. Seit 1990 wird die Bevölkerung der Südtiroler Stadt Bruneck systematisch auf solche altersbezogenen Krankheiten untersucht.
Spielwiese für Tech-Milliardäre
Heißt das also, mehr als ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung braucht es nicht für ein langes, gesundes Leben? Jein, sagt Professor Sven Voelpel, Wirtschaftswissenschaftler an der Jacobs University Bremen und Autor des Bestsellers „Die Jungbrunnen-Formel“. Zur Steigerung der Lebenserwartung setzt er auf eine intelligente Kombination aus natürlichen Voraussetzungen des menschlichen Körpers – also den Genen –, Ernährung, Bewegung und technologischem Fortschritt. Diesen Fortschritt treiben vor allem Wissenschaftler und Unternehmen in den USA voran – forciert von Tech-Milliardären, die in Langlebigkeitsforschung investieren. Einige Beispiele:
- Amazon-Gründer Jeff Bezos hat in Altos Labs investiert. Das Unternehmen möchte Zellen verjüngen und so den Alterungsprozess umkehren. Basis dafür ist die Arbeit des japanischen Stammzellenforschers Shin’ya Yamanaka. Er hat herausgefunden, wie sich menschliche Zellen in einen embryonalen Zustand zurückversetzen lassen.
- Calico Labs, entstanden 2013 auf Initiative von Google-Gründer Larry Page, erforscht, wie sich gängige altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer oder Atherosklerose verhindern ließen. Ziel ist es, die Lebenserwartung um gleich mehrere Jahrzehnte zu erhöhen.
- Auch der deutschstämmige Tech-Investor Peter Thiel will „den Tod zu einem lösbaren Problem machen“. Daher ist er gleich in mehr als einem Dutzend Unternehmen investiert, die an Lebensverlängerung und regenerativer Medizin forschen. Eines von ihnen – Unity Biotechnology – entwickelt Medikamente, die seneszente, also beschädigte Zellen angreifen. Diese werden für den Alterungsprozess verantwortlich gemacht.
Die Disruption des Todes?
Langlebigkeit beziehungsweise Longevity beschreibt einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Denn es geht nicht mehr nur darum, bestehende Krankheiten zu behandeln. Stattdessen sollen Krankheiten künftig gar nicht erst entstehen. „Ich denke, dass Prävention eines der Zukunftsthemen in der Medizin sein wird“, sagt der Arzt Professor Dietrich Grönemeyer. Denn Krankheiten, die gar nicht erst aufkommen, können die Zellen auch nicht schwächen und altern lassen.
Doch welches Alter ist wirklich realistisch? Bisher sind 120 Jahre eine Art magische Grenze, die erst einmal überschritten wurde: Die Französin Jeanne Calment starb 1997 – im biblischen Alter von 122 Jahren. Und: So viel mehr könnte auch gar nicht möglich sein. Denn egal, wie gut die genetischen Voraussetzungen sind, und egal, wie gesund der Lebensstil ist: Es gibt einen Punkt, an dem der Zellverfall und damit das Altern nicht mehr zu stoppen ist. Ein internationales Forscherteam um den Wissenschaftler Timothy Pyrkov fand heraus, dass zwischen 120 und 150 Jahren die Fähigkeit des Körpers, sich zu regenerieren, nach und nach komplett schwindet. „Das stellt ein natürliches Limit der menschlichen Lebensspanne dar“, heißt es in der Studie von Pyrkov.
Unsterblichkeit? Ade!
Ewiges Leben – das scheint also ein Traum zu bleiben. Daher fokussiert sich die Altersforschung darauf herauszufinden, wie wir bis ins hohe Alter unsere Gesundheit erhalten können. Aufgrund des demografischen Wandels ist das vor allem in den Industrieländern ein drängendes Problem. Denn eine bessere medizinische Versorgung und ein höherer Lebensstandard lassen uns sowieso schon älter werden. Um 1900 erreichten Männer im Durchschnitt gerade einmal knapp über 40 Jahre, Frauen 43,4 Jahre. Heute werden in Deutschland Männer 78,9 Jahre und Frauen 83,6 Jahre – Tendenz weiter steigend. Und das bringt Herausforderungen für die Gesellschaft mit sich. Denn mehr ältere Menschen heißt unter anderem auch mehr altersbedingte Erkrankungen und damit höhere Kosten für das Gesundheitssystem.
Der Harvard-Professor David A. Sinclair betrachtet auch das Altern als Krankheit – und zwar als eine behandelbare, allerdings nicht heilbare Krankheit. Heißt also: Statt die Symptome des Alterns – etwa Bluthochdruck, Arthrose, Demenz oder Osteoporose – zu behandeln, sollte das Grundproblem direkt bekämpft werden. Und das klingt bei Sinclair erst mal gar nicht so kompliziert. Um es auf den Punkt zu bringen: Frieren, Hungern und anstrengende körperliche Tätigkeiten verlangsamen den Alterungsprozess. Der 52-Jährige setzt im Alltag auf einen Mix an Maßnahmen, um sein biologisches Alter zurückzudrehen:
- Er achtet auf einen Body-Mass-Index von 23 bis 25, was im oberen Normalgewichtsbereich liegt.
- Er verzichtet möglichst jeden Tag auf eine Mahlzeit.
- Er raucht nicht und vermeidet Zucker, Brot, Nudeln, Fleisch, Fertiggerichte aus der Mikrowelle, UV-Strahlung, Röntgenstrahlung und CT-Aufnahmen.
- Er nimmt die Treppe statt den Aufzug, geht joggen und macht Kraftsport.
- Er achtet auf kühle Raumtemperaturen und nimmt eiskalte Bäder.
- Er lässt regelmäßig sein Blut untersuchen und passt seinen Lebensstil entsprechend an.
Daneben setzt Sinclair zusätzlich auf Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die die Zellalterung nachweislich positiv beeinflussen: Er nimmt jeden Tag ein Gramm Nicotinamidmononucleotid, Resveratrol (unter anderem zu finden in Rotwein), das Diabetes-Medikament Metformin, Vitamin D und K2 sowie 83 Milligramm Aspirin. Und mit dieser Mischung aus Medizin und Lebensstilanpassung soll sein biologisches Alter – laut eigenen Aussagen – bereits um 20 Jahre gesunken sein.
Gesunde Zellen, langes Leben
Bisher nicht auf Sinclairs Liste steht ein Mittel, dass zuletzt zunehmend in den Fokus der Altersforschung gerückt ist: Spermidin. Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover haben herausgefunden, dass dieser körpereigene Stoff bei der Autophagie eine zentrale Rolle spielt.
„Wenn man zum Beispiel fastet, also dem Körper keine Kalorien zuführt, dann nimmt er sich die Energie aus schlechten Bestandteilen unserer Zellen. Das ist Autophagie, die man etwa auch durch Sporttreiben auslösen kann“, erklärt Vedran Bijelac von The Longevity Labs den Prozess. Das Start-up hat ein Nahrungsergänzungsmittel mit Spermidin entwickelt. „Damit gaukeln wir dem Körper vor, dass wir fasten. So können wir die Zellerneuerung steuern und unsere Zellen gesund erhalten.“ Denn: Je älter man wird, desto schlechter funktioniert die Autophagie, was Krankheiten zur Folge hat.
In der Bruneck-Studie konnte der positive Einfluss von Spermidin auf die Zellreinigung bestätigt werden. Probanden, die den Stoff etwa über Käse, Nüsse, Weizenkeime oder Hülsenfrüchte vermehrt zu sich nahmen, lebten im Schnitt länger.
Den Speiseplan anpassen, den Lebensstil gesünder ausrichten und die Möglichkeiten der Technologie ausschöpfen: drei Zutaten im Rezept für ein längeres, gesünderes Leben.